Unwirksame Beschränkung des Rücktrittsrechts (§ 309 Nr. 8 a) BGB)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

F kauft im Warenhaus Hertie Wandfarbe für ihre Wohnung. H verwendet AGB, die bestimmen, dass der Rücktritt vom Vertrag schriftlich und spätestens innerhalb einer Woche nach einer von H zu vertretenden Pflichtverletzung zu erklären sei.

Einordnung des Falls

Unwirksame Beschränkung des Rücktrittsrechts (§ 309 Nr. 8 a) BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Damit die Klausel an § 309 Nr. 8 a) BGB zu messen ist, müsste es sich um einen Vertrag zur Lieferung neu hergestellter Sachen oder über Werkleistungen handeln.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Im Gegensatz zu § 309 Nr. 8 b) BGB gilt das Klauselverbot des § 309 Nr. 8 a) BGB zunächst für alle Verträge, also auch grundsätzlich für Werk- und Kaufverträge. Soweit die vom Verwender zu vertretende Pflichtverletzung in einem Mangel der Kaufsache oder des Werks besteht, wird § 309 Nr. 8 a) BGB aber von der Spezialregelung des § 309 Nr. 8 b) BGB verdrängt. Da § 309 Nr. 8 a) BGB für alle Verträge gilt und es in der Klausel nicht um Pflichtverletzungen aufgrund einer mangelhaften Kaufsache oder eines Werkes geht, ist die Klausel an § 309 Nr. 8 a) BGB zu messen.

2. Die Bestimmung, dass der Rücktritt vom Vertrag innerhalb einer Woche zu erklären sei, verstößt gegen § 309 Nr. 8 a) BGB.

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Ja, in der Tat!

Nach § 309 Nr. 8 a) BGB sind Klauseln, die ein gesetzliches Lösungsrecht ausschließen oder einschränken, unwirksam. Gesetzliche Lösungsrechte sind insbesondere die §§ 323, 324,§ 326 Abs. 5 BGB sowie das Widerrufsrecht aus § 671 BGB. Eine Einschränkung liegt vor, wenn die Ausübung in einer vom Gesetz abweichenden Art und Weise verändert wird oder durch pflichtmodifzierende Bestimmungen dafür gesorgt wird, dass erschwert Pflichtverletzungen vorliegen und so ein Rücktritt mittelbar eingeschränkt wird. Die Bestimmung, dass der Rücktritt vom Vertrag innerhalb einer Woche zu erklären ist, verändert die gesetzlichen Rücktrittsvorschriften, wonach die Rücktrittserklärung nicht fristgebunden ist (§ 349 BGB). Das Rücktrittsrecht der F wird dadurch eingeschränkt, sodass ein Verstoß gegen § 309 Nr. 8 a) BGB vorliegt.

3. Die Bestimmung, wonach der Rücktritt schriftlich erklärt werden muss, verstößt ebenfalls gegen § 309 Nr. 8 a) BGB.

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Nein!

Nach § 309 Nr. 8 a) BGB sind Klauseln, die ein gesetzliches Lösungsrecht ausschließen oder einschränken, unwirksam. Keine unzulässige Einschränkung des Lösungsrechts liegt vor, wenn für die Ausübung in einer AGB-Klausel die Schriftform verlangt wird. Dies ergibt sich aus § 309 Nr. 13 BGB, der als lex specialis nur die Bindung an eine strengere Form als die Textform als unwirksam erklärt. Da der Gesetzgeber in § 309 Nr. 13 BGB nur die Bindung an eine strengere Form als die Textform für unwirksam erklärt, liegt in der Bestimmung, dass ein Rücktritt schriftlich zu erklären ist, keine unzulässige Einschränkung im Sinne des § 309 Nr. 8 a) BGB.

4. Die Klausel ist nach dem BGH insgesamt unwirksam, sodass die F den Rücktritt auch mündlich erklären kann.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Eine geltungserhaltende Reduktion einer unwirksamen AGB-Klausel auf ihren noch zulässigen Inhalt ist zum Schutz der anderen Vertragspartei unzulässig. Eine solche liegt aber nur vor, wenn eine einheitliche Klausel auf ihren noch zulässigen Teil abgeändert wird. Handelt es sich inhaltlich um verschiedene Klauseln, kann die eine Klausel trotz Unwirksamkeit der Anderen wirksam bleiben. Die Regelung über die Schriftform des Rücktritts und die verkürzte Erklärungsfrist sind inhaltlich zwei getrennte Klauseln, auch wenn diese sprachlich in einer Klausel enthalten sind. Der unwirksame Klauselteil ist auch nicht von so einschneidender Bedeutung , dass von einer gänzlich neuen Vertragsgestaltung gesprochen werden muss. Es handelt sich folglich nicht um eine geltungserhaltende Reduktion. Die Bestimmung zur Schriftform des Rücktritts bleibt wirksam. aA vertretbar

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QU

QuiGonTim

15.7.2022, 19:46:44

Die Wirksamkeit der Schriftformklausel habe ich noch nicht ganz verstanden. Sie ist nicht unwirksam, weil § 309 Nr. 8 lit. a BGB durch die lex speicialis § 309 Nr. 13 lit. b BGB verdrängt wird. Müsste sie dann nicht nach § 309 Nr. 13 lit. b BGB unwirksam sein? Für den Kaufvertrag über Wandfarbe sieht das Gesetz keine notarielle Beurkundung vor. Die AGB dürfen also kein Formerfordernis vorsehen, dass strenger ist als die Textform. Sie sehen hier doch gerade die strengere Schriftform vor.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.8.2022, 10:36:36

Hallo QuiGonTim, ich bin nicht sicher, ob ich deine Frage richtig verstanden habe. Der Sachverhalt spricht doch davon, dass die AGB Schriftform vorsehen und keine notarielle Beurkundung - die AGB entsprechen somit der Textformklausel. Wenn die Frage noch besteht, würde ich mich freuen, wenn du sie nochmal erläutern könntest. Liebe Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DA

Daniel

20.12.2022, 10:36:19

Ich habe die gleiche Frage: Die AGB schreiben Schriftform vor. Das ist eine strengere Form als die Textform. Damit müsste die Klausel doch ungültig sein?

der unerkannt geisteskranke E

der unerkannt geisteskranke E

16.1.2023, 18:03:21

Wäre es tatsächlich Schriftform nach 126, dann wäre die Klausel auch tatsächlich unwirksam. Der wesentliche Unterschied zwischen der Text- und der Schriftform ist allerdings die Notwendigkeit einer Unterschrift oder eines notariell beglaubigten Handzeichens bei der Schriftform. Davon ist im Sachverhalt aber keine Rede; in der Klausel wird also von einer Textform nach 126b gesprochen, die in 309 Nr. 13 b) ausdrücklich erlaubt wird.

DA

Daniel

16.2.2023, 10:54:45

Also wird die Klausel so ausgelegt, dass Textform gemeint ist. Das erscheint mir durchaus nicht fernliegend, sollte aber mMn in den Antworttexten diskutiert und nicht einfach vorausgesetzt werden.

Snow

Snow

14.8.2023, 19:17:35

Also die im Fall vorgegebene „Schriftform“ ist in Wirklichkeit eine Textform, weil zu der Bezeichnung als Schriftform nicht zusätzlich eine Pflicht zur Unterschrift enthalten ist? Obwohl dies in dem Wort „Schriftform“ bereits enthalten ist? Ist ja wohl irgendwie die abwegigerer Ansicht, naheliegender wäre es zu denken, dass das Wort „Schriftform“ bedeutet was es bedeutet.

Olaf Müller-Michaels

Olaf Müller-Michaels

29.9.2023, 08:49:47

Ich sehe das genauso. Jurafuchs Team, könnt Ihr im Sachverhalt Schriftform in Textform ändern?

Bubbles

Bubbles

6.11.2023, 13:17:04

Ist das der sogenannte "Blue-Pencil-Test"?

Dogu

Dogu

1.12.2023, 10:56:40

Nicht alle gesetzlichen Lösungsrechte werden hiervon umfasst. Vom Klauselverbot nicht erfasst werden Lösungsrechte in Kauf- oder Werkverträgen, die an den Mangel der Kaufsache oder des Werks anknüpfen.

LL

Leo Lee

2.12.2023, 18:34:36

Hallo Dogu, vielen Dank für dein Feedback! Du hast i.E. völlig Recht, dass 309 8a) ultimativ nicht Werk- oder Kaufverträge erfasst, weil lit. b) die spezielle Regelung ist. Beachte allerdings, dass lit. a) immer noch als GENERALklausel auch den Kauf- und Werkvertrag sehr wohl umfasst; nur wird bei Vorliegen dieser Vertragsarten lit. a) verdrängt (womit wir i.E. dazu kommen, dass lit. a) diese Verträge nicht erfasst…). Wir haben diese Aussage mit aufgenommen aus dogmatischen Gründen und bitten dir insofern um das Verständnis. Wie gesagt wird aber in der Klausur es völlig ausreichen, wenn man unter Hinweis auf den Spezialcharakter direkt den lit. b) prüft. Vertiefend kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Wurmnest § 309 Nr. 8 Rn. 7 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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