Juristische Methodik

Juristisches Argumentieren

Argumentationstechniken

In welchem Verhältnis steht der Umkehrschluss zum Analogieschluss?

In welchem Verhältnis steht der Umkehrschluss zum Analogieschluss?

23. Juni 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Lawra (L) und Ferdinand (F) engagieren sich in einer politischen Gruppe. Abends ziehen L und F um die Häuser, um Plakate für das nächste „Neuentreffen“ aufzuhängen. An einer Litfaßsäule steht: „Das Ankleben von Plakaten durch Private ist verboten“. L schlägt vor, die Plakate mit Fs Nagelpistole zu befestigen.

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Einordnung des Falls

In welchem Verhältnis steht der Umkehrschluss zum Analogieschluss?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Hinweises ist auch das Annageln von Plakaten verboten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Zunächst solltest Du immer den Wortlaut einer Regelung betrachten bzw. auslegen. Der Wortlaut spricht nur vom Ankleben – das Annageln ist nicht ausdrücklich genannt. Ein Verbot kann also nicht ohne Weiteres aus dem Wortlaut allein abgeleitet werden.
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2. L meint: „Wenn Annageln nicht verboten ist, ist es erlaubt“. Hat L damit einen Umkehrschluss gezogen?

Ja, in der Tat!

Man kann den Umkehrschluss als Ergänzung der Wortlautauslegung sehen. Hier schaut man sich nicht an, was die Norm regelt (Wortlaut), sondern, was sie nicht regelt. Hinter dem Umkehrschluss steht die Idee der Vollständigkeit. Im juristischen Kontext bedeutet das etwa, dass man davon ausgeht, dass das Gesetz vollständig ist. Der Umkehrschluss behandelt zwei ähnliche Fälle, von denen einer geregelt und einer nicht geregelt ist, nicht gleich. Das Annageln ist hier nicht geregelt, sondern nur das Ankleben. Nach der Logik eines Umkehrschlusses für sich genommen dürften L und F die Plakate also annageln. Dieses Beispiel weckt vermutlich (richtigerweise) ein seltsames Gefühl bei Dir. Das liegt daran, dass in der Realität eben nicht alles abschließend geregelt ist und ein Umkehrschluss nicht immer zu einem lebensnahen Ergebnis kommt. Dazu im Folgenden!

3. F zweifelt: „Könnte es nicht sein, dass man das Verbot auch auf das Annageln anwenden muss?“. Ergib sich dieser Gedanke ebenfalls aus einem Umkehrschluss?

Nein!

Im Gegensatz zum Umkehrschluss geht man bei einem Analogieschluss davon aus, dass es durchaus Sachverhalte geben kann, die (aus Versehen) von bestimmten Normen nicht mit geregelt sind. In diesen Fällen besteht eine planwidrige Regelungslücke. Diese Regelungslücke kann man schließen, sofern der geregelte und der ungeregelte Fall vergleichbar sind. Oder anders gesagt: Wenn der größere Sinn einer Regelung eigentlich nur dann erfüllt werden kann, wenn man die Regelung auch auf weitere ungeregelte Fälle bezieht (= vergleichbare Interessenlage).Die Argumentation i.R.d. Analogieschlusses kann der Auslegung nach dem Sinn und Zweck einer Norm ähneln. Der Unterschied besteht darin, dass die Auslegung nach dem Sinn und Zweck durch die äußerste Wortlautgrenze einer Norm eingeschränkt wird. Mit der Analogie wird hingegen nicht gesagt: „Wir müssen die Norm – entgegen ihres Wortlautes verstehen,“ sondern vielmehr: „Wir wissen, dass die Norm diesen Fall eigentlich nicht regelt, wir müssen sie aber trotzdem ausnahmsweise anwenden.“

4. Ziel des Verbots ist es, dass sich keine Plakate von Privatpersonen auf der Littfaßsäule befinden. Erweckt die Regelung den Eindruck, dass das „Annageln“ absichtlich nicht geregelt wurde?

Nein, das ist nicht der Fall!

Voraussetzung eines Analogieschlusses ist, dass (1) eine planwidrige Regelungslücke besteht und (2) eine vergleichbare Interessenlage. Das Interesse, dass hinter dem Verbot des „Anklebens“ von Plakaten steht ist, dass keine Plakate von Privatpersonen (auf irgendeine Weise) an der Littfaßsäule befestigt werden. Dafür macht es keinen Unterschied, ob das Plakat angeklebt oder angenagelt wird (= vergleichbare Interessenlage). Aus einer lebensnahen Betrachtung lässt sich darauf schließen, dass es sich um einen „redaktionellen Fehler“ handelte, dass man „Ankleben“ statt z.B. „Anbringen“ geschrieben hat. Typischerweise werden Plakate angeklebt, sodass nachvollziehbar ist, dass die Person, die das Verbot formuliert hat, einfach nicht an andere Formen der Anbringung, wie z.B. das Annageln, gedacht hat (= planwidrige Regelungslücke). Nach einem Analogieschluss dürfen L und F die Plakate also auch nicht annageln.

5. Der Analogieschluss kommt zu einem anderen Ergebnis als der Umkehrschluss. Hat der Umkehrschluss immer Vorrang?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Umkehrschluss und die Analogie stehen nicht in einem Rangverhältnis, sondern beruhen auf verschiedenen Voraussetzungen. Der Umkehrschluss setzt voraus, dass etwas bewusst nicht geregelt wurde. Die Analogie setzt voraus, dass etwas versehentlich nicht geregelt wurde. Bestehen keinerlei Anhaltspunkte für die Voraussetzungen einer Analogie, so kann man von der Abgeschlossenheit der Regelung ausgehen. Im vorliegenden Beispiel ist der Analogieschluss vorzugswürdiger, da es wahrscheinlicher erscheint, dass das Annageln hier unbewusst nicht geregelt wurde.Merke Dir: „Schweigt das Gesetz, verneint es (Umkehrschluss). Es sei denn, der Gesetzgeber hat vergessen, zu sprechen (Analogieschluss).“ (Hildebrand, S. 83)
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