Sicherungsübereignung zeitgleich

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Warenhändlerin W mietet ein Lager von V an. Zur Finanzierung des Einkaufs der Waren erhielt sie ein Darlehen von Bank B. Im Gegenzug übereignete sie an B zur Sicherheit alle gegenwärtigen und künftigen Waren, die sich in dem Lager befinden. Eine Woche später wird ein von W erworbener Schrank ins Lager verbracht.

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Einordnung des Falls

Sicherungsübereignung zeitgleich

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Reicht der Wert eines Gegenstandes nicht aus, um die Forderungen aller Gläubiger zu befriedigen, so kommt es entscheidend auf die Rangfolge der verschiedenen Sicherungsmittel an.

Ja, in der Tat!

Das Rangverhältnis zwischen den verschiedenen Sicherungsrechten ist immer dann relevant, wenn der Wert eines Gegenstandes, der als Sicherheit dient, nicht ausreicht, um die Forderungen aller Gläubiger zu befriedigen. Wer sich zuerst aus dem Gegenstand befriedigen darf, richtet sich nach der Rangordnung.
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2. Die Rangfolge der verschiedenen Sicherungsmittel ist grundsätzlich nach dem Prioritätsprinzip zu entscheiden.

Ja!

Wenn bereits sicherungsübereignete Sachen in die Mieträume eingebracht werden, geht das Vermieterpfandrecht dem Sicherungseigentum nach, da es mangels Eigentums des Mieters nicht entstehen kann. Wenn die Sicherungsübereignung erst nach der Einbringung der Sache in die Mieträume erfolgt, ist das Sicherungseigentum stets mit dem vorrangigen Vermieterpfandrecht belastet.

3. Die Bank ist Eigentümerin des Schranks nach §§ 929 S.1, 930 BGB geworden, als W diesen ins Lager brachte.

Genau, so ist das!

Voraussetzungen für eine wirksame Übereignung nach §§ 929 S. 1, 930 BGB sind: (1) Einigung über den Eigentumsübergang, (2) Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnis (§ 868 BGB), (3) Einigsein, (4) Berechtigung. W und B haben bereits vor Erwerb des Schranks durch W vereinbart, dass alle in das Lager der W eingebrachten Waren an B übereignet werden (antizipierte Einigung). Die Sicherungsabrede stellt dabei das Besitzkonstitut dar (antizipiertes Besitzkonstitut). Insbesondere wurde der Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt, da die Sicherungsübereignung eindeutig alle Waren umfassen soll, die in das Lager verbracht werden (Raumsicherungsvertrag). Folglich ist B mit Verbringen des Schranks ins Lager Eigentümerin des Schranks geworden.

4. Das Sicherungseigentum der Bank könnte allerdings mit einem vorrangigen Vermieterpfandrecht des V belastet sein.

Ja, in der Tat!

Ein Vermieterpfandrecht entsteht bei Vermietung von Gewerberäumen nach §§ 578 Abs. 2, 562 BGB, wenn (1) ein wirksamer Mietvertrag vorliegt, (2) eine Forderung aus dem Mietverhältnis besteht und (3) eine pfändbare, bewegliche Sache des Mieters (4) in die Mieträume eingebracht wurde. Zwischen V und W besteht ein Mietverhältnis nach §§ 535, 578 Abs. 2 BGB. Indem W den Schrank in das Lager gebracht hat, hat er die Sache willentlich in die Mieträume geschafft und damit eingebracht. Fraglich ist allerdings, ob es sich bei dem Schrank beim Einbringen auch um eine „Sache des Mieters“ im Sinne des § 562 BGB handelt. Denn W hat das Eigentum am Schrank bereits antizipiert an die Bank übertragen.

5. Bei einer solchen Kollision zwischen antizipierter Raumsicherungsübereignung und Vermieterpfandrecht tritt das Vermieterpfandrecht hinter der zeitlich vorher erfolgten antizipierten Sicherungsübereignung zurück (Prioritätsprinzip), sodass V kein Vermieterpfandrecht erworben hat.

Nein!

In einem solchen Kollisionsfall genießt das Vermieterpfandrecht zum Schutz vor dessen wirtschaftlicher Aushöhlung Vorrang vor dem Sicherungseigentum und erstreckt sich daher auch auf solche Sachen, die erst nach der (antizipierten) Sicherungsübereignung in das Warenlager eingebracht werden. Die strenge Anwendung des Prioritätsprinzips würde dazu führen, dass vom Vermieterpfandrecht infolge des Austausches der Gegenstände immer weniger Sachen erfasst würden; denn die aus dem Lager entfernten Sachen werden nach § 562a BGB pfandfrei und die neuen sind vorab aufgrund antizipierter Sicherungsübereignung stets mit dem Sicherungseigentum belastet. Da das Vermieterpfandrecht Vorrang genießt, war der Schrank somit eine „Sache des Mieters“, sodass V ein Vermieterpfandrecht am Schrank erworben hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CR7

CR7

14.1.2024, 19:59:28

Liebes Team, warum wird in der vorletzten Frage in der Subsumtion (Fraglich ist, ob es sich …) ein neuer Obersatz gebildet, aber letztlich nicht beantwortet? Besteht jetzt ein

Vermieterpfandrecht

an dem eingebrachten Schrank oder nicht? Wenn man vom Durchgangserwerb ausgeht, dann schon, weil es ja zumindest für eine juristische Sekunde Eigentum des W gab.

LENA

Lenale

18.2.2024, 15:30:16

Genau das frage ich mich auch. Ich wäre auch den Weg über den Durchgangserwerb gegangen, sodass man auch keine Ausnahme des Prioritätsprinzips konstruieren müsste, sondern das allenfalls als Untermauerung heranziehen könnte. Ist eine solche Lösung vertretbar?

Kind als Schaden

Kind als Schaden

28.6.2024, 13:06:05

Ich verstehe eure Frage, allerdings entstehen beide Rechte hier mMn gleichzeitig (Vgl. BeckOGK/Reuschle BGB § 562 Rn. 22). Die Frage nach dem Durchgangserwerb stellt sich insoweit dann nicht mehr, falls ich nichts übersehe. Eure Frage würde sich nur dann stellen, wenn die Sicherungs

übereignung

so interpretiert wird, dass die Waren überhaupt noch nicht im Lager angekommen sein müssen, um übereignet zu werden. "Künftig" bedeutet mMn, dass die Waren dennoch erst das Lager erreichen müssen, damit sie antizipiert sicherungsübereignet werden.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

16.9.2024, 10:34:46

Hallo @[CR7](145419), möglicherweise ist jemand aus unserem Team hier bereits tätig geworden, aber ich kann deinen Verweis auf die fehlende Antwort zu unserem Obersatz nicht ganz nachvollziehen. Deine Frage zum VermieterpfandR bzw dazu, ob es sich um eine Sache des Mieters handelt, wird iRd letzten Frage beantwortet ("Da das

Vermieterpfandrecht

Vorrang genießt, war der Schrank somit eine „Sache des Mieters“, sodass V ein

Vermieterpfandrecht

am Schrank erworben hat."). Zum Punkt des Durchgangserwerbs halte ich die Ausführungen von @[Kind als Schaden](207572) für durchaus vertretbar: Danach dürfte ein Durchgangserwerb ohnehin stattfinden. In der Sachverhaltsdarstellung heißt es, dass W den Schrank "erworben" hat, was tendenziell dafür spricht, dass der Eigentumserwerb durch W abgeschlossen ist (andere Möglichkeit: Eigentumserwerb erst durch Anlieferung im Lager, wissen wir aber nicht genau). Das VermieterpfandR entsteht nach dem

Wortlaut

des § 562 I 1 BGB definitiv erst mit Einbringen des Schranks ins Lager. Diskutieren kann man das für die Sicherungs

übereignung

. Nach der Sachverhaltsdarstellung greift sie nur für Waren, die sich im Lager befinden (Bestimmtheitsgrundsatz!) und die Tatsache der "Antizipierung" kann den Zeitpunkt nicht noch weiter vorverlagern. Rechtstechnisch würden VermieterpfandR und Sicherungs

übereignung

also genau gleichzeitig in dem Zeitpunkt wirksam, in dem der Schrank ins Lager gebracht wird. Dem VermieterpfandR wird dann der Vorrang eingeräumt. Eine Ausnahme vom Prioritätsprinzip müssten wir danach gar nicht unbedingt konstruieren, es handelt sich "nur" um eine zeitgleiche Kollision. Etwas anders dagegen unter anderem Schmidt-Futterer/Lammel, MietR, 16. Aufl 2024, § 562 Rn 25 und unsere Falllösung: Neu ins Warenlager eingebrachte Gegenstände sind schon vorab mit dem antizipierten Sicherungseigentum belastet. Dann ebenfalls Kollisionsproblem, aber vor allem auch "Problem" mit dem Prioritätsprinzip. Lösung letztlich aber identisch, VermieterpfandR geht vor. Ein Durchgangserwerb bei W dürfte nach hM grds aber auch hier stattfinden. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

CLF

clfrsc

9.5.2024, 13:33:51

Hallo, ist es denn wirklich so, dass das Sicherungseigentum in strenger Anwendung des Prioritätsprinzips vor dem

Vermieterpfandrecht

entsteht? Meinem Verständnis nach stehen beide Sicherungsrechte unter der Bedingung, dass die Waren in das Lager eingebracht werden. Diese Bedingung tritt für dann für beide Rechte gleichzeitig ein. Was habe ich falsch verstanden?

Kind als Schaden

Kind als Schaden

28.6.2024, 12:50:21

Du hast vollkommen Recht, die Lösung zur letzen Frage ist mMn irreführend. Die strenge Anwendung des Prioritätsprinzips führt bei der antizipierten Raumsicherungs

übereignung

zu einem gleichzeitigen Entstehen der konkurrierenden Rechte (Vgl. BeckOGK/Reuschle BGB § 562 Rn. 22).

FL

Flohm

17.9.2024, 12:06:22

Siehe auch Kommentare im anderen Thread, da wird es erläutert :)


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