Referendariat

Die Revisionsklausur im Assessorexamen

Begründetheit II: Verletzungen des Verfahrensrechts (Verfahrensrüge)

Abwesenheit des Angeklagten als absoluter Revisionsgrund - Entfernung des Angeklagten zur Aufrechterhaltung der Ordnung (§ 231b Abs. 1 StPO)

Abwesenheit des Angeklagten als absoluter Revisionsgrund - Entfernung des Angeklagten zur Aufrechterhaltung der Ordnung (§ 231b Abs. 1 StPO)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird vor dem Landgericht verurteilt. Während der Eröffnung der Urteilsgründe stört A die Vorsitzende trotz Ermahnung durch Zwischenrufe und Beleidigungen, bis diese sich gezwungen sieht, A durch „richterliche Anordnung” für die Verlesung aus dem Saal entfernen zu lassen (§ 177 GVG).

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Einordnung des Falls

Abwesenheit des Angeklagten als absoluter Revisionsgrund - Entfernung des Angeklagten zur Aufrechterhaltung der Ordnung (§ 231b Abs. 1 StPO)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Darf der Angeklagte aus dem Saal verwiesen werden, wenn er den Prozess stört?

Ja, in der Tat!

Angeklagte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, die den zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen nicht Folge leisten, können gemäß § 177 S. 1 GVG (1) aus dem Sitzungszimmer entfernt sowie (2) zur Ordnungshaft abgeführt und während einer zu bestimmenden Zeit, die vierundzwanzig Stunden nicht übersteigen darf, festgehalten werden. Gegen die Verteidigung, Staatsanwaltschaft oder einzelne Richter und Schöffen ist eine solche Maßnahme dagegen nach dem klaren Wortlaut des § 177 GVG nicht möglich.
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2. Wenn der Angeklagte gemäß § 177 GVG aus dem Saal entfernt wurde, kann entgegen § 230 Abs. 1 StPO in seiner Abwesenheit verhandelt werden (§ 231b Abs. 1 StPO).

Ja!

In Abwesenheit des Angeklagten kann nach § 231b Abs. 1 StPO verhandelt werden, wenn (1) er durch Beschluss nach § 177 GVG wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Saal entfernt wurde, (2) das Gericht seine weitere Anwesenheit nicht für unerlässlich hält, (3) die Befürchtung einer weiteren schweren Beeinträchtigung des Ablaufs der Hauptverhandlung durch das Verhalten des Angeklagten besteht, und (4) er Gelegenheit zur Äußerung zur Anklage hatte (§ 243 Abs. 5 S. 1, 2 StPO). Bei der Unerlässlichkeit der Anwesenheit und der Beeinträchtigungsprognose hat das Tatgericht einen vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessensspielraum.

3. Vorliegend ist also rechtmäßig in As Abwesenheit verhandelt worden (§ 231b Abs. 1 StPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

In Abwesenheit des A kann nach § 231b Abs. 1 StPO verhandelt werden, wenn (1) er durch Beschluss nach § 177 GVG wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Saal entfernt wurde, (2) das Gericht seine weitere Anwesenheit nicht für unerlässlich hält, (3) die Befürchtung einer weiteren schweren Beeinträchtigung des Ablaufs der Hauptverhandlung durch das Verhalten des Angeklagten besteht, und (4) er Gelegenheit zur Äußerung zur Anklage hatte (§ 243 Abs. 5 S. 1, 2 StPO). Das Tatgericht hielt seinen Ermessensspielraum ein. Zu diesem Zeitpunkt dürfte A auch hinreichend Gelegenheit zur Äußerung gehabt haben. Es fehlt aber an einem wirksamen Gerichtsbeschluss nach § 177 GVG. Die Entscheidung ist bei Maßnahmen gegen den Angeklagten durch „das Gericht”, mithin als Beschluss zu fassen (§ 177 S. 2 GVG). Der Vorsitzende entschied hier dagegen allein durch Anordnung.

4. Die Verhandlung in Abwesenheit des A verstieß gegen § 230 Abs. 1 StPO. Ist ihm zur Revision zu raten?

Nein, das trifft nicht zu!

Neben dem Normverstoß muss A für eine erfolgreiche Revision auch geltend machen können, dass das Urteil auf dem Fehler beruht. Die Vermutung nach § 338 Nr. 5 StPO greift allerdings nur, wenn A in einem wesentlichen Teil der Verhandlung abwesend war. Die Vermutungswirkung des § 338 Nr. 5 StPO hilft A hier nicht weiter, da es sich bei der Verlesung der Urteilsgründe, anders als bei der Verkündung der Urteilsformel, nur um einen unwesentlichen Teil der Hauptverhandlung handelt. Das Urteil ist wirksam verkündet und existent, sobald die Urteilsformel verlesen ist. Da hier nur noch die Urteilsgründe dargelegt werden, ist es ausgeschlossen, dass das Urteil auf der Abwesenheit des A beruht.Auch einen relativen Revisionsgrund (§ 337 StPO) kann A mangels Beruhen nicht erfolgreich geltend machen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JURAFU

jurafuchsles

6.2.2024, 12:04:01

mir erschließt sich leider nicht, dass das Gericht einen Beschluss fassen muss, woher kann ich das herleiten? Im Kommentar habe ich auch nichts wirklich dazu gefunden.

YAN

YannikT

12.2.2024, 14:49:25

Das ergibt sich aus § 177 S. 2 GVG. Da der Angeklagte an der Verhandlung beteiligt ist, entscheidet nicht der Vorsitzende sondern das Gericht. Auch in MG/S § 177 Rn. 11.


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