Unrechtseinsicht 1.1
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Jäger T schießt auf die Fenster seiner Nachbarn, weil er in Übung bleiben möchte, aber sich dazu entschieden hat, keine Tiere mehr zu töten. Er geht davon aus, das Schießen auf Gegenstände sei rechtlich nicht verboten. Er sieht auch keinen moralischen Verstoß, da er die Schäden im Nachgang freiwillig "ja auf jeden Fall ersetzen wird und es keinem schaden würde". Es werden einige Fenster zerstört.
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Einordnung des Falls
Unrechtseinsicht 1.1
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hatte Tatbestandsvorsatz
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. T hatte die Einsicht, Unrecht zu begehen.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Elias Von der Brelie
19.5.2023, 13:15:59
Ich bin mit diesen Fällen komplett verwirrt. Bitte sagt mir jemand, bedeutet das jetzt, dass er somit unschuldig ist, und nicht gestraft wird, oder gibt es dieses andere Kriterium noch, wo irgendwie nochmal das gleiche aber anders geprüft wird?
Lukas_Mengestu
22.5.2023, 09:38:50
Hallo Elias, super, dass Du noch einmal nachfragst! Beim Verbotsirrtum gilt es zwei Punkte zu prüfen: (1) Hat der Täter Unrechtsbewusstsein? Fehlt dem Täter dieses, so liegt ein Verbotsirrtum nach §
17 StGBvor. Die typischen Fallgruppen sind hierfür: a) Irrtum über die Existenz des Verbots ("ich wusste nicht, dass das Zerschießen von Fenstern verboten ist"), b) Irrtum über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes ("ich dachte, es sei erlaubt, meine Kinder ordentlich zu verhauen, wenn sie unartig waren" --> elterliches Züchtigungsrecht wurde 2000 weitgehend abgeschafft, vgl. 1631 Abs. 2 BGB = "gewaltfreie Erziehung"), c) Irrtum über die Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes ("ich dachte, die Notwehr erlaube es mir, Kinder abzuschießen, die die Kirschen meines Kirschbaums stehlen"). An dieser Stelle darfst Du bei Deiner Prüfung aber nicht stehen bleiben! Wenn Du in den §
17 StGBschaust, dann entfällt die Schuld nur dann, wenn (2) der (direkte/indirekte) Verbotsirrtum UNVERMEIDBAR war. Hieran sind strenge Maßstäbe zu stellen. So wäre es T hier im konkreten Fall ein leichtes gewesen, sich über die konkrete Rechtslage zu informieren. Somit fehlt es zwar am Unrechtsbewusstsein, der Verbotsirrtum war aber vermeidbar. Damit hat sich T der vollendeten Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht. Bei der Bemessung der Schuld KANN das Gericht berücksichtigen, dass T einem Verbotsirrtum unterlag und die Strafe entsprechend mildern. Dies ist aber nicht verpflichtend. Es bleibt insoweit bei der Binsenweisheit: "Unwissenheit schützt nicht vor Strafe". Ich hoffe, jetzt ist es klarer geworden :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Leonie
27.4.2024, 10:55:46
Ich habe eine Verständnisfrage: Intuitiv hätte ich hier auch bei der ersten Frage, ob der Täter Unrechtsbewusstsein hat, dieses verneint. Gedankliche Fallgruppe wäre das dann der Verbotsirrtum (Irrtum über Existenz des Verbots). Allerdings schwirrte mir dann noch das Problem im Kopf (von ein paar Fragen zuvor), ob das Unrechtsbewusstsein stets die Kenntnis der Sanktionierbarkeit voraussetzt. Nach der mM war dies zu bejahen, das Unrechtsbewusstsein also aufgrund der fehlenden Kenntnis zu verneinen. Die hM stellte aber darauf ab, dass nur ein Fehlen vorliegt, wenn keine Kenntnis der _rechtlichen Verbotenheit der Tat vorliegt, was auch zivil- und
verwaltungsrechtliche Kenntnis bedeutet_. Da hätte ich dann doch hier argumentiert, dass der Täter zivilrechtlich weiss, dass man fremde Fenster nicht zerschießt, bzw. dann Schadensersatz zu zahlen hat (zB § 823 BGB). Damit wäre das fehlende Unrechtsbewusstsein zu verneinen gewesen. Ist hierbei der Hinweis zu verwerten gewesen, dass der Täter dachte es wäre okay, weil er ja für den Schaden einsteht? Ansonsten hätte ich hier gerade ein gedankliches Problem, das ich nicht zu lösen weiss. Vielleicht könnt ihr ja meinen Knoten lösen :)
Leo Lee
28.4.2024, 13:00:17
Hallo Leonie, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Vorab: Deine Subsumtion ist sehr gut nachvollziehbar, zumal dieses Thema echt kein leichtes ist! Vorliegend weiß der Täter zwar, dass er an sich etwas tut, was so nicht in Ordnung ist (auf Gegenstände schießen). Er hat jedoch deshalb keine Einsicht, weil er meint, es sei schon ok, wenn man nach dem Schießen den Schaden entsprechend ersetzt. Er irrt sich also darüber, dass der Eintritt eines Schadens (also i.S.v. ersetzbar) Voraussetzung des Straftatbestands sein muss. Insofern unterliegt er diesbzgl. einem Verbotsirrtum i.S.e. Subsumtionsirrtums (er subsumiert insofern falsch, als die Ersetzung des Schadens eben nicht die Strafe entfallen lässt). Summa summarum lautet also die Antwort auf deine Frage: Der Täter weiß zwar, dass das Schießen an sich nicht ok ist. Er geht aber letztlich doch von einer fehlenden Strafbarkeit aus aufgrund der Möglichkeit des Schadensersatzes und „subsumiert“ dabei falsch :)! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Joecks/Kulhanek § 17 Rn. 35 f. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Leonie
29.4.2024, 10:46:53
Vielen lieben Dank! Das hat den Knoten gelöst :)