Unwirksame doppelte Schriftformklausel

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

U hat Mitarbeitern fünf Jahre in Folge Weihnachtsgeld gezahlt. Als Arbeitnehmer A Weihnachtsgeld aufgrund betrieblicher Übung fordert, verweigert U Zahlung. In § 13 des vorformulierten Arbeitsvertrags steht: „Jegliche Vertragsänderungen sind nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart werden. Dies gilt auch für eine Änderung dieser Schriftformklausel.“

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Einordnung des Falls

Unwirksame doppelte Schriftformklausel

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine einfache Schriftformklausel kann verhindern, dass eine betriebliche Übung entsteht.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine einfache Schriftformklausel, nach der Änderungen und Ergänzungen des Vertrages der Schriftform bedürfen, verhindert nicht, dass eine betriebliche Übung entsteht. Grund dafür ist, dass eine solche einfache Schriftformklausel auch ohne Einhaltung der Schriftform abbedungen werden kann. Wenn die Parteien mündlich eine andere Regelung treffen, als sie bislang arbeitsvertraglich geregelt war, wird damit diese abweichende Regelung Vertragsgegenstand. Folglich bietet die einfache Schriftformklausel keinen ausreichenden Schutz davor, dass durch abweichende betriebliche Übung der Vertragsinhalt geändert wird.
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2. Eine wirksame doppelte Schriftformklausel kann die dauerhafte Übernahme einer Verpflichtung durch eine betriebliche Übung ausschließen.

Ja!

Eine doppelte Schriftformklausel liegt vor, wenn nicht nur Vertragsänderungen von der Schriftform abhängig gemacht werden, sondern auch die Änderung der Schriftformklausel ihrerseits. Sie kann verhindern, dass eine betriebliche Übung entsteht. Denn durch die Verwendung einer doppelten Schriftformklausel machen die Parteien deutlich, dass sie auf die Formstrenge besonderen Wert legen. Durch mündliche Abreden oder konkludentes Verhalten kann das Schriftformerfordernis für Vertragsänderungen somit nicht aufgehoben werden. Auch aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit kann nicht gefolgert werden, dass eine Schriftformklausel immer auch mündlich abbedungen werden können muss. Denn sonst würde die Nichtigkeitsfolge des § 125 S.2 BGB stets leer laufen.

3. Die arbeitsvertragliche Vereinbarung in § 13 des Arbeitsvertrages stellt eine einfache Schriftformklausel dar.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine einfache Schriftformklausel bestimmt, dass Änderungen und Ergänzungen des Vertrages nur wirksam sind, wenn sie schriftlich vereinbart werden. Eine doppelte Schriftformklausel hingegen erstreckt das Formerfordernis auch auf die Aufhebung der Formvereinbarung. Im § 13 des Arbeitsvertrages ist festgelegt, dass sowohl Vertragsänderungen der Schriftform bedürfen, als auch die Aufhebung der Schriftformvereinbarung. Damit liegt eine doppelte Schriftformklausel vor. Diese könnte das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindert haben. Dafür müsste sie allerdings auch wirksam sein.

4. § 13 des Arbeitsvertrages unterliegt der AGB-Kontrolle nach §§ 307ff. BGB.

Ja, in der Tat!

Damit eine Inhaltskontrolle nach §§ 307ff. BGB stattfinden kann, muss es sich bei der Klausel (1) um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs.1 BGB) handeln, die (2) wirksam in den Arbeitsvertrag einbezogen worden ist (nach § 310 Abs. 4 S.2 BGB sind § 305 Abs.2, 3 BGB nicht anwendbar). Zudem darf es (3) keine überraschende Klausel sein (§ 305c Abs.1 BGB) und (4) keine vorrangige Individualabrede existieren (§ 305b BGB). Überdies muss (5) der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs.3 BGB eröffnet sein. Die Schriftformklausel soll den Inhalt des Arbeitsvertrags gestalten, wurde von U einseitig gestellt, für Vielzahl von Verträgen vorformuliert und ist somit eine AGB. Auch die sonstigen Voraussetzungen liegen vor. Insbesondere ist der Anwendungsbereich nach § 307 Abs.3 BGB eröffnet, da vom schuldrechtlichen Grundsatz der Formfreiheit abgewichen wird. Folglich unterliegt § 13 der AGB-Kontrolle.

5. § 13 des Arbeitsvertrages verstößt gegen ein spezielles Klauselverbot (§§ 309, 308 BGB).

Nein!

Werden Klauseln gegenüber Verbrauchern verwendet, sind Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit gemäß § 309 BGB und anschließend Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit gemäß § 308 BGB zu prüfen. Erst im Anschluss, ist ergänzend auf die Generalklausel des § 307 BGB zurückzugreifen. Hier sind keine Klauselverbote der §§ 309, 308 BGB ersichtlich.Insbesondere greift § 309 Nr. 13 BGB nicht. Die Norm gilt lediglich für einseitige Erklärungen oder Anzeigen, nicht aber für vertragliche Absprachen der Parteien.

6. § 13 des Arbeitsvertrages verstößt aber gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs.1 S.2 BGB).

Genau, so ist das!

Die Vereinbarung einer doppelten Schriftformklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Formulararbeitsvertrages ist wegen Verstoßes gegen § 307 Abs.1 S.2 BGB nichtig, wenn dadurch der Anschein erweckt wird, dass abweichende mündliche Nebenabreden nicht möglich sind. Denn dies ist hinsichtlich des Vorrangs der Individualabrede (§ 305b BGB) irreführend und stellt somit eine unangemessene Benachteiligung dar.§ 13 enthält keine Klarstellung, dass mündliche Individualabrede weiterhin wirksam vereinbart werden können.

7. A hat einen Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes aus § 611a Abs.2 BGB iVm den Grundsätzen der betrieblichen Übung.

Ja, in der Tat!

Ein Anspruch aus betrieblicher Übung wird durch eine wirksame doppelte Schriftformklausel verhindert. Zwar ist im Formulararbeitsvertrag eine doppelte Schriftformklausel enthalten. Jedoch ist sie wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs.1 S.2 BGB) und wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam. Damit wird das Entstehen der betrieblichen Übung nicht verhindert, sodass A einen Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Leni

Leni

31.10.2023, 11:39:53

Irgendwie fand ich es nicht zwangsläufig gegeben, dass es sich bei dem Arbeitsvertrag um AGB handelt, diesbzgl. waren doch keine Infos im Sachverhalt?

LELEE

Leo Lee

4.11.2023, 12:32:46

Hallo Leni, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat ging alleine von „§ 13“ nicht deutlich aus, dass es sich beim Arbeitsvertrag um eine AGB handelt. Wir haben nun den Begriff „vorformuliert“ mit aufgenommen, damit künftig Missverständnissen vorgebeugt werden kann :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Dogu

Dogu

1.2.2024, 15:45:51

S.o.

LELEE

Leo Lee

3.2.2024, 18:46:43

Hallo Dogu, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man meinen, die Vereinbarung bzgl. der betrieblichen Übung sei abgesehen von den in der Aufgabe genannten Erklärungen aufgrund 309 13b unwirksam. Beachte jedoch, dass Nr. 13 b) nur EINSEITGE Erklärungen oder Anzeigen erfasst. Bei der betrieblichen Übung – und in diesem Fall hingegen – geht es hauptsächlich darum, inwiefern der Arbeitsvertrag (der nicht die betriebliche Übung inkludiert) durch die Übung ergänz/verändert werden kann. Und genau hier setzt der Fall an: Reicht es aus, wenn eine Klausel besagt, dass Änderungen/Ergänzungen des Arbeitsvertrags (um einen Anspruch auf Weihnachtsgeld AUFGRUND betrieblicher Übung) der Schriftform bedürfen (einfach), oder muss es eine

doppelte Schriftformklausel

sein? Sprich, 13 Nr. b) meint einen anderen Fall :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Dogu

Dogu

15.2.2024, 14:48:04

Danke für die Erklärung. Vielleicht wäre dies eine kleine Ergänzung der Musterlösung im Erläuterungstext wert? ;)

FW

FW

4.8.2024, 21:10:46

Wie würde man das dann in diesem Fall im Vertrag richtig formulieren? Hat jemand ein Beispiel?

B.H.

B.H.

8.10.2024, 15:31:30

Wann wäre die

doppelte Schriftformklausel

wirksam? Wenn die

Individualabrede

aus § 305 b BGB Vorrang gegenüber den AGBs genießt? Es müsste demnach trotz der doppelten

Schriftformklausel

einen Restbereich geben, in welchem auch mündliche Abreden möglich sind?

LELEE

Leo Lee

13.10.2024, 06:28:23

Hallo B.H., vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Bei den AGB - die eben formularhaft formuliert sind - greift (allen voran aus den Gedanken des Verbraucherschutzes) der 305b, weshalb diese Abrede dann zurücktritt. Eine solche qualifizierte Klausel ist aber bei Individualverträgen - also KEINE AGB - dann wirksam. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Einsele § 125 Rn. 71 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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