Öffentliches Recht

Grundrechte

Allgemeine Grundrechtslehren

Grundfall I: Leistungsrechtliche Dimension der Grundrechte

Grundfall I: Leistungsrechtliche Dimension der Grundrechte

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A und B pflegen seit vielen Jahren eine nachbarschaftliche Fehde, die vor dem Amtsgericht G landet. Beschwerdeführer B beantragt die Durchführung der mündlichen Verhandlung, G weist die Klage jedoch ohne mündliche Verhandlung ab. B meint, dass er einen Anspruch auf rechtliches Gehör hat (Art. 103 Abs. 1 GG).

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Einordnung des Falls

Grundfall I: Leistungsrechtliche Dimension der Grundrechte

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist ein klassisches Abwehrrecht.

Nein!

Abwehrrechte sorgen dafür, dass die Freiheit der Bürger vor ungerechtfertigten bzw. willkürlichen Eingriffen des Staates gesichert ist und der Staat diese unterlässt. B möchte gerade nicht, dass das Gericht ein Verhalten unterlässt. Vielmehr verlangt er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. B begehrt also das aktive Handeln einer staatlichen Stelle. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist damit kein klassisches Abwehrrecht.
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2. Grundrechte können auch Leistungsrechte enthalten.

Genau, so ist das!

Manche Grundrechte enthalten auch eine leistungsrechtliche Dimension. Diese in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten enthaltenen Leistungs- bzw. Teilhaberechte sichern bestehende Abhängigkeiten des Einzelnen von Leistungen des Staates ab. Sie zielen auf die Herbeiführung eines staatlichen Handelns. Nur einige Grundrechte enthalten bereits ihrem Wortlaut nach ein Leistungsrecht (sog. originäre Leistungsrechte). Sie begründen echte Leistungsansprüche gegen die öffentliche Gewalt, wobei das Grundrecht selbst die Grundlage für den Anspruch bildet und dieser damit unabhängig davon besteht, ob die begehrte Leistung bereits existiert. Unter die originären Leistungsrechte fallen etwa der Anspruch auf Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 GG und der Anspruch auf politisches Asyl aus Art. 16a Abs. 1 GG.

3. Stellt der Anspruch des B auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG als grundrechtsgleiches Recht ein Leistungsrecht dar?

Ja, in der Tat!

Die in Grundrechten und in grundrechtsgleichen Rechten enthaltenen Leistungs- bzw. Teilhaberechte sichern bestehende Abhängigkeiten des Einzelnen von Leistungen des Staates ab. Sie zielen auf die Herbeiführung eines staatlichen Handelns.Der Anspruch auf rechtliches Gehör stellt wie andere Justizgrundrechte ein (originäres) Leistungsrecht dar, da Art. 103 Abs. 1 GG seinem Wortlaut nach ein aktives Handeln des Staates gewährt. Die zurückhaltende Verwendung von Leistungsrechten im Grundgesetz hat den Grund, dass diese den Staat finanziell sehr stark belasten können und daher nur mit Vorsicht garantiert werden, um eine finanzielle Überforderung des Staates durch verfassungsrechtlich gewährte einklagbare Ansprüche zu vermeiden. Bevor Du auf ein grundrechtliches Leistungsrecht abstellt, solltest Du zunächst prüfen, ob eine einfachgesetzliche Regelung existiert, die das grundrechtliche Leistungsrecht ausgestaltet. Diese genießt Anwendungsvorrang. Im vorliegenden Fall etwa wäre § 495a S. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu beachten. Dieser normiert, dass das Gericht auf Antrag mündlich verhandeln muss.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

NIE

Niels

13.11.2024, 07:56:27

Könnte man Artikel 20 des GG als Grundrecht oder grundrechtähnlich verstehen? Bzw. spezieller gefragt als originäres Grundrecht, sodass man so etwas wie ein Minimum an Sozialstaat verlangen könnte?

JUDI

judith

13.11.2024, 17:46:12

In Art. 20 GG sind die Staatsstrukturprinzipien verankert. Vereinfacht gesagt, stellen diese Prinzipien die Grundpfeiler der Verfassung dar und stehen unter dem Schutz der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 III GG), sodass sie nicht abgeschafft werden können. Sie sind eher als Teil des verfassungsrechtlichen Fundaments der Bundesrepublik Deutschland zu verstehen und bieten als verbindliche Prinzipien eine Leitlinie für die Organisation und das Handeln des Staates und dienen als Auslegungsrichtlinien bei der Anwendung von Gesetzen. Aus ihnen leiten sich aber keine unmittelbaren Leistungsansprüche für die Bürger ab.


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