Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen der Polizei

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der eines Mordes verdächtige, inhaftierte B schweigt in seiner Vernehmung beharrlich. Um Erkenntnisse zu erlangen, wird Polizeibeamten P ins Gefängnis eingeschleust. Er gibt sich als Gefangener aus und freundet sich mit B an. Nach beharrlichem Nachfragen durch P räumt B die Tat ein.

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Einordnung des Falls

Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen der Polizei

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen der Polizei sind stets unzulässig.

Nein!

Die Polizei kann auch verdeckt ermitteln. Beispielsweise können Informanten, verdeckt ermittelnde Polizeibeamten, verdeckte Ermittler sowie Vertrauenspersonen (V-Leute) zur Erlangung von Erkenntnissen über begangene Straftaten eingesetzt werden. Der Einsatz verdeckter Ermittler ist ausdrücklich in § 110a StPO normiert. Die übrigen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen werden auf die Generalklausel des § 161 Abs. 1 S. 1 StPO bzw. § 163 Abs. 1 S. 1 StPO gestützt.Merke: Es gibt kein dem Strafverfahren zugrundeliegendes allgemeines Prinzip, dass das Ermittlungsinteresse stets offenbart werden muss.
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2. P ist ein verdeckter Ermittler (§ 110a Abs. 2 S. 1 StPO).

Genau, so ist das!

Verdeckte Ermittler sind Polizeibeamte, die unter einer ihnen verliehenen, auf Dauer angelegten, veränderten Identität (Legende, § 110a Abs. 2 S. 1 StPO) ermitteln und deren Tätigkeit nicht auf einzelne, konkrete Ermittlungsmaßnahmen beschränkt ist. P ermittelt hier unter der Identität eines Gefangenen und damit unter einer Legende. P ist ein verdeckter Ermittler nach § 110a Abs. 2 S. 1 StPO.Die Voraussetzungen für den Einsatz eines verdeckten Ermittlers sind in den §§ 110a, 110b StPO im Einzelnen geregelt. Lies dir die Normen einmal durch!

3. Der Einsatz des P als verdeckter Ermittler erfolgte ordnungsgemäß nach §§ 110a, 110b StPO. Dürfen die von B gegenüber P gemachten Angaben daher ohne weitere Prüfung verwertet werden?

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Verwertungsverbot für die durch einen verdeckten Ermittler erlangten Erkenntnisse kann sich zunächst daraus ergeben, dass die Voraussetzungen für dessen Einsatz nach §§ 110a, 110b StPO nicht vorlagen. Selbst wenn deren Anforderungen gewahrt sind, ist darüber hinaus aber auch zu prüfen, ob ein Verwertungsverbot eventuell wegen eines Verstoßes gegen die Belehrungspflichten (§§ 163a Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO) oder gegen den nemo-tenetur-Grundsatz vorliegt.

4. Da P seine Legende aufrechterhalten musste, hat er den B vor dem Gespräch und der Befragung nicht nach §§ 163a Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO belehrt. Folgt daraus ein Verwertungsverbot der erlangten Erkenntnisse?

Nein!

Eine Belehrungspflicht nach §§ 163a Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO besteht vor jeder polizeilichen Vernehmung. Eine Vernehmung liegt vor, wenn der Vernehmende dem Beschuldigten in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihm Auskunft verlangt. P trat dem B nicht in amtlicher Funktion gegenüber. Es lag keine Vernehmung vor. Es liegt damit auch kein Verstoß gegen die §§ 163a, 136 Abs. 1 S. 2 StPO vor. Auch eine entsprechende Anwendung der §§ 163a, 136 Abs. 1 StPO scheidet aus. B muss nicht vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht bewahrt werden. Denn er weiß, dass er sich gegenüber einer Privatperson nicht zur Tatbegehung äußern muss. Daher liegt auch keine unzulässige Umgehung der Belehrungsvorschriften vor.

5. Obwohl sich B ausdrücklich auf sein Schweigerecht berufen hat, hat P beharrlich weiter zur Tat nachgefragt. Liegt darin ein Verstoß gegen den „Nemo-tenetur-Grundsatz“, der zu einem Beweisverwertungsverbot führt?

Genau, so ist das!

Nach dem „Nemo-tenetur-Grundsatz“ darf niemand gezwungen werden, sich selbst zu belasten. Diese Selbstbelastungsfreiheit zählt zu den Grundprinzipien des rechtsstaatlichen Verfahrens. Wenn der Beschuldigte gegenüber den Strafverfolgungsbehörden erklärt, schweigen zu wollen, verdichtet sich der durch die Selbstbelastungsfreiheit gebotene Schutz. Diese Entscheidung für das Schweigen darf dann aber auch nicht von einem verdeckten Ermittler durch eine vernehmungsähnliche Befragung unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses unterlaufen werden. P hat den B beharrlich zur Tat ausgefragt und seine Vertrauensposition als „Freund“ des B ausgenutzt, obwohl B sich bereits ausdrücklich auf sein Schweigerecht berufen hat. Dadurch wurde gegen den „Nemo-tenetur-Grundsatz“ verstoßen. Die erlangten Erkenntnisse unterliegen somit einem Beweisverwertungsverbot.
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