Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Die Bundesregierung

Vertrauensfrage (Art. 68 GG) – Folgen, wenn Mehrheit nicht erreicht

Vertrauensfrage (Art. 68 GG) – Folgen, wenn Mehrheit nicht erreicht

23. November 2024

4,7(1.137 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bundeskanzler O hat dem Parlament die Vertrauensfrage nach Art. 68 GG gestellt. Nach dem Ergebnis der Abstimmung, hat O die erforderliche Mehrheit nicht erreicht. O fragt sich, was jetzt passiert.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Vertrauensfrage (Art. 68 GG) – Folgen, wenn Mehrheit nicht erreicht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Muss O den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG)?

Nein, das trifft nicht zu!

Selbst, wenn der Bundeskanzler auf seine Vertrauensfrage nach Art. 68 Abs. 1 GG nicht die Zustimmung der absoluten Mehrheit des Bundestags erhält, ist er nicht dazu gezwungen, daraus unmittelbare Konsequenzen zu ziehen. Der Bundeskanzler kann sich in diesem Fall aber dazu entscheiden, den Bundespräsidenten darum zu bitten, den Bundestag aufzulösen (Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG). Alternativ kann der Bundeskanzler aber auch „nur“ Schlüsse aus der negativen Abstimmung ziehen und versuchen, seine offenbar angeschlagene Position auf politischem Wege zu stabilisieren.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Wenn O den Bundespräsidenten bittet, den Bundestag aufzulösen, so muss der Bundespräsident dies auch tun (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG).

Nein!

Nach Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers den Bundestag auflösen, wenn nicht die Hälfte der Mitglieder des Bundestages dem Kanzler ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Der Bundespräsident entscheidet über die Auflösung des Bundestages nach pflichtgemäßen Ermessen (BVerfGE 62, RdNr. 1, 35). Er kann innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen. Dies hat dann wiederum zur Folge, dass innerhalb von 60 weiteren Tagen Neuwahlen stattfinden müssen (Art. 39 Abs. 1 S. 4 GG).

3. In der Weimarer Republik wurde das Parlament sehr oft aufgelöst, was zur Destabiliserung der politischen Verhältnisse beigetragen hat. Könnte dies dafür sprechen, die heutige Möglichkeit der Auflösung aus Art. 68 GG eng zu begrenzen?

Genau, so ist das!

Die Möglichkeit, nach einer gescheiterten Vertrauensfrage den Bundestag auflösen zu lassen, birgt die Gefahr, dass ein Bundeskanzler die Vertrauensfrage ausschließlich mit dem Ziel stellt, eine Auflösung des Bundestags herbeizuführen, obwohl das Parlament durchaus stabil und handlungsfähig ist. Der Gebrauch der Vertrauensfrage als Mittel zur Auflösung des Bundestags (sog. „unechte Vertrauensfrage“) ist verfassungsrechtlich umstritten. Das BVerfG hat daher die ungeschriebene Voraussetzung für eine Auflösung nach § 68 Abs. 1 GG aufgestellt: Es müsse ein „materielle Auflösungslage“ vorliegen. Dafür ist es nicht nur erforderlich, dass der Bundespräsident und die Regierung das Parlament als handlungsunfähig einschätzen, sondern dass diese Handlungsunfähigkeit tatsächlich vorliegt. Das BVerfG zieht damit auch Lehren aus der Geschichte der Weimarer Republik. Der Argumentation des BVerfG kann man trotzdem rechtliche und tatsächliche Bedenken entgegenhalten. Dazu später mehr!

4. Löst der Bundespräsident den Bundestag nicht auf, so kann er auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates den Gesetzgebungsnotstand erklären (Art. 81 Abs. 1 GG).

Ja, in der Tat!

Der Grund, warum es überhaupt dazu kommt, dass der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellt, ist häufig, dass es eine politische Instabilität in der Regierung gibt. Wenn nun das Ergebnis der Vertrauensfrage ist, dass weniger als die absolute Mehrheit noch hinter dem Bundeskanzler (und damit hinter der Regierung) stehen, dann ist es ebenso wahrscheinlich, dass Gesetzgebungsverfahren daran scheitern, dass der Bundestag keine ausreichenden Mehrheiten mehr erreicht. Damit die Demokratie in solchen Momenten nicht völlig handlungsunfähig wird, gibt es den Gesetzgebungsnotstand (Art. 81 GG). Dieser ermöglicht, dass Gesetze auch ohne Zustimmung des Bundestages erlassen werden können.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen