Bundestagswahl nach altem Wahlrecht

19. Februar 2025

10 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Es ist das Jahr 2021. Lawra (L) darf zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl mitwählen. L gibt ihre erste Stimme der Kandidatin Karla (K) der Partei P. Das zweite Kreuz auf ihrem Wahlzettel setzt L bei der Partei P. K erreicht in ihrem Wahlkreis die meisten Stimmen. P erreicht 10% aller gültigen Stimmen und gewinnt Direktmandate in 65 Wahlkreisen.

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Einordnung des Falls

Bundestagswahl nach altem Wahlrecht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wegen der Sperrklausel (§ 4 Abs. 3 BWahlG a.F.) hat die Partei P ihren Einzug in den Bundestag verpasst.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ziehen viele verschiedene politische Parteien in das Parlament ein, kann dies zu einer Zersplitterung der politischen Gruppierungen im Parlament führen. Um dem entgegen zu wirken, gibt es eine Sperrklausel, welche Parteien mit verhältnismäßig wenig gewonnener Stimmen vom Einzug in das Parlament ausschließt. Diese Sperrklausel liegt für die Bundestagswahl bei 5% der gültigen Stimmen (§ 6 Abs. 3 BWahlG a.F.). P hat 10% der bundesweit gültigen Stimmen erhalten. Damit ist P über die 5%-Hürde gekommen. Eine Ausnahme von der Sperrklausel besteht nach der sog. „Grundmandatsklausel“. Danach kann eine Partei auch dann in den Bundestag einziehen, wenn ihre sie zwar die 5%-Hürde nicht überwunden, die Partei aber mindestens drei Direktmandate gewonnen hat (§ 6 Abs. 3 BWahlG a.F.).
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2. K zieht über ihr Direktmandat in den Bundestag ein.

Ja, in der Tat!

Mit der Erststimme wählen die Wahlberechtigten direkt einen Abgeordneten aus ihrem Wahlkreis (§ 4 BWahlG a.F.). Wer die (relative) Mehrheit in seinem Wahlkreis erhält, zieht direkt in den Bundestag ein (Direktmandat). K hat in ihrem Wahlkreis gewonnen. Mit dem Direktmandat hat sie einen Sitz im Bundestag erhalten. Nach dem alten BWahlG gab es 299 Wahlkreise. 299 Sitze im Bundestag wurden daher über die Direktmandate besetzt.

3. Neben den 299 Direktmandaten werden 299 weitere Sitze im Bundestag nach dem Ergebnis der Verhältniswahl verteilt. Stehen der Partei P nach der Verhältniswahl weitere 30 Sitze im Parlament zu?

Ja!

Ihre Zweitstimme geben die Wahlberechtigten für die Landesliste einer Partei ab. Eine Partei bekommt grundsätzlich so viele Sitze im Bundestag, wie sie im Verhältnis zu den anderen Parteien Stimmen erhalten hat (§ 4 BWahlG a.F.), wobei nur die Parteien bei der Berechnung des Verhältnisses berücksichtigt werden, die tatsächlich über die Zweitstimme in den Bundestag einziehen. Die Ergebnisse werden auf- bzw. abgerundet. Die Sitze nach dem Ergebnis der Zweistimme werden unter den erfolgreichen Parteien aufgeteilt.Die Partei P hat bundesweit 10 % aller gültigen Stimmen erhalten. Von den weiteren 299 Sitzen stehen P damit 29,9 (also gerundet 30) Plätze zu. Keine Sorge! Nach welcher Formel die Parteien zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, musst Du nicht wissen.

4. Von den 65 Siegern aus den Wahlkreisen aus der Partei P bekommen nur 30 einen Sitz im Bundestag.

Nein, das ist nicht der Fall!

Alle Direktmandate ziehen in den Bundestag ein. Erhält eine Partei über die Direktmandate mehr Sitze, als ihr im Verhältnis zu den anderen Parteien zusteht (= Überhangmandate), wird dies dadurch ausgeglichen, dass die anderen Parteien auch mehr Sitze erhalten (= Ausgleichsmandate). Das führt dazu, dass die eigentlich vorgesehene Anzahl der Abgeordneten von insgesamt 598 (§ 1 BWahlG a.F.) nicht eigehalten wird. Nach der Bundestagswahl im Jahr 2021 zogen 734 Abgeordnete in den Bundestag. Da ein zu großes Parlament einige Probleme mit sich bringen kann und letztlich auch teuer ist, beschloss der Gesetzgeber zunächst die Reduzierung der Wahlkreise auf 280 statt 299. Zudem hat die Ampel-Koalition im Jahr 2023 eine weitere, umfangreiche Wahlrechtsreform verabschiedet, die wir uns in der nächsten Aufgabe anschauen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LLM

LLM

3.10.2024, 19:33:25

Hallo allerseits, Es scheint mir als sei diese Aufgabe noch auf dem alten Stand. Wann ist hier mit einer Aktualisierung zu rechnen? Vielen Dank und viele Grüße

TI

Timurso

4.10.2024, 10:34:57

Soweit ich das sehe, ist die Aufgabe bewusst auf dem alten Stand, um in der Folge den Unterschied zum neuen Wahlrecht darzustellen.

G0d0fMischief

G0d0fMischief

25.11.2024, 12:48:20

Eine Verständnisfrage zu den Direktmandaten. Wie verhält es sich, wenn eine Partei ein Direktmandat gewinnt, aber an der 5%-Hürde scheitert. Zieht dann der eine Abgeordnete in das Parlament ein oder nicht? Es gibt ja auch fraktionslose Abgeordnete im Parlament, sodass es ja grundsätzlich möglich sein sollte oder nicht?

AME

Amelie7

9.1.2025, 12:49:43

Ich glaube hier stand irgendwo, dass die Partei ab drei Direktmandaten auch unter der 5% Hürde einziehen kann, oder?

Cosmonaut

Cosmonaut

3.2.2025, 23:24:54

Hallo zusammen, hier müsst ihr vorsichtig die geltenden Fassungen des Wahlrechts differenzieren. Zudem sei erinnert: „Fraktionslos“ heißt mitnichten parteilos! Wahlrecht aF: Nach dem vor der 21. Wahlperiode des Bundestages gültigen Wahlrecht wurden von den mindestens 598 Bundestagsmandaten 299 direkt in den Wahlkreisen vergeben. Hier erhielt derjenige Kandidat das sogenannte Direktmandat, der die meisten Erststimmen der Wähler in seinem Wahlkreis auf sich vereinigen konnte. Wahlrecht nF: Nach dem ab der 21. Wahlperiode geltenden Wahlrecht erwirbt der Erststimmensieger im Wahlkreis nur dann ein Direktmandat, wenn dies vom Zweitstimmenergebnis seiner Partei im jeweiligen Bundesland gedeckt ist (Zweitstimmendeckung). Fraktion (vgl. § 10 Abs. 1 GoBT): Die Fraktionen des Dt BT sind freiwillige Zusammenschlüsse von mind. 5 % der Bundestagsmitglieder. Sie stellen zentrale Handlungseinheiten des BT dar. Scheitert eine Partei bereits an der 5%-Hürde, so wird sie im BT auch keine Fraktion begründen können (mind. 5% der MdB nötig!). Bestimmte Minderheitsparteien sind jedoch von der 5%-Hürde ausgenommen (vgl. „SSW“); hier kann auch ein Fraktionsloser „entstehen“. Nach neuem Wahlrecht dürfte infolge der Zweitstimmendeckung Fraktionslosigkeit infolge Direktmandats einer Unter-5%-Partei grds. nicht mehr ohne Weiteres möglich sein (korrigiert mich hier gerne). LG

AME

Amelie7

9.1.2025, 12:59:45

Ich habe aufgrund der Formulierungen hier ein wenig Probleme, das Problem der Überhangmandate zu verstehen. Es ist so, dass im Ergebnis von den insgesamt 598 Sitzen die Verteilung nach der Verhältniswahl aufgeteilt wird, richtig? Und nicht nur die 299? Denn dann würden der P doch aufgerundet 60 Sitze zustehen und es besteht nur ein Überhangmandat von 5 Abgeordneten? Oder verstehe ich das falsch? Durch manche Formulierungen hier finde ich das etwas verwirrend, als würden die 65 Direktmandate einziehen und dann zusätzlich 30 Mandate über die Verhältniswahl. Vielleicht kann mir da noch mal jemand erklären, wie genau das gemeint ist. Lieben Dank

ELEE

Elee

8.2.2025, 18:21:18

Ich verstehe es so, dass die Überhangmandate diejenigen Direktmandate sind, die die nach dem Ergebnis der Partei nach der Verhältniswahl zustehenden Mandate (hier 30 Sitze im BT) übersteigen, also hier 35. Die Aufteilung der Sitze nach der Verhältniswahl bezieht sich tatsächlich nur auf die Hälfte der Sitze, also nach altem Recht 299. Die übrigen 299 entfallen auf die Direktmandate. Damit dieses Gesamtergebnis (wie du mM. richtig annimmst 65 Sitze durch Direktmandate + 30 Sitze durch die Aufteilung nach Verhältniswahl) nicht die anderen Parteien iRd Aufteilung nach Verhältniswahl zulasten dieser außer Verhältnis setzt, kommen (gewissermaßen „on top“ auf die 299 Sitze nach Verhältniswahl) die entsprechenden Ausgleichsmandate hinzu, um wieder das Verhältnis herzustellen. Dazu kommt es folglich nur im „gesetzlichen Idealfall“ nicht – wenn die Partei also nur genauso viele Direktmandate erzielt, wie ihr nach der Verhältniswahl zustehen (hier also je 30 Sitze, die auf die jeweilige Hälfte der aufzuteilenden Sitze entfallen.) Ich hoffe, das stimmt so und hilft dir weiter 😅


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