Öffentliches Recht

Europarecht

Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV

Geschriebene Rechtfertigungsgründe, Art. 45 Abs. 3 AEUV

Geschriebene Rechtfertigungsgründe, Art. 45 Abs. 3 AEUV

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Franzose A geht in Belgien der Prostitution nach und ist zeitgleich als Kellner angestellt. Belgien entzieht ihm die Aufenthaltserlaubnis mit Berufung auf die öffentliche Ordnung, unternimmt aber nichts gegen die Ausübung von Prostitution durch eigene Staatsangehörige.

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Einordnung des Falls

Geschriebene Rechtfertigungsgründe, Art. 45 Abs. 3 AEUV

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist vorliegend eröffnet.

Ja, in der Tat!

Arbeitnehmer i.S.d. Art. 45 AEUV ist jeder Unionsbürger, der während einer bestimmten Zeit weisungsgebunden Leistungen von einem wirtschaftlichen Wert für einen anderen erbringt und dafür als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Der Anwendungsbereich des Art. 45 AEUV setzt zudem die Unionsbürgerschaft und einen grenzüberschreitenden Bezug voraus. Als Kellner ist A weisungsgebunden und seine Tätigkeit wird vergütet. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit garantiert gemäß Art. 45 Abs. 3c) insbesondere das Recht sich in anderen Mitgliedstaaten aufzuhalten und dort einer Beschäftigung nachzugehen. A ist Unionsbürger, sodass auch der persönliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Auch der grenzüberschreitende Bezug ist gegeben.
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2. Die Entziehung der Aufenthaltserlaubnis durch die belgischen Behörden stellt einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 45 Abs.2 AEUV dar.

Ja!

Eine Diskriminierung besteht darin, dass rechtlich gleiche Sachverhalte unterschiedlich bzw. rechtlich unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden. Eine offene Diskriminierung ist dann gegeben, wenn die Ungleichbehandlung auf dem Differenzierungskriterium der Staatsangehörigkeit beruht. A wird die Arbeitserlaubnis entzogen, weil er der Prostitution nachgeht. Gegen belgische Staatsangehörige, die der Prostitution nachgehen, werden dagegen keine Maßnahmen. Gleiche Sachverhalte werden somit ungleich behandelt, wobei die Staatsangehörigkeit das Differenzierungskriterium darstellt. Es handelt sich um eine offene Diskriminierung.

3. Die Diskriminierung könnte gemäß Art. 45 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt sein.

Genau, so ist das!

Die in Art. 45 AEUV enthaltenen Vorbehalte erlauben es den Mitgliedstaaten Maßnahmen gegenüber anderen Staatsangehörigen vor dem Hintergrund der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zu rechtfertigen, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränken und daher grundsätzlich unzulässig sind. Auch offene Diskriminierungen lassen sich so rechtfertigen. Das Ziel der Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis ist es die Prostitution im Land zu verhindern. Es kommt daher eine Berufung auf Art. 45 Abs. 3 AEUV unter dem Aspekt der öffentlichen Ordnung in Betracht.

4. Die EU schreibt hinsichtlich der öffentlichen Ordnung eine einheitliche Wertskala vor. Die Mitgliedstaaten haben keinen Beurteilungsspielraum.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist ein b unbestimmter Rechtsbegriff, der unionsrechtsautonom ausgelegt wird. Unter der öffentlichen Ordnung versteht der EuGH hoheitlich festgelegte Grundregeln, die wesentliche Interessen des Staates berühren. Der EuGH setzt voraus, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der gesellschaftlichen Grundinteressen besteht. Den Mitgliedstaaten verbleibt bei der Auslegung jedoch ein gewisser Beurteilungsspielraum.

5. Der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung ist einschlägig, da durch den Entzug der Arbeitserlaubnis die Prostitution im Land verhindert werden soll.

Nein!

Trotz des nationalen Beurteilungsspielraums bei der Auslegung der öffentlichen Ordnung, kann ein Verhalten dann nicht als hinreichend schwerwiegend betrachtet werden, wenn der Staat keine Maßnahmen zur Bekämpfung des gleichen Verhaltens bei den eigenen Staatsangehörigen ergreift. Belgien ergreift keine Maßnahmen gegen die eigenen Staatsangehörigen, die der Prostitution nachgehen. Das Verhalten des A kann daher nicht als hinreichend schwere Gefährdung der gesellschaftlichen Grundinteressen und damit nicht als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gewertet werden. Der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung ist damit nicht einschlägig.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CLA

chuck lawris

2.7.2022, 09:20:40

Bei der abhängigen Beschäftigung (Schutzbereich) wurde auf das Kellner-Verhältnis abgestellt, nicht aber auf die Prostitution. Eingriff und RF stellen auf das Prost.-Verhältnis ab. SB und RF fallen damit sachlich auseinander. Die Prostitution dürfte doch hier gar keine weisungsgebundene Tätigkeit sein (außer bei Dominas -lel) und unter die Dienstleistungsfreiheit fallen, sodass darauf abzustellen sein müsste. Das Problem ist ja nicht die Kellnerei 🤷‍♂️

PH

Philippe

2.7.2022, 23:26:54

Es wurde ja die Aufenthaltserlaubnis entzogen und nicht nur die Arbeitserlaubnis speziell fürs Kellnern. Insoweit sehe ich da kein Widerspruch: die Ausübung von Prostitution ist der Grund für die Entziehung der Aufenthaltserlaubnis, infolge derer der Kellnerei nicht mehr nachgegangen werden kann.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

19.7.2022, 13:13:52

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