1. Die zuständige Behörde erlässt aus diesem Grund gegen K eine Beseitigungsanordnung. K will dagegen vorgehen. Ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft?
Ja!
Die Anfechtungsklage ist statthaft, wenn der Kläger die Aufhebung eines gegen ihn gerichteten Verwaltungsakts begehrt.
Die Beseitigungsanordnung ist ein an K gerichteter belastender Verwaltungsakt gemäß § 35 S. 1 VwVfG. Somit ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft.
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2. Nach Klageerhebung durch K übertrug dieser das Eigentum an dem Grundstück auf die Nießbrauchsberechtigten. Ist seine Klage deswegen unstatthaft?
Nein, das ist nicht der Fall!
Die gegenüber dem Adressaten ergangene bauordnungsrechtliche Verfügung hat sich durch die Eigentumsübertragung nicht erledigt. Sie gilt kraft Gesetzes auch für die neuen Eigentümer als Rechtsnachfolger (im Fall gemäß § 58 Abs. 3 LBO; entsprechendes gilt nach den Bauordnungen der übrigen Bundesländer, z.B. § 58 Abs. 2 BauO Bln, Art. 54 Abs. 2 S. 3 BayBO, § 58 Abs. 3 BauO NRW 2018). Der Eigentumsübergang nach Rechtshängigkeit hat gemäß § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO analog auf den Prozess keinen Einfluss (RdNr. 37).
Achtung: Die im Ausgangsfall maßgebliche LBO Schleswig-Holstein wurden Ende 2021 novelliert. Die in der Entscheidung des OVG benannten Normen haben sich dabei geändert (z.B. ist die Rechtsnachfolge statt in § 59 Abs. 4 LBO jetzt in § 58 Abs. 3 LBO geregelt). Wir legen in der Falllösung die Normen der aktuellen LBO zugrunde.
3. Die Anfechtungsklage ist begründet, wenn die Beseitigungsanordnung rechtswidrig ist und K in seinen Rechten verletzt.
Ja, in der Tat!
So sollte dein Obersatz der Begründetheitsprüfung lauten. Dabei musst du prüfen, auf welcher Ermächtigungsgrundlage der Verwaltungsakt beruht und ob er formell und materiell rechtmäßig ist.
Rechtsgrundlage für die Beseitigungsanordnung ist hier § 80 S. 1 LBO (Achtung: vormals § 59 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 2 S. 1 Nr. 3 LBO). Nach § 80 S. 1 LBO kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, soweit nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
4. Die vorliegend nicht genehmigungsfreie Mauer wurde ohne Baugenehmigung errichtet. Ist ihre Errichtung deshalb formell illegal?
Ja!
Die Ermächtigungsgrundlage für die Beseitigungsanordnung (§ 80 S. 1 LBO) verlangt, dass die Anlage im Widerspruch zu den öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wurde. Dies ist u.a. bei sog. formeller Illegalität des Vorhabens der Fall. Eine solche liegt vor, wenn ein Vorhaben, das genehmigungsbedürftig ist, ohne eine Genehmigung errichtet wurde.
Hier war die Mauer keine genehmigungsfreie Anlage und somit genehmigungsbedürftig. Da die somit erforderliche Baugenehmigung für die Errichtung der Mauer nicht vorlag, war diese somit formell illegal (RdNr. 46).
5. Nach den Festsetzungen des Bebauungsplans müssen untergeordnete Nebenanlagen gemäß § 14 Abs. 1 BauNVO einen Abstand von mindestens 3m zu öffentlichen und privaten Verkehrsflächen einhalten. Ist die Mauer materiell illegal, wenn sie gegen Festsetzungen des Bebauungsplans verstößt?
Genau, so ist das!
Die Festsetzungen des Bebauungsplans gehören zu den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im Rahmen der Rechtmäßigkeit einer baurechtlichen Ordnungsmaßnahme wie der vorliegenden zu prüfen sein können. Prüfungsmaßstab können auch Vorschriften der Landesbauordnung sein.
Das Gericht prüfte hier zusätzlich einen Verstoß gegen die Abstandsbestimmungen der Landesbauordnung, lehnte diesen aber im Ergebnis ab.
6. Stellt die Mauer eine untergeordnete Nebenanlage iSd § 14 Abs. 1 BauNVO dar?
Ja, in der Tat!
OVG: „Untergeordnete Nebenanlagen sind danach u.a. Anlagen, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke dienen. Nebenanlagen können dabei nur Anlagen sein, die nicht Bestandteil des (Haupt-)Gebäudes sind. Zur Abgrenzung einer Nebenanlage vom Teil der Hauptanlage können funktionelle und räumliche Gesichtspunkte herangezogen werden“ (RdNr. 50).
Die Gartenmauer war mit dem Wohngebäude baulich nicht verbunden und ergänzt dessen Nutzung in lediglich dienender Weise. Demnach handele es sich um eine untergeordnete Nebenanlage gemäß § 14 Abs. 1 BauNVO.
Die BauNVO kann in der Baurechtsklausur eine bedeutende Rolle spielen: nicht nur, wenn der Bebauungsplan – wie hier – ausdrücklich auf diese verweist. Gemäß § 1 Abs. 3 BauNVO werden deren Vorschriften nämlich unmittelbar Bestandteil des Bebauungsplans, wenn dieser die in § 1 Abs. 2 BauNVO bezeichnete Baugebiete festsetzt.
7. Liegt ein Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften vor, sind die Tatbestandsvoraussetzungen für die Beseitigungsanordnung gemäß § 80 S. 1 LBO erfüllt.
Nein!
Zusätzlich zu einem Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften erfordert die Ermächtigungsgrundlage des § 80 S. 1 LBO, dass keine anderweitige Möglichkeit besteht, rechtmäßige Zustände herzustellen. Die Anordnung der Beseitigung einer baurechtswidrigen Anlage kommt somit nur als ultima ratio in Betracht. Als anderweitige Maßnahmen zur Herstellung rechtmäßiger Zustände kommen grundsätzlich die Gewährung von Ausnahmen nach § 31 Abs. 1 BauGB, Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB, Abweichungen nach § 67 Abs. 1 LBO oder Nebenbestimmungen in Betracht.
Hier kam nur die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB in Betracht.
Hier war die Mauer sowohl formell als auch materiell illegal. Somit musste hier nicht entschieden werden, ob für eine Beseitigungsanordnung allein die formelle Illegalität ausreicht. Vor dem Hintergrund des ultima ratio-Charakters der Beseitigungsanordnung (s.o.) wird für diese mehrheitlich gefordert, dass sowohl formelle als auch materielle Illegalität vorliegen müssen.
8. Eine Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB kann auch erteilt werden, wenn dadurch ein Vorhaben legalisiert wird, das vom Willen des Planers nicht erfasst war.
Nein, das ist nicht der Fall!
Eine Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB kann nicht erteilt werden, wenn sie die Grundsätze der Planung berührt. Ob eine Befreiung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem im Bebauungsplan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen. Es muss angenommen werden können, die Befreiung liege noch im Bereich dessen, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte.
OVG: Nach diesem Maßstab bleibe für eine Befreiung der Gartenmauer von den Festsetzungen des Bebauungsplans kein Raum, da so die von der Gemeinde angeführten Planungsziele nicht erreicht werden könnten. Insbesondere könnte der Fall zu einem Berufungsfall führen, der die entsprechende Bestimmung des Bebauungsplans bei Beachtung des Gleichheitssatzes letztlich hinfällig werden ließe (RdNr. 54).
9. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen räumt § 80 S. 1 LBO der Behörde auf Rechtsfolgenseite Ermessen ein. Dieses müsste sie ermessensfehlerfrei ausgeübt haben.
Ja, in der Tat!
Ermessensentscheidungen sind gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Es prüft aber, ob die Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat (s. §§ 40 VwVfG, 114 VwGO). Dies erfolgt anhand der sog. Ermessensfehlerlehre. Anerkannte
Ermessensfehler sind danach: (1) Ermessensnichtgebrauch, (2) Ermessensfehlgebrauch und (3) Ermessensüberschreitung.
10. Der Bauaufsichtsbehörde war der Umstand, dass die Mauer baurechtswidrig errichtet wurde, schon länger bekannt, bevor sie einschritt. Begründet das einen Ermessensfehler?
Nein!
Nach ständiger Rechtsprechung führt ein zeitlich verzögertes oder zunächst ausbleibendes Vorgehen der Baubehörde gegen baurechtswidrig errichtete Vorhaben nicht dazu, dass die bauordnungsrechtlichen Befugnisse nicht mehr ausgeübt werden dürften. Öffentlich-rechtliche Befugnisse zum Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände können nicht verwirkt werden.
Somit war es nicht ermessensfehlerhaft, dass die Behörde deutlich später einschritt als nach Kenntniserlangung der baurechtswidrig errichteten Mauer und die Beseitigungsverfügung anordnete. 11. Eine ermessensfehlerfreie Entscheidung fordert insbesondere, dass die Behörde den richtigen Verantwortlichen in Anspruch nimmt.
Genau, so ist das!
Öffentlich-rechtliche Befugnisse zur Beseitigung einer Gefahr – also auch die bauordnungsrechtliche Befugnis zum Erlass einer Beseitigungsanordnung – ist gegen einen Verantwortlichen (auch als Störer bezeichnet) zu richten. Das Gesetz unterscheidet dabei insbesondere zwischen dem Verhaltensverantwortlichen (= Handlungsstörer), also die Person, die die Gefahr durch eigenes Verhalten verursacht hat, und dem Zustandsverantwortlichen (=
Zustandsstörer), der die tatsächliche Gewalt über die Gefahrenquelle ausübt. Bei mehreren Verantwortlichen für eine Gefahrenquelle muss die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (Auswahlermessen) darüber entscheiden, gegen welche Person sie vorgehen will (sog. Störerauswahl).
12. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung.
Nein, das trifft nicht zu!
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes kommt es zwar im Ausgangspunkt auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an. Der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes richtet sich jedoch nach dem jeweiligen materiellen Recht.
Somit ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer baurechtlichen Beseitigungsanordnung nach § 80 S. 1 LBO auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (RdNr. 58).
Die Behörde ist somit verpflichtet, die Beseitigungsanordnung „unter Kontrolle zu halten“ und sie bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Betroffenen gegebenenfalls aufzuheben.
13. Ändert sich daran etwas dadurch, dass eine bauaufsichtliche Maßnahme nach § 58 Abs. 3 LBO auch für Rechtsnachfolger gilt?
Nein!
Daraus folgt vielmehr, dass auch eine nachträglich eintretende Rechtsnachfolge bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der getroffenen Störerauswahlentscheidung noch zu berücksichtigen ist. Eine bereits erlassene bauaufsichtliche Maßnahme soll im Fall einer Rechtsnachfolge in baurechtlichen Pflichten fortgelten, so dass auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Störerauswahl auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist (RdNr. 58). Das hat zur Folge, dass die Bauaufsichtsbehörde nach der Rechtsnachfolge unter Umständen eine verpflichtet ist, ihre Störerauswahl anzupassen (Nachbesserungspflicht)
Die Rechtsnachfolge (§ 58 Abs. 3 LBO) verallgemeinert den Grundsatz der aus der Grundstücksbezogenheit folgenden „Dinglichkeit“ bauaufsichtlicher Entscheidungen. Bauaufsichtliche Verfügungen sollen kraft ihrer Anlagen- und Grundstücksbezogenheit bei einem Eigentumswechsel gleichsam als „Annex“ auf den neuen Berechtigten mit übergehen (RdNr. 59).
14. K war als früherer Eigentümer Zustandsverantwortlicher, und der Nießbrauchsberechtigte, der die Mauer gebaut hat, Verhaltensverantwortlicher.
Genau, so ist das!
Der Eigentümer des Grundstücks oder die Person, die die tatsächliche Gewalt über die Anlage ausübt, sind als Zustandsverantwortlicher (Zustandsstörer) verantwortlich (§ 219 LVwG). Verhaltensverantwortlicher (Handlungsstörer) ist derjenige, der den baurechtswidrigen Zustand verursacht hat, also die Anlage erreichtet oder geändert hat (§ 218 LVwG)
Somit war K als (Mit-)eigentümer des Grundstücks Zustandsstörer. Der Nießbrauchsberechtigte, der die Mauer errichtet hat, war jedenfalls Handlungsstörer. 15. Bei der Auswahl des richtigen Störers bei mehreren verantwortlichen Personen hat sich die Behörde am Gebot einer möglichst schnellen und effektiven Störungsbeseitigung zu orientieren.
Ja, in der Tat!
Dieses gebot folgt aus dem Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr. Dabei kann auch eine Rolle spielen, dass der Eigentümer regelmäßig schneller und zuversichtlicher ermittelt werden kann. Das OVG nennt aber eine Einschränkung: „Ist der Behörde der Handlungsstörer bekannt und für die Behörde erkennbar, dass der Zustandsstörer kein eigenes Interesse an der betreffenden baulichen Anlage hat, ist es in der Regel ermessenfehlerhaft, den Eigentümer als Zustandsstörer anstelle des Handlungsstörers in Anspruch zu nehmen, wenn dies nicht zur wirksamen und schnellen Gefahrbeseitigung erforderlich ist“ (RdNR. 61).
Ausgehend davon war es ursprünglich ermessensfehlerhaft, K als Zustandsstörerers anstelle des Handlungsstörer in Anspruch zu nehmen (RdNr. 62). 16. Mittlerweile ist das Eigentum an dem Grundstück von K auf den Nießbrauchsberechtigten übertragen worden. Bleibt die Inanspruchnahme des K ermessensfehlerhaft?
Nein!
Auch wenn die ursprüngliche Inanspruchnahme des K als Zustandsstörer rechtswidrig war, ist durch die Rechtsnachfolge der Nießbrauchsberechtigte der heutige Zustandsstörer. Dieser ist aber zugleich auch Handlungsstörer, sodass die Auswahlentscheidung der Behörde im maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr zu beanstanden ist. Die Ermessensfehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung zwischen K und dem Nießbrauchsberechtigten entfällt (RdNr. 60, 63).
Dieses Ergebnis erscheint zunächst wenig einsichtig: Warum soll der ursprüngliche Zustandsstörer, dessen Inanspruchnahme ermessensfehlerhaft war, jetzt in Anspruch genommen werden können, nachdem er infolge des Eigentumsübergangs Nichtstörer ist? Hintergrund ist die Rechtsnachfolgeregelung des § 58 Abs. 3 LBO, durch die eine (rechtmäßige) Verfügung auch gegen den Rechtsnachfolger gilt und durchgesetzt (vollstreckt) werden kann. Dies soll eine „Verschiebung“ von Verantwortlichkeiten zulasten der effektiven Gefahrenabwehr verhindern. Könnte K sich auf seine fehlende Verantwortlichkeit infolge des Eigentümerwechsels berufen, mit der Folge, dass die Verfügung gegen ihn hier rechtswidrig wäre, so müsste die Behörde eine neue Beseitigungsverfügung gegen den neuen Eigentümer erlassen – verbunden mit erheblichen Verzögerungen und neuerlicher Klagemöglichkeit. Durch das hier gefundene Ergebnis wird ein „Ping-Pong-Spiel“ zu Lasten der Gefahrenabwehr vermieden. 17. Ks Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist begründet.
Nein, das ist nicht der Fall!
Die Beseitigungsanordnung war somit im maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit – im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 VwGO liegen somit nicht vor. Die Anfechtungsklage ist mithin unbegründet.