Anstiftung durch Unterlassen

22. November 2024

4,7(4.777 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A arbeitet an einem Filmset. Als Requisite fertigt sie ein Plakat an, auf dem für jeden € 500 ausgelobt werden, der den SUVs in der Nachbarschaft die Reifen zersticht. J nimmt das Poster fälschlicherweise ernst. Noch bevor er zur Tat schreitet, erfährt A davon. Allerdings hält sie ihn nicht zurück und J führt seinen Plan aus.

Diesen Fall lösen 75,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Anstiftung durch Unterlassen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat sich wegen Anstiftung zur Sachbeschädigung strafbar gemacht, indem sie das Plakat angefertigt hat, §§ 303 Abs. 1, 26 StGB.

Nein!

A müsste J dafür zu einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Tat bestimmt haben. Sie müsste zudem mit doppeltem Anstiftervorsatz, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben.Als J die Reifen zersticht, begeht er eine Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) und damit eine vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat. Den Tatentschluss hat A objektiv durch das Poster hervorgerufen und J somit im Wege des offenen geistigen Kontakts zur Tat bestimmt. Als A das Poster anfertigte, sollte es aber lediglich als Requisite für den Film dienen. Sie hatte damit keinen Vorsatz bezüglich der Begehung der Sachbeschädigung. Eine Strafbarkeit nach §§ 303 Abs. 1, 26 StGB scheidet aus.Folgt man der Unrechtspakttheorie, scheitert eine Strafbarkeit bereits am Bestimmen - denn A und J haben nicht kollusiv zusammengewirkt.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Ein gefährdendes Vorverhalten kann eine für eine Unterlassensstrafbarkeit nötige Garantenstellung begründen (Ingerenz).

Genau, so ist das!

Grundsätzlich kann eine Garantenstellung als sog. „Beschützergarant” oder „Überwachergarant” bestehen. Schafft jemand (im Normalfall: pflichtwidrig) eine Gefahr, so trifft ihn eine Überwachungspflicht. Er ist dann auch verpflichtet, Schaden abzuwenden, die in zurechenbarer Weise aus der geschaffenen Gefahrenlage herrühren.

3. A hat unstrittig jedenfalls eine Anstiftung durch Unterlassen begangen, als sie J nicht darüber aufklärte, dass es sich bei dem Plakat nur um eine Filmrequisite handelte, §§ 303 Abs. 1, 26, 13 StGB?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach einer teilweise vertretenen Auffassung kann in Fällen von Ingerenz eine Anstiftung auch durch Unterlassen begangen werden. Wenn, wie hier, bereits eine Erklärung bestehe, könne sich eine Handlungspflicht sehr wohl darauf beziehen, ein mögliches Bestimmen durch diese Erklärung zu verhindern. Die h.M. fordert für eine Anstiftung stets aktives Tun. Das läge daran, dass das Hervorrufen des Tatentschlusses eine aktive Einwirkung auf den Willen des Haupttäters verlange.Allein dadurch, dass A den J also nicht zurückgehalten hat, folgt nach herrschender Auffassung keine Strafbarkeit wegen Anstiftung zur Sachbeschädigung durch Unterlassen.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TI

Tinki

16.8.2024, 13:08:57

Mich erinnert der Fall hier an den Museumsfall ein paar Kapitel zuvor. Könnte mir jemand erklären, warum hier ein Bestimmen bejaht wird? Liegt es daran, dass die

Auslobung

eine Willenserklärung ist und dadurch ein geistiger Kontakt zwischen Täter und Anstifter besteht?

MAT

matse

28.10.2024, 18:31:13

Die Kommunikationstheorie setzt eine Einwirkung auf den Willen des Täters durch offenen geistigen Kontakt voraus. Begründet wird die Theorie damit, dass dem Anstiftenden das Hervorrufen des Tatentschlusses objektiv zurechenbar sein muss. Beim Museumsfall hatte der Mitarbeiter das Gemälde schlichtweg in einen Gang mit geringer Überwachung gehängt. Dadurch lässt sich noch keine Kommunikation mit dem Täter herleiten. Damit fällt die Handlung noch in das Spektrum eines erlaubten Risikos (

objektive Zurechnung

(-)). In diesem Falle allerdings hatte die Filmmitarbeiterin ein Plakat aufgehängt, welches T für echt hielt. Auf diesem stand klar und deutlich eine vermeintliche Anstiftungserklärung, weswegen hier ein Kontakt mit dem Täter zwar nicht unmittelbar, jedoch durch das Plakat bestand. (Ob das Plakat jetzt eine Willenserklärung im technischen Sinne darstellt oder ob eine

Auslobung

vorliegt ist nicht von großer Bedeutung. Vergleiche den Sachverhalt mit der obigen Definition statt hier zivilrechtlich zu prüfen.)


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen