Öffentliches Recht

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Die Bundesregierung

Gesetzgebungsnotstand nach Verneinung der Vertrauensfrage (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG)

Gesetzgebungsnotstand nach Verneinung der Vertrauensfrage (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG)

6. Juni 2025

5 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bundeskanzlerin K hat die Vertrauensfrage (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG) gestellt. Obwohl die absolute Mehrheit diese negativ beantwortet hat, will K keine Neuwahlen. Die einfache Mehrheit der Regierungsmitglieder will ein Gesetz zur Verlängerung der Mietpreisbremse erlassen.

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Einordnung des Falls

Gesetzgebungsnotstand nach Verneinung der Vertrauensfrage (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K ist nach der gescheiterten Vertrauensfrage verpflichtet, den Bundespräsidenten zu erbitten, den Bundestag aufzulösen (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG).

Nein!

Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG). Eine negativ beantwortete Vertrauensfrage hat keine zwingenden rechtlichen Konsequenzen. Weder muss der Bundeskanzler den Bundespräsidenten darum bitten, den Bundestag aufzulösen, noch muss der Bundespräsident dies tun, wenn der Bundeskanzler ihn darum ersucht. K ist nicht verpflichtet, den Weg für Neuwahlen zu ebnen.
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2. Der Bundestag lehnt die Gesetzesvorlage zur Verlängerung der Mietpreisbremse ab. Gibt es eine Möglichkeit, dass das Gesetz doch noch als verabschiedet gelten kann (vgl. Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG)?

Genau, so ist das!

Erbittet die Bundeskanzlerin nach einem gescheiterten Vertrauensantrag (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG) nicht die Auflösung des Bundestags beim Bundespräsidenten, so regiert sie in einer (Minderheits-)Regierung fort. In dieser wird es schwierig sein, die erforderlichen Mehrheiten im Bundestag zu finden, um Gesetze zu beschließen. Darum kann der Bundespräsident nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG den Gesetzgebungsnotstand erklären. Voraussetzungen für einen Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG sind: (1) Der Bundestag hat die Vertrauensfrage verneint (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG). (2) Der Bundeskanzler ist weiter im Amt, also weder zurückgetreten noch ist gemäß Art. 67 oder Art. 68 Abs. 1 S. 2 GG ein neuer Bundeskanzler gewählt worden. (3) Der Bundespräsident hat den Bundestag nicht aufgelöst. (5) Die Bundesregierung hat eine Gesetzesvorlage als dringlich bezeichnet. (6) Der Bundestag hat diese Gesetzesvorlage abgelehnt. (7) Die Bundesregierung (vgl. Art. 62 GG) hat mit Zustimmung des Bundesrats beim Bundestagspräsidenten die Erklärung des Gesetzgebungsnotstands beantragt. Dieses Instrument soll sicherstellen, dass die Regierung in Krisenzeiten nicht völlig handlungsunfähig wird.

3. Die Bundesregierung hatte die abgelehnte Vorlage zuvor als „dringlich“ bezeichnet. Kann sie nun zusammen mit dem Bundesrat einen Antrag auf Erklärung des Gesetzgebungsnotstands stellen (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG)?

Ja, in der Tat!

Die Dringlichkeitserklärung ist eine formelle Voraussetzung des Antrags auf Erklärung des Gesetzgebungsnotstands (Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG). Die Erklärung der Dringlichkeit ist eine einseitige Willenserklärung der Bundesregierung, die sie i.d.R. zusammen mit dem Gesetzesvorhaben in den Bundestag einbringt. Die Erklärung wird zuvor mit einer einfachen Merheit durch einen Kabinettsbeschluss (= Beschluss der Regierung) gefasst (§§ 20ff., 24 Abs. 2 S. 1 GO BReg). Die Vertrauensfrage ist gescheitert. K regiert weiter und der Bundestag ist auch nicht aufgelöst. Der Bundestag hat das als dringlich bezeichnete Gesetzesvorhaben abgelehnt. Damit liegen die Voraussetzungen für einen Antrag mit Zustimmung des Bundesrats nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG vor. Einer Bezeichnung der Gesetzesvorlage als „dringlich“ steht es gleich, wenn das Parlament eine Gesetzesvorlage annimmt, die die Regierung als unannehmbar bezeichnet hat oder sich der Bundestag nicht alsbald mit der Gesetzesvorlage befasst (vgl. § 99 Abs. 1 GO BT) oder wenn der Bundestag mehrfach wegen Beschlussunfähigkeit ergebnislos abgestimmt hat (vgl. § 99 Abs. 2 GO BT).

4. Der Bundesrat stimmt dem Antrag der Bundesregierung nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG zu. Muss der Bundespräsident nun zwingend den Gesetzgebungsnotstand erklären?

Nein!

Voraussetzungen für einen Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG sind: (1) Der Bundestag hat die Vertrauensfrage verneint (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG). (2) Der Bundeskanzler ist weiter im Amt, also weder zurückgetreten noch ist gemäß Art. 67 oder Art. 68 Abs. 1 S. 2 GG ein neuer Bundeskanzler gewählt worden. (3) Der Bundespräsident hat den Bundestag nicht aufgelöst. (5) Die Bundesregierung hat eine Gesetzesvorlage als dringlich bezeichnet. (6) Der Bundestag hat diese Gesetzesvorlage abgelehnt. (7) Die Bundesregierung (vgl. Art. 62 GG) hat mit Zustimmung des Bundesrats beim Bundestagspräsidenten die Erklärung des Gesetzgebungsnotstands beantragt. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann (Ermessen!) der Bundespräsident den Gesetzgebungsnotstand erklären. Dieser betrifft dann nur die konkrete Gesetzesvorlage. Er müsste für eine andere Vorlage also wieder (neu) unter den genannten Voraussetzungen ausgerufen werden.

5. Der Bundespräsident erklärt den Gesetzgebungsnotstand für das Gesetzesvorhaben zur Verlängerung der Mietpreisbremse. Könnte das Gesetz nun ohne Zustimmung des Bundestags als verabschiedet gelten (vgl. Art. 81 Abs. 2 GG)?

Genau, so ist das!

Lehnt der Bundestag die Gesetzesvorlage nach Erklärung des Gesetzgebungsnotstandes erneut ab, so gilt das Gesetz als zustande gekommen, soweit der Bundesrat ihm zustimmt (Art. 81 Abs. 2 S. 1 GG). Das gleiche gilt, wenn die Vorlage vom Bundestag nicht innerhalb von vier Wochen nach der erneuten Einbringung verabschiedet wird. (Art. 81 Abs. 2 S. 2 GG). Wenn der Bundestag das Gesetz weiterhin nicht annimmt, so gilt es dennoch als verabschiedet, sofern der Bundesrat zustimmt. Das Instrument des Gesetzgebungsnotstands kann nur für einfache Gesetze, nicht für eine Änderung der Verfassung, genutzt werden. Dies stellt Art. 81 Abs. 4 GG klar und macht die Verfassung damit „krisenfest“.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FalkTG

FalkTG

11.1.2025, 10:16:22

m.W. wurde hiervon ja noch nie - angesichts der krassen Konsequenzen - Gebrauch gemacht. Bei der Auflösung verlangt das BverfG ja eine materielle Auflösungslage. Wäre dies auch hier so? M.a.W. steht dem BVerfG ein Recht zu dies materiell zu überprüfen?

simon175

simon175

5.4.2025, 16:24:47

1. Hinweis: Bei der Reihenfolge fehlt der vierte Punkt. 2. Frage: Woraus ergibt sich die Beteiligung des Bundestagspräsidenten (aus Art. 81 GG ist das nicht ersichtlich)?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

8.5.2025, 17:18:13

Hallo @[FalkTG](241044), in der Tat scheint die Norm wohl bisher nicht ein einziges Mal angewendet worden zu sein (so jedenfalls BeckOK-GG/Pieper, 60. Ed, Stand 28.12.2024, Art 81 Vor Rn 1). Dementsprechend gibt es auch keine Rspr des BVerfG dazu und man kann nur mutmaßen, ob und inwiefern sich das BVerfG hier eine materielle Kontrolle vorbehalten würde. Da Art 81 I 1 GG auf Art 68 GG verweist und gerade einen solchen Fall voraussetzt, kann man mE gut vertretbar davon ausgehen, dass auch hier zunächst die von Dir angesprochene materielle Auflösungslage bestehen muss. Immerhin enthält Art 81 III 2 GG allerdings selbst ein gewisses zeitliches Korrektiv, damit die Auswirkungen des Art 81 II 1 GG selbst dann nicht vollkommen uferlos werden, wenn man die Voraussetzungen des Art 81 I 1 GG letztlich bejaht. Das Ermessen des BPräs hinsichtlich seiner Entscheidung nach Art 81 I 1 GG ist wiederum ohnehin nur sehr eingeschränkt gerichtlich überprüfbar (näher Huber/Voßkuhle/Brenner, GG, 8. Aufl 2024, Art 81 Rn 38). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

MAND

Mandy

8.5.2025, 16:55:35

Art. 80 I 1 GG setzt ja voraus, dass der BT nicht aufgelöst wurde. ich Frage mich nun, ob es nicht auch dann

erforderlich

sein könnte in der Zeit zwischen der Auflösung des BT und den Neuwahlen - das sind ja immerhin 60 Tage - den

Gesetzgebungsnotstand

auszurufen. Ist das Möglich? Insbesondere, wenn dringliche Anliegen eben nicht durch den aufgelösten BT abgelehnt werden?


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