Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Allgemeiner Teil
Rücktritt bei Erreichung außertatbestandlicher Ziele, Täterschaft und Teilnahme (BGH, Urt. v. 05.04.2022 - 1 StR 290/21)
Rücktritt bei Erreichung außertatbestandlicher Ziele, Täterschaft und Teilnahme (BGH, Urt. v. 05.04.2022 - 1 StR 290/21)
19. April 2025
10 Kommentare
4,7 ★ (28.025 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A und B verfolgen C, um ihm eine Lektion zu erteilen und ihn notfalls tödlich zu verletzen. B bricht die Verfolgung ab. A erreicht C und rammt ihm bestärkt vom gemeinsamen Entschluss mit Tötungsvorsatz ein Messer in den Bauch. A trifft C nicht tödlich, stoppt aber, da C seine Lektion gelernt hat.
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Einordnung des Falls
Rücktritt bei Erreichung außertatbestandlicher Ziele, Täterschaft und Teilnahme (BGH, Urt. v. 05.04.2022 - 1 StR 290/21)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 14 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A könnte sich wegen versuchten Totschlags an C strafbar gemacht haben (§ 212, 22, 23 StGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. A hat mit Tatentschluss unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.
Genau, so ist das!
3. Indem A nicht weiter mit den Messer zustach und von C abgelassen hat, könnte er strafbefreiend zurückgetreten sein (§ 24 StGB).
Ja, in der Tat!
4. Der Rücktritt scheidet aus, da As Versuch fehlgeschlagen ist.
Nein!
5. Für einen erfolgreichen Rücktritt hätte A den Erfolgseintritt aktiv abwenden müssen (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
6. A hat sein beabsichtigtes Ziel, C eine Lektion zu erteilen, erreicht. Ist die Freiwilligkeit des Rücktritts damit unstrittig ausgeschlossen?
Nein, das trifft nicht zu!
7. A ist strafbefreiend von der versuchten Tötung zurückgetreten. Bleibt A auch im Übrigen straflos?
Nein!
8. Auch B hat selbst unmittelbar zum versuchten Totschlag sowie zur gefährlichen Körperverletzung angesetzt, indem er C kurz verfolgte.
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Wer sich noch vor Versuchsbeginn von der Tat lossagt, macht sich nach der Rspr. weder als Mittäter noch als Teilnehmer strafbar.
Nein, das trifft nicht zu!
10. Hat B einen prägenden Tatbeitrag in der Vorbereitungsphase geleistet, der eine mittäterschaftliche Stellung begründet (§ 25 Abs. 2 StGB)?
Nein!
11. B könnte sich durch dieselbe Handlung aber wegen Beihilfe (§ 27 StGB) zu einem versuchten Totschlag sowie einer gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht haben.
Genau, so ist das!
12. Eine rein psychische Beihilfe bleibt nach h.M. immer unbestraft.
Nein, das trifft nicht zu!
13. Scheitert die Strafbarkeit des B wegen Beihilfe daran, dass er sich innerlich losgesagt hat und seine Unterstützung beendet hat?
Nein!
14. Bs Beihilfe zum versuchten Totschlag steht in Tateinheit mit der Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
jenny24
11.7.2024, 06:35:29
der Gehilfe hat sich der Beihilfe des versuchten Mordes strafbar gemacht während der Haupttäter für den versuchten Mord straffrei bleibt. Der Opferschutz führt zu diesem eher nicht intuitivem Ergebnis.

Wendelin Neubert
14.7.2024, 12:21:54
Genau so ist es @[jenny24](201955). Der dogmatische Grund dafür liegt darin, dass die Teilnahme nur an eine vorsätzlich verwirklichte,
rechtswidrige Haupttat anknüpft und nach h.M. der
Rücktrittdes Haupttäters als besonderer
Strafaufhebungsgrunddie
Rechtswidrigkeitund Schuld seiner Haupttat nicht entfallen lässt. Auch bei einem
Rücktrittliegt daher eine tatbestandsmäßige,
rechtswidrige Haupttat i.S.d.
§ 27 StGBvor. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
tengil
14.7.2024, 09:20:52
Hi, wieso wird bei dem Tatnächsten § 24 II StGB/
Rücktrittbei mehreren Beteiligten nicht zumindest angeprüft? Finde es nicht so fernliegend, das anzusprechen und dann ggf. schon inzident hier die Art der Beteiligung anzusprechen.
Timurso
14.7.2024, 10:17:05
Ich denke auch, dass die Abgrenzung hier auf jeden Fall explizit gemacht werden sollte.

Wendelin Neubert
14.7.2024, 13:13:17
Hallo @[tengil](210811) und @[Timurso](197555), danke für Euren Beitrag. Gute Frage! § 24 Abs. 2 StGB gilt nach seinem Wortlaut („Sind an der Tat mehrere beteiligt...“, vgl. § 28 Abs. 2 StGB) erst einmal auch für Fälle, in denen – wie hier – ein Alleintäter durch eine Gehilfen unterstützt wird. Gibt der Alleintäter jedoch – wie hier – die weitere Ausführung der Tat auf (§ 24 Abs. 1 S. 1 StGB), so macht er auch ihre
Vollendungunmöglich. Deshalb wird § 24 Abs. 2 StGB beim Alleintäter, der durch einen Gehilfen unterstützt wird oder zur Tat angestiftet wurde, durch § 24 Abs. 1 StGB verdrängt (Fischer, StGB, 67.A. 2020, § 24 RdNr. 37; vgl. auch Schönke/Schröder/Eser/Bosch, 30.A. 2019, RdNr. 73, sprachlich leider schwer verständlich). § 24 Abs. 2 StGB ist deshalb hier für den Haupttäter nicht anzuwenden, sondern § 24 Abs. 1 StGB. Für den Gehilfen – in unserem Fall B – bleibt § 24 Abs. 2 StGB maßgeblich. Deshalb ist Bs innere Lossagung von der Tat wirkungslos. (P.S.: Der BGH erwähnt § 24 Abs. 2 StGB übrigens mit keinem Wort.) Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team
Erik_1995
7.3.2025, 13:00:12
Hatte B zum Zeitpunkt der Tat wirklich noch
Vorsatzhinsichtlich der Tötung? Er sagte sich davor bereits innerlich los. Kann man einer Person, die sich innerlich der Tat abgewandt hat, wirklich noch ein billigen unterstellen? Ich weiß, dass dies dies Wirkung des § 24 II weitgehend obsolet machen würde, aber B hier ein billigen zu unterstellen finde ich schon grenzwertig. Das Kernproblem ist hier glaube ich die Abgrenzung zwischen
Rücktrittund
Vorsatz. Ja, B hätte die erforderliche
Rücktrittshandlung selbst vornehmen müssen, aber die Frage erübrigt sich ja, wenn man kritisch seinen
Vorsatzbezüglich der Tötung des C untersucht. Und das Argument - dann hätte B eben einschreiten sollen - vermischt
Vorsatzund
Rücktritt, welche strikt zu trennen sind. B kann doch problemlos
vorsatzlos gewesen sein, ohne eine
Rücktrittshandlung vornehmen zu müssen?