Unrechtseinsicht 1.1

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Jäger T schießt auf die Fenster seiner Nachbarn, weil er in Übung bleiben möchte, aber sich dazu entschieden hat, keine Tiere mehr zu töten. Er geht davon aus, das Schießen auf Gegenstände sei rechtlich nicht verboten. Er sieht auch keinen moralischen Verstoß, da er die Schäden im Nachgang freiwillig "ja auf jeden Fall ersetzen wird und es keinem schaden würde". Es werden einige Fenster zerstört.

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Einordnung des Falls

Unrechtseinsicht 1.1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hatte Tatbestandsvorsatz

Ja, in der Tat!

Tatbestandsvorsatz bezieht sich alleine auf den gesetzlichen Tatbestand. Der Vorsatz muss sich alleine auf die Erfüllung des objektiven Tatbestandes beziehen. J hat vorliegend Vorsatz fremde Sachen zu beschädigen. Demnach liegt Vorsatz vor.
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2. T hatte die Einsicht, Unrecht zu begehen.

Nein!

Unrechtseinsicht ist die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit der Tat und mithin das Einsehen, dass die Tat vom Gesetz verboten wird. J denkt vorliegend, dass das Schießen auf Gegenstände nicht gegen das Recht verstößt. Er erkennt die Rechtswidrigkeit der Tat daher nicht und unterliegt somit einem Verbotsirrtum.Da der Irrtum vermeidbar war, ist T dennoch wegen vollendeter Sachbeschädigung strafbar. Dazu mehr in den folgenden Kapiteln!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EB

Elias Von der Brelie

19.5.2023, 13:15:59

Ich bin mit diesen Fällen komplett verwirrt. Bitte sagt mir jemand, bedeutet das jetzt, dass er somit unschuldig ist, und nicht gestraft wird, oder gibt es dieses andere Kriterium noch, wo irgendwie nochmal das gleiche aber anders geprüft wird?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.5.2023, 09:38:50

Hallo Elias, super, dass Du noch einmal nachfragst! Beim Verbotsirrtum gilt es zwei Punkte zu prüfen: (1) Hat der Täter

Unrechtsbewusstsein

? Fehlt dem Täter dieses, so liegt ein Verbotsirrtum nach

§ 17 StGB

vor. Die typischen Fallgruppen sind hierfür: a) Irrtum über die Existenz des Verbots ("ich wusste nicht, dass das Zerschießen von Fenstern verboten ist"), b) Irrtum über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes ("ich dachte, es sei erlaubt, meine Kinder ordentlich zu verhauen, wenn sie unartig waren" --> elterliches Züchtigungsrecht wurde 2000 weitgehend abgeschafft, vgl. 1631 Abs. 2 BGB = "gewaltfreie Erziehung"), c) Irrtum über die Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes ("ich dachte, die Notwehr erlaube es mir, Kinder abzuschießen, die die Kirschen meines Kirschbaums stehlen"). An dieser Stelle darfst Du bei Deiner Prüfung aber nicht stehen bleiben! Wenn Du in den

§ 17 StGB

schaust, dann entfällt die Schuld nur dann, wenn (2) der (direkte/indirekte) Verbotsirrtum UNVERMEIDBAR war. Hieran sind strenge Maßstäbe zu stellen. So wäre es T hier im konkreten Fall ein leichtes gewesen, sich über die konkrete Rechtslage zu informieren. Somit fehlt es zwar am

Unrechtsbewusstsein

, der Verbotsirrtum war aber vermeidbar. Damit hat sich T der vollendeten Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht. Bei der Bemessung der Schuld KANN das Gericht berücksichtigen, dass T einem Verbotsirrtum unterlag und die Strafe entsprechend mildern. Dies ist aber nicht verpflichtend. Es bleibt insoweit bei der Binsenweisheit: "Unwissenheit schützt nicht vor Strafe". Ich hoffe, jetzt ist es klarer geworden :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LEO

Leonie

27.4.2024, 10:55:46

Ich habe eine Verständnisfrage: Intuitiv hätte ich hier auch bei der ersten Frage, ob der Täter

Unrechtsbewusstsein

hat, dieses verneint. Gedankliche Fallgruppe wäre das dann der Verbotsirrtum (Irrtum über Existenz des Verbots). Allerdings schwirrte mir dann noch das Problem im Kopf (von ein paar Fragen zuvor), ob das

Unrechtsbewusstsein

stets die Kenntnis der Sanktionierbarkeit voraussetzt. Nach der mM war dies zu bejahen, das

Unrechtsbewusstsein

also aufgrund der fehlenden Kenntnis zu verneinen. Die hM stellte aber darauf ab, dass nur ein Fehlen vorliegt, wenn keine Kenntnis der _rechtlichen Verbotenheit der Tat vorliegt, was auch zivil- und verwaltungsrechtliche Kenntnis bedeutet_. Da hätte ich dann doch hier argumentiert, dass der Täter zivilrechtlich weiss, dass man fremde Fenster nicht zerschießt, bzw. dann Schadensersatz zu zahlen hat (zB § 823 BGB). Damit wäre das fehlende

Unrechtsbewusstsein

zu verneinen gewesen. Ist hierbei der Hinweis zu verwerten gewesen, dass der Täter dachte es wäre okay, weil er ja für den Schaden einsteht? Ansonsten hätte ich hier gerade ein gedankliches Problem, das ich nicht zu lösen weiss. Vielleicht könnt ihr ja meinen Knoten lösen :)

LELEE

Leo Lee

28.4.2024, 13:00:17

Hallo Leonie, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Vorab: Deine Subsumtion ist sehr gut nachvollziehbar, zumal dieses Thema echt kein leichtes ist! Vorliegend weiß der Täter zwar, dass er an sich etwas tut, was so nicht in Ordnung ist (auf Gegenstände schießen). Er hat jedoch deshalb keine Einsicht, weil er meint, es sei schon ok, wenn man nach dem Schießen den Schaden entsprechend ersetzt. Er irrt sich also darüber, dass der Eintritt eines Schadens (also i.S.v. ersetzbar) Voraussetzung des Straftatbestands sein muss. Insofern unterliegt er diesbzgl. einem Verbotsirrtum i.S.e. Subsumtionsirrtums (er subsumiert insofern falsch, als die Ersetzung des Schadens eben nicht die Strafe entfallen lässt). Summa summarum lautet also die Antwort auf deine Frage: Der Täter weiß zwar, dass das Schießen an sich nicht ok ist. Er geht aber letztlich doch von einer fehlenden Strafbarkeit aus aufgrund der Möglichkeit des Schadensersatzes und „subsumiert“ dabei falsch :)! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Joecks/Kulhanek § 17 Rn. 35 f. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

LEO

Leonie

29.4.2024, 10:46:53

Vielen lieben Dank! Das hat den Knoten gelöst :)


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