Öffentliches Recht

Grundrechte

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)

Mehrdeutige Äußerungen: Nichtbeachtung unterschiedlicher Deutungsvarianten

Mehrdeutige Äußerungen: Nichtbeachtung unterschiedlicher Deutungsvarianten

25. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Kritiker K verteilt auf einer Tagung des Sterbehilfevereins S Flugblätter. Danach fälsche S Lebensgeschichten ihrer Opfer. S klagt auf Unterlassung. Während das Ausgangsgericht meint, K hätte bloß eine Meinung geäußert, findet das Berufungsgericht, K würde falsche Tatsachen verbreiten und untersagt ihm die weitere Verbreitung. ‌

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Einordnung des Falls

Mehrdeutige Äußerungen: Nichtbeachtung unterschiedlicher Deutungsvarianten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Für die Beurteilung der Rechtfertigung eines Eingriffs macht es keinen Unterschied, ob die geschützte Äußerung eine Meinungs- oder Tatsachenäußerung ist.

Nein!

Das den Eingriff rechtfertigende allgemeine Gesetz muss seinerseits im Lichte des eingeschränkten Grundrechts ausgelegt werden (Wechselwirkungslehre). Dafür ist eine Abwägung zwischen der Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit und der Gefährdung des geschützten Rechtsguts nötig. Für die Abwägung ist unter anderem maßgeblich, ob ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung vorliegt. Bei der Tatsachenbehauptung ist insbesondere ihr Wahrheitsgehalt wichtig, der bei Werturteilen keine Rolle spielt. Denn die Verbreitung unwahrer Tatsachen ist schon nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit geschützt ist. ‌
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2. Das BVerfG befand in dem Originalfall, dass sowohl die Annahme einer Meinungs- als auch einer Tatsachenäußerung gut vertretbar sei. Ist dann immer die für den Grundrechtsträger schutzintensivste Auslegung zu wählen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ist eine Äußerung mehrdeutig, darf das Gericht nicht ohne weiteres die mildere oder die nicht zur Verurteilung führende Deutung wählen. Die gewählte Deutung ist vielmehr nachvollziehbar zu begründen. Im vorliegenden Fall befand das BVerfG beide Deutungen für vertretbar. Beide Gerichte haben im Bewusstsein der Tragweite der Meinungsfreiheit die umstrittene Äußerung anders ausgelegt. Die Aussage ist mehrdeutig. Für ihre Entscheidung haben beide Instanzen nachvollziehbare Gründe angegeben. Es liegt somit keine Grundrechtsverletzung vor. Es ist nicht Aufgabe des BVerfG, eine vertretbare (!) Entscheidung des Gerichts durch eine nach seiner Auffassung treffendere zu ersetzen. Liegt keine Grundrechtsverletzung vor, bleibt die angegriffene Entscheidung bestehen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AME

Amelie7

12.11.2024, 15:44:13

Hier heißt es, dass die Verbreitung unwahrer Tatsachen schon nicht geschützt ist, in den Themen des Schutzbereiches stand aber explizit dass "unwahre Tatsachen" in den Schutzbereich fallen und lediglich erwiesen unwahre und bewusste falsche Tatsachenbehauptungen nicht mehr in den Schutzbereich fallen.

JUDI

judith

12.11.2024, 18:31:17

Ich denke, dass in diesem Falle die Subsumtion, ob unwahre Tatsachenbehauptungen in den Schutzbereich fallen oder nicht, etwas verkürzt ausgefallen ist, da der Schwerpunkt dieser Aufgabe eher bei der Rechtfertigung des Eingriffs liegt. Die Aufgabenstellung impliziert also schon, dass ein entsprechender Eingriff vorliegt. Grds. können aber auch unwahre Tatsachenbehauptungen vom Schutzbereich erfasst. Nach BVerfG endet der Schutz unwahrer Tatsachenbehauptungen „erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können“. Um diese Abgrenzung klarstellend zu verdeutlichen, könnte man den Erklärungstext in Frage 1 wie folgt ergänzen: „…Verbreitung von erwiesenen oder bewusst unwahrer Tatsachenbehauptungen..“

AME

Amelie7

12.11.2024, 18:46:19

@judith danke für die Erklärung, es war mehr eine Bitte das einheitlich zu gestalten, da hier eben explizit steht dass der Schutzbereich dann schon nicht eröffnet wäre und sowas dann ja auch mal hängen bleiben kann


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