Folgeproblem: Kondiktionsfestigkeit bei gutgläubigem Erwerb (§ 366 Abs. 1 HGB)


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V repariert und verkauft Autos. Das im Eigentum der E stehende Auto wurde von V repariert und steht abholbereit im Vorraum. K sucht bei V nach einem Auto ist sofort von Es Auto begeistert. V veräußert es im Namen der E an K. K denkt, V sei hierzu bevollmächtigt. E will ihr Auto zurück.

Einordnung des Falls

Folgeproblem: Kondiktionsfestigkeit bei gutgläubigem Erwerb (§ 366 Abs. 1 HGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E könnte gegen K einen Anspruch auf Herausgabe des Autos gem. § 985 BGB haben.

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Ja, in der Tat!

Der Anspruch auf Herausgabe des Eigentums setzt Folgendes voraus: (1) Anspruchssteller ist Eigentümer. (2) Anspruchsgegner ist Besitzer und (3) hat kein Recht zum Besitz. ‌

2. Der Herausgabeanspruch scheitert, wenn E ihr Eigentum an K verloren hat. Hat K Eigentum nach §§ 929 S. 1 BGB erworben?

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Nein!

Eine Eigentumsübertragung nach § 929 S. 1 BGB setzt (1) Einigung, (2) Übergabe, (3) Einigsein bei Übergabe und (4) Verfügungsbefugnis voraus.E hat selbst keine auf die Übertragung des Eigentums an K gerichtete Erklärung abgegeben. Auch hatte E der V keine Vertretungsmacht eingeräumt, sodass es schon an einer dinglichen Einigung fehlt. Ein Eigentumserwerb nach § 929 S. 1 BGB scheidet damit aus.

3. Ist K nach § 929 S. 1 BGB iVm 366 Abs. 1 HGB analog Eigentümer des Autos geworden?

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Genau, so ist das!

Nach herrschender Meinung wird über § 366 Abs. 1 HGB analog auch der gute Glaube an die Vertretungsmacht geschützt. Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs sind: (1) Der Veräußerer ist Kaufmann. (2) Es wird eine bewegliche Sache (3) im Betrieb eines Handelsgewerbes veräußert. (4) Der Erwerber ist in gutem Glauben an die Vertretungsmacht des Kaufmanns. (5) Die Sache ist nicht abhandengekommen (§ 935 BGB). Guter Glaube liegt vor, wenn dem Erwerber nicht bekannt oder grob fahrlässig unbekannt ist, dass der Veräußerer keine Vertretungsmacht hat (§ 932 Abs. 2 BGB, § 366 Abs. 1 HGB analog). Für E erklärte V die Einigung. K ging bei der Einigung davon aus, dass V als Vertreterin berechtigt ist und war damit gutgläubig hinsichtlich der Vertretungsmacht der V. Das Auto wurde übergeben. E als Eigentümerin war auch verfügungsbefugt. Der Herausgabeanspruch aus § 985 BGB scheitert somit aufgrund des Eigentumserwerbs des K.

4. Hat E an K geleistet i.S.d. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB?

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Ja, in der Tat!

Leistung ist die bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Ob eine Leistung vorliegt, ist im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) aus der Sicht eines objektiven Dritten (nach wohl h.M. aus der Sicht des Empfängers) zu beurteilen. Für den objektiven Dritten K erschien es, als würde V für E das Auto übereignen, mithin Ks Vermögen mehren. Eine Leistung des V kommt nicht in Betracht. V hat schließlich so getan, als würde er für E handeln und nicht in eigenem Namen.

5. Ist zwischen E und K ein Kaufvertrag zustande gekommen, der einen Rechtsgrund § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB darstellt?

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Nein!

E hat selbst keine auf Abschluss eines Vertrags mit K gerichtete Willenserklärung abgegeben. Auch hat E V keine Vertretungsmacht (hierfür) erteilt. § 366 HGB findet lediglich auf das Verfügungsgeschäft Anwendung („veräußert oder verpfändet“), sodass das Verpflichtungsgeschäft unberührt blelibt. V handelte also als Vertreter ohne Vertretungsmacht (vgl. § 177 BGB). Die Wirksamkeit des Vertrags hängt also von der Genehmigung des E ab. Spätestens in dem Herausgabeverlangen des E an K ist allerdings eine konkludente Ablehnung der Genehmigung zu sehen. Es besteht also kein wirksamer Kaufvertrag zwischen E und K. Hier ist klar zwischen dem aufgrund § 366 Abs. 1 HGB wirksamen Verfügungsgeschäft und dem unwirksamen Verpflichtungsgeschäft zu unterscheiden. Stichwort: Abstraktions- und Trennungsprinzip!

6. Nach hM stellt § 366 Abs. 1 HGB selbst aber einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der gutgläubig erworbenen Sache dar.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nach h.M. stellt § 366 Abs. 1 HGB gerade keinen Rechtsgrund dar, welcher den Erwerber vor einem Kondiktionsanspruch des früheren Eigentümers schütze. § 366 Abs. 1 HGB könne im Fall der fehlenden Vertretungsbefugnis in analoger Anwendung nur die fehlende Verfügungsbefugnis überwinden, nicht jedoch die Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts. Es besteht also kein Rechtsgrund für den Erwerb des Eigentums durch K. K hat das Auto an E herauszugeben. Eine andere Ansicht spricht sich dagegen dafür aus, dass § 366 Abs. 1 HGB zu einem kondiktionsfesten Eigentumserwerb führt und somit als Rechtsgrund herangezogen wird. Hierfür spreche, dass § 366 HGB sonst leer liefe.

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