Die Protokollverlesung zur Gedächtnisunterstützung nach § 253 StPO

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Im Prozess gegen A wird Z zu einem komplexen, mehraktigen Tatgeschehen vernommen. Z gibt auch nach Vorhalten aus ihrer polizeilichen Vernehmung an, sich nicht an die vorgehaltene Tatsache zu einem Abschnitt des Tatgeschehens zu erinnern. Daraufhin ordnet der Vorsitzende die Verlesung des Protokolls zu dieser Tatsache an und vernimmt Z danach zum übrigen Prozessstoff weiter.

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Einordnung des Falls

Die Protokollverlesung zur Gedächtnisunterstützung nach § 253 StPO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach § 250 StPO darf die Vernehmung einer Person in der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht durch Verlesung eines Vernehmungsprotokolls ersetzt werden.

Genau, so ist das!

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Verhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden (§ 250 StPO). Die §§ 251 ff. StPO kennen jedoch Rückausnahmen von diesem Verbot.
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2. Ein Protokoll über eine frühere Vernehmung kann zur Unterstützung des Gedächtnisses verlesen werden, wenn ein Zeuge angibt, sich an eine Tatsache nicht zu erinnern (§ 253 Abs. 1 StPO).

Ja, in der Tat!

Eine Ausnahmeregelung zum Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 StPO) findet sich in § 253 Abs. 1 StPO: Erklärt ein Zeuge oder Sachverständiger, dass er sich einer Tatsache nicht mehr erinnere, so kann der hierauf bezügliche Teil des Protokolls über seine frühere Vernehmung zur Unterstützung seines Gedächtnisses verlesen werden (§ 253 Abs. 1 StPO). Die Erklärung, sich nicht zu erinnern, muss ausdrücklich erfolgen, sondern kann sich auch aus den Umständen der Vernehmung ergeben. Zu verlesen ist derjenige Teil der Niederschrift, auf den sich die Erinnerungslücke bezieht.Die ebenfalls mögliche Verlesung zur Aufklärung von Widersprüchen (§ 253 Abs. 2 StPO) hat praktisch keine große Bedeutung.

3. Beweisinhalt wird im Falle des § 253 Abs. 1 StPO nur die Reaktion des Zeugen.

Nein!

Die Verlesung nach § 253 Abs. 1 StPO ist ein Urkundsbeweis, der - anders als der einfache Vorhalt als Vernehmungsbehelf - eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 250 StPO) darstellt. Während beim Vorhalt nur das verwertet werden darf, was der Vernommene auf den Vorhalt hin erklärt, wird bei § 253 StPO der Inhalt der früheren Aussage zum Gegenstand der Hauptverhandlung. Abzugrenzen ist nach dem Zweck der Verlesung.Verstünde man den § 253 Abs. 1 StPO so, dass nur unter dessen Voraussetzungen ein Vorhalt zulässig sei, so würde dies die Möglichkeit zulässiger Vorhalte zu stark einschränken. Einer solchen Einschränlung bedarf es gerade nicht, da Vorhalte nicht im Widerspruch zu § 250 StPO stehen. Zudem haben Vorhalte eine hohe Bedeutung im Sinne der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO).

4. Bevor das Gericht aber auf § 253 Abs. 1 StPO zurückgreift, muss der Zeuge vollständig, gegebenenfalls auch unter Einsatz von Vernehmungsbehelfen vernommen werden.

Genau, so ist das!

Im Grundsatz muss ein Zeuge vor Anordnung der Verlesung (§ 253 Abs. 1 StPO) vollständig, gegebenenfalls auch unter Einsatz von – regelmäßig ausreichenden –Vernehmungsbehelfen vernommen werden. Im Sinne bestmöglicher Wahrheitsfindung ist der Zeuge dabei zu veranlassen, im Zusammenhang anzugeben, was er wahrgenommen hat (§ 69 Abs. 1 S. 1 StPO). Daran anschließend ist er zu vernehmen (§ 69 Abs. 2 StPO). Diese Vorgaben verbieten es indes nicht, die Zeugenvernehmung im Interesse des Zeugen, aber auch einer zügigen Verfahrensführung angemessen zu strukturieren, namentlich komplexen Verfahrensstoff in einzelne Abschnitte zu gliedern. Führe Dir nochmal die Ausnahmefunktion der Norm vor Augen: Der Urkundenbeweis nach § 253 ist ultima ratio, nachdem das Gericht erfolglos versucht hat, den Beweis allein durch Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung zu erheben.

5. Durfte das Gericht die Verlesung des Protokolls nach § 253 Abs. 1 StPO vor der weiteren Vernehmung der Z anordnen?

Ja, in der Tat!

Ein Zeuge muss vor Anordnung der Verlesung (§ 253 Abs. 1 StPO) vollständig vernommen werden. Das Gericht darf die Vernehmung angemessen strukturieren, namentlich komplexen Verfahrensstoff in einzelne Abschnitte gliedern. Der Zeuge hat sein Wissen für das einzelne Beweisthema im Zusammenhang vorzutragen. Kann er sich dabei nach vollständiger Vernehmung an einzelne Tatsachen nicht erinnern, so begründet eine Verlesung einen Verstoß gegen § 253 Abs. 1 StPO grundsätzlich auch dann nicht, wenn anschließend die Vernehmung zu weiteren Themen fortgeführt wird.Da es sich um einen komplexen Vernehmungsgegenstand handelte, durfte das Gericht die Vernehmung in einzelne Abschnitte gliedern und die Verlesung nach vollständiger Ausschöpfung der Vernehmungsbehelfe für den einzelnen Abschnitt anordnen.

6. Die Verlesung des Protokolls war nach § 253 Abs. 1 StPO ausnahmsweise zulässig. Liegt ein Verstoß gegen § 250 StPO vor?

Nein!

Die §§ 251ff. StPO enthalten Ausnahmeregelungen vom Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 StPO). Liegen die Voraussetzungen einer Ausnahme vor, so verstößt die Verlesung des Protokolls gerade nicht gegen § 250 StPO. Hier greift die Ausnahmeregelungen der Verlesung des Protokolls zur Gedächtnisstütze (§ 253 Abs. 1 StPO), insbesondere hat das Gericht Z vor der Anordnung der Verlesung vollständig zu dem betroffenen Tatkomplex vernommen. Die Verlesung des Protokolls verstößt somit nicht gegen § 250 StPO.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

HAMD

Hamdi

17.7.2024, 15:16:36

Liebes Jura Fuchs Team, in der Erklärung heißt es „Die Erklärung, sich nicht zu erinnern, muss ausdrücklich erfolgen, sondern kann sich auch aus den Umständen der Vernehmung ergeben.“ Wahrscheinlich muss es „nicht ausdrücklich“ heißen, jedenfalls müsste die Erklärung noch einmal nachgebessert werden.


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