Rücknahme eines begünstigenden VAs: Vertrauensschutz wegen Verbrauchs der Leistung


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Maler M erhält einen Bescheid über eine Künstlerförderung. Der Bescheid wurde aus Versehen an M und nicht an den eigentlich Berechtigten N gerichtet, was M nicht wissen konnte. Die Behörde will den rechtswidrigen Bescheid zurücknehmen. M hat das Geld bereits für Pinsel ausgegeben.

Einordnung des Falls

Rücknahme eines begünstigenden VAs: Vertrauensschutz wegen Verbrauchs der Leistung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts ist - im Vergleich zur Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts - nur eingeschränkt möglich.

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Genau, so ist das!

Will die Behörde einen begünstigenden Verwaltungsakt zurücknehmen, ist das aus Sicht des Adressaten grundsätzlich nachteilig. Die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts hingegen ist für den Bürger in der Regel vorteilhaft. Dementsprechend kann die Behörde einen belastenden Verwaltungsakt jederzeit zurücknehmen (§ 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG), einen begünstigenden Verwaltungsakt (Legaldefinition in § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG) jedoch nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 48 Abs. 2-4 VwVfG.

2. Der Förderbescheid ist ein begünstigender Verwaltungsakt.

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Ja, in der Tat!

Ein belastender Verwaltungsakt liegt vor, wenn die getroffene Regelung nachteilig für den Bürger ist. Dagegen liegt ein begünstigender Verwaltungsakt vor, wenn dieser ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (§ 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG). Durch den Förderbescheid wird die Rechtsgrundlage für die Auszahlung der Künstlerförderung geschaffen. Der Verwaltungsakt ist rechtlich vorteilhaft und damit ein begünstigender Verwaltungsakt. Die Subsumtion kann in einem unproblematischen Fall wie hier noch knapper ausfallen.

3. M's Interesse am Fortbestand der Begünstigung steht dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts gegenüber.

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Ja!

Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakt trifft den Adressaten besonders hart, wenn er auf den Fortbestand der Begünstigung vertraut hat. Andererseits besteht ein öffentliches Interesse daran, dass rechtswidrige Verwaltungsakte nicht länger bestehen bleiben, sondern zurückgenommen werden. Die Behörde muss die widerstreitenden Interessen gegeneinander abwägen, wenn sie den Verwaltungsakt zurücknehmen will. Eine Rücknahme ist nur möglich, wenn das öffentliche Interesse überwiegt. Die Details der Abwägung regelt § 48 Abs. 2, Abs. 3 VwVfG. Die Behörde kann den Förderbescheid nur zurücknehmen, wenn das öffentliche Rücknahmeinteresse überwiegt.

4. Die Zulässigkeit der Rücknahme von M's Förderbescheid richtet sich nach § 48 Abs. 3 VwVfG.

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Nein, das ist nicht der Fall!

§ 48 Abs. 2-4 VwVfG normiert Voraussetzungen der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte. § 48 Abs. 2 VwVfG regelt die Rücknahme von Verwaltungsakten, die einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistungen gewähren. Hat der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut und ist sein Vertrauen schutzwürdig, ist die Rücknahme ausgeschlossen. Die Norm regelt, wann das Vertrauen schutzwürdig (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG) und wann nicht schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG). Der Förderbescheid ist Grundlage für eine Geldleistung. § 48 Abs. 2 VwVfG ist einschlägig.

5. M's Vertrauen in den Bestand des Förderbescheids ist schutzwürdig, weil er die dadurch gewährte Künstlerförderung bereits für neue Pinsel ausgegeben hat. Der Bescheid darf nicht zurückgenommen werden.

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Ja, in der Tat!

Nach § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG darf ein Verwaltungsakt, der eine Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Rücknahmeinteresse schutzwürdig ist. Nach § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. M ging von der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus und hat die auf Grundlage des Förderbescheid gewährte Geldleistung bereits verbraucht.

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VO

Vojtech

29.10.2021, 01:02:33

Im Rahmen der Subsumption würde ich noch hinzufügen, dass das Vertrauen v.a. wegen der fehlenden Kenntnis des M um die Verwechselung der Adressaten schutzwürdig ist. Dafür spricht ja auch der Wortlaut (“in der Regel”), der gerade sagt, dass das Verbrauchen der fin. Mittel die Schutzwürdigkeit lediglich indiziert.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

31.10.2021, 10:23:35

Danke Vojtech, in der Tat schließt die Kenntnis/fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG) die Vermutugswirkung aus. Wir haben das insofern entsprechend in der Subsumtion ergänzt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SN

Sniter

23.8.2022, 15:27:58

Muss man beim Leistungsverbrauch iSd § 48 II 2 VwVfG nicht eine wirtschaftliche Betrachtung anlegen? Falls doch, denke ich, dass hier nicht von einem Verbrauch ausgegangen werden kann, weil der M das Geld zwar ausgegeben, aber dafür die Pinsel gekauft hat.

BL

Blotgrim

15.12.2022, 11:40:57

Also ich hatte gelernt, dass das Geld nicht als ausgegeben gilt, wenn es sich in anderer Form noch im Eigentum befindet bspw. bei der Tilgung von Schulden oder halt bei der Anschaffung von Maschinen. Sofern das richtig ist, wo ist hier der Unterschied?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.12.2022, 14:17:04

Hallo Blotgrim, hier schlägt die unterschiedliche Wertung der verschiedenen Rechtsgebiete ein. Du kennst diese Wertung der Entreicherung bzw. ersparten Aufwendungen vermutlich aus dem Zivilrecht im Rahmen des § 818 BGB. Im Verwaltungsrecht ist diese aber anders - hier stehen sich nicht zwei Private gegenüber, deren Interessen in ein Gleichgewicht gebracht werden müssen. Vielmehr steht dem Privaten der Staat gegenüber. Letzterer ist weniger schutzwürdig im Vergleich zum Privaten, der gutgläubig auf die Richtigkeit und den Bestand des VA vertraut hat. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Simon

Simon

23.12.2022, 23:02:08

Wäre hier nicht eher § 48 II 2 Alt. 2 VwVfG einschlägig? M hat die Leistung noch nicht verbraucht (da wirtschaftlich nich in seinem Vermögen), sondern lediglich eine Vermögensdisposition (Kauf der Pinsel) getroffen. Kann er diese zumutbar wieder rückgängig machen (zB aufgrund eines vertraglichen Rücktrittsrechts), ist sein Vertrauen nicht schutzwürdig und er muss die Subvention zurückzahlen.

BL

Blotgrim

12.2.2023, 19:09:10

Also ich habe bei Detterbeck § 10 Rn700 gelesen, dass eine Leistung nicht als verbraucht gilt wenn z.B Schulden getilgt werden oder bei wirtschaftlich sinnvollen Investitionen 🤔

PE

Peter

28.6.2023, 16:53:25

Schoch schreibt dazu in Schoch/Schneider: "Der Verbrauch gewährter Leistungen (in der Regel: Geldleistungen) liegt vor, wenn der zu Unrecht gezahlte Betrag für die allgemeine Lebensführung ausgegeben wird; kein „Verbrauch“ findet statt, wenn eine gewährte Leistung im Vermögen des Begünstigten noch vorhanden ist (z. B. durch die Anschaffung langlebiger Wirtschaftsgüter oder die Verwendung des Geldbetrags zur Schuldentilgung)." (Schoch/Schneider/Schoch, 3. EL August 2022, VwVfG § 48 Rn. 151) Demnach würden Pinsel als Verbrauchsgüter mE nicht darunter fallen, da diese nicht als langlebige, sondern eher kurzlebige Wirtschaftsgüter anzusehen sind. Ich bin aber auch auf eine Antwort gespannt :)


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