Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Die Bundesregierung

Gesetzgebungsnotstand nach Verneinung der Vertrauensfrage (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG)

Gesetzgebungsnotstand nach Verneinung der Vertrauensfrage (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG)

2. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bundeskanzlerin K hat die Vertrauensfrage (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG) gestellt. Obwohl die absolute Mehrheit diese negativ beantwortet hat, will K keine Neuwahlen. Die einfache Mehrheit der Regierungsmitglieder will ein Gesetz zur Verlängerung der Mietpreisbremse erlassen.

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Einordnung des Falls

Gesetzgebungsnotstand nach Verneinung der Vertrauensfrage (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K ist nach der gescheiterten Vertrauensfrage verpflichtet, den Bundespräsidenten zu erbitten, den Bundestag aufzulösen (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG).

Nein!

Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG). Eine negativ beantwortete Vertrauensfrage hat keine zwingenden rechtlichen Konsequenzen. Weder muss der Bundeskanzler den Bundespräsidenten darum bitten, den Bundestag aufzulösen, noch muss der Bundespräsident dies tun, wenn der Bundeskanzler ihn darum ersucht. K ist nicht verpflichtet, den Weg für Neuwahlen zu ebnen.
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2. Der Bundestag lehnt die Gesetzesvorlage zur Verlängerung der Mietpreisbremse ab. Gibt es eine Möglichkeit, dass das Gesetz doch noch als verabschiedet gelten kann (vgl. Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG)?

Genau, so ist das!

Erbittet die Bundeskanzlerin nach einem gescheiterten Vertrauensantrag (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG) nicht die Auflösung des Bundestags beim Bundespräsidenten, so regiert sie in einer (Minderheits-)Regierung fort. In dieser wird es schwierig sein, die erforderlichen Mehrheiten im Bundestag zu finden, um Gesetze zu beschließen. Darum kann der Bundespräsident nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG den Gesetzgebungsnotstand erklären. Voraussetzungen für einen Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG sind: (1) Der Bundestag hat die Vertrauensfrage verneint (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG). (2) Der Bundeskanzler ist weiter im Amt, also weder zurückgetreten noch ist gemäß Art. 67 oder Art. 68 Abs. 1 S. 2 GG ein neuer Bundeskanzler gewählt worden. (3) Der Bundespräsident hat den Bundestag nicht aufgelöst. (5) Die Bundesregierung hat eine Gesetzesvorlage als dringlich bezeichnet. (6) Der Bundestag hat diese Gesetzesvorlage abgelehnt. (7) Die Bundesregierung (vgl. Art. 62 GG) hat mit Zustimmung des Bundesrats beim Bundestagspräsidenten die Erklärung des Gesetzgebungsnotstands beantragt. Dieses Instrument soll sicherstellen, dass die Regierung in Krisenzeiten nicht völlig handlungsunfähig wird.

3. Die Bundesregierung hatte die abgelehnte Vorlage zuvor als „dringlich“ bezeichnet. Kann sie nun zusammen mit dem Bundesrat einen Antrag auf Erklärung des Gesetzgebungsnotstands stellen (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG)?

Ja, in der Tat!

Die Dringlichkeitserklärung ist eine formelle Voraussetzung des Antrags auf Erklärung des Gesetzgebungsnotstands (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG). Die Erklärung der Dringlichkeit ist eine einseitige Willenserklärung der Bundesregierung, die sie i.d.R. zusammen mit dem Gesetzesvorhaben in den Bundestag einbringt. Die Erklärung wird zuvor mit einer einfachen Merheit durch einen Kabinettsbeschluss (= Beschluss der Regierung) gefasst (§§ 20ff., 24 Abs. 2 S. 1 GO BReg). Die Vertrauensfrage ist gescheitert. K regiert weiter und der Bundestag ist auch nicht aufgelöst. Der Bundestag hat das als dringlich bezeichnete Gesetzesvorhaben abgelehnt. Damit liegen die Voraussetzungen für einen Antrag mit Zustimmung des Bundesrats nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG vor. Einer Bezeichnung der Gesetzesvorlage als „dringlich“ steht es gleich, wenn das Parlament eine Gesetzesvorlage annimmt, die die Regierung als unannehmbar bezeichnet hat oder sich der Bundestag nicht alsbald mit der Gesetzesvorlage befasst (vgl. § 99 Abs. 1 GO BT) oder wenn der Bundestag mehrfach wegen Beschlussunfähigkeit ergebnislos abgestimmt hat (vgl. § 99 Abs. 2 GO BT).

4. Der Bundesrat stimmt dem Antrag der Bundesregierung nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG zu. Muss der Bundespräsident nun zwingend den Gesetzgebungsnotstand erklären?

Nein!

Voraussetzungen für einen Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG sind: (1) Der Bundestag hat die Vertrauensfrage verneint (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG). (2) Der Bundeskanzler ist weiter im Amt, also weder zurückgetreten noch ist gemäß Art. 67 oder Art. 68 Abs. 1 S. 2 GG ein neuer Bundeskanzler gewählt worden. (3) Der Bundespräsident hat den Bundestag nicht aufgelöst. (5) Die Bundesregierung hat eine Gesetzesvorlage als dringlich bezeichnet. (6) Der Bundestag hat diese Gesetzesvorlage abgelehnt. (7) Die Bundesregierung (vgl. Art. 62 GG) hat mit Zustimmung des Bundesrats beim Bundestagspräsidenten die Erklärung des Gesetzgebungsnotstands beantragt. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann (Ermessen!) der Bundespräsident den Gesetzgebungsnotstand erklären. Dieser betrifft dann nur die konkrete Gesetzesvorlage. Er müsste für eine andere Vorlage also wieder (neu) unter den genannten Voraussetzungen ausgerufen werden.

5. Der Bundespräsident erklärt den Gesetzgebungsnotstand für das Gesetzesvorhaben zur Verlängerung der Mietpreisbremse. Könnte das Gesetz nun ohne Mitwirkung des Bundestags als verabschiedet gelten (vgl. Art. 81 Abs. 2 GG)?

Genau, so ist das!

Lehnt der Bundestag die Gesetzesvorlage nach Erklärung des Gesetzgebungsnotstandes erneut ab, so gilt das Gesetz als zustande gekommen, soweit der Bundesrat ihm zustimmt (Art. 81 Abs. 2 S. 1 GG). Das gleiche gilt, wenn die Vorlage vom Bundestag nicht innerhalb von vier Wochen nach der erneuten Einbringung verabschiedet wird. (Art. 81 Abs. 2 S. 2 GG). Wenn der Bundestag das Gesetz weiterhin nicht annimmt, so gilt es dennoch als verabschiedet, sofern der Bundesrat zustimmt. Das Instrument des Gesetzgebungsnotstands kann nur für einfache Gesetze, nicht für eine Änderung der Verfassung, genutzt werden. Dies stellt Art. 81 Abs. 4 GG klar und macht die Verfassung damit „krisenfest“.
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