Öffentliches Recht

Grundrechte

Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG)

Aufhebung des Versammlungsverbots der Corona-Demonstration

Aufhebung des Versammlungsverbots der Corona-Demonstration

3. Juli 2025

14 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Querdenker Q meldet für den 29.08.2020 eine Demo in Berlin mit 20.000 Teilnehmern inklusive Hygienekonzept an. Die zuständige Behörde P erlässt am 26.08.2020 wegen der Infektionsgefahr ein Versammlungsverbot und stützt sich auf Erfahrungen aus vergangenen Querdenker-Demos. Q geht dagegen gerichtlich vor.

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Einordnung des Falls

Aufhebung des Versammlungsverbots der Corona-Demonstration

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Rechtsgrundlage für den Erlass des Versammlungsverbots war § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG).

Genau, so ist das!

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet wäre. Wegen der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) darf ein Versammlungsverbot nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter und unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausgesprochen werden.§ 15 VersG wird nur noch angewendet, wenn die Länder keine eigenen Versammlungsgesetze erlassen haben (Art. 125a Abs. 1 GG). Dem § 15 VersG entspricht in Berlin nun weitgehend der neue § 14 Abs. 1 Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin (VersFG BE). Der Ausgangsfall wurde noch nach § 15 VersG gelöst.
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2. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG setzt voraus, dass der Verdacht besteht, dass die öffentliche Sicherheit durch die Versammlung gefährdet wird.

Nein, das trifft nicht zu!

Die unmittelbare Gefährdung verlangt eine Gefahrenprognose. Diese enthält zwar stets ein Wahrscheinlichkeitsurteil; ein bloßer Verdacht oder Vermutungen sind dafür jedoch nicht ausreichend. Dabei können auch Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie Ähnlichkeiten zur geplanten Versammlung aufweisen. Wegen der grundlegenden Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 GG darf die Behörde bei Erlass eines Verbotes keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen, zumal bei irriger Einschätzung stets die Möglichkeit einer späteren Versammlungsauflösung verbleibt.

3. Qs Hygienekonzept sieht keinen Mund-Nasen-Schutz vor. Ist damit bei Durchführung der Versammlung zwingend eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hinreichend konkret zu erwarten?

Nein!

OVG: Nach § 5 Abs. 2 der - damals geltenden - Berliner SARS-CoV-2-InfektionsschutzVO hat der Veranstalter einer Versammlung (nur) ein individuelles Hygienekonzept zu erstellen. Ein solches habe Q vorgelegt: ausreichend dimensionierte Versammlungsfläche, Mindestabstände zwischen Teilnehmern sowie Einsatz von Ordnern und Deeskalationsteams. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ist nach der VO nur „erforderlichenfalls“ Teil des notwendigen Hygienekonzepts. Zudem existiere in der VO keine zahlenmäßige Obergrenze für Versammlungen unter freiem Himmel. Somit habe P beim Erlass des Verbots die Wertungen der VO nicht hinreichend berücksichtigt (RdNr. 9f., 12).

4. Die unmittelbare Gefährdung ergibt sich hier aus der mangelnden Befolgungsbereitschaft der Teilnehmer hinsichtlich des Mindestabstands, die auch bei vergangenen Querdenker-Demos zu erkennen war.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach Ansicht des VG Berlin sei dies lediglich eine Vermutung und genüge nicht den rechtlichen Maßstäben, die § 15 Abs. 1 VersG an die Gefahrenprognose stellt. Ein Verbot wäre nur gerechtfertigt, hätte der Veranstalter in seiner Anmeldung bereits deutlich gemacht, bewusst gegen die Vorgaben der VO verstoßen zu wollen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. OVG: Das Hygienekonzept des Q enthalte aufgrund der hohen Anzahl an Ordnern und Deeskalationsteams sogar Vorkehrungen für den Fall, dass die Vorgaben der VO (z.B. Mindestabstand) nicht eingehalten werden (RdNr. 11).

5. Eine hinreichend konkrete Gefährdung ergibt sich aus der kritischen Haltung der Teilnehmer gegenüber Corona-Maßnahmen und der Nähe der Versammlung zur rechtsextremen Szene.

Nein, das trifft nicht zu!

Aus der kritischen Haltung der Teilnehmer gegenüber den Corona-Maßnahmen ist ex ante ein bewusstes Ignorieren der Befolgungsbereitschaft nicht abzuleiten. Andernfalls wäre ein Ausdruck von Protest in Form einer Versammlung gegen die Corona-Maßnahmen gar nicht möglich; gerade dies wird aber durch die Versammlungsfreiheit gewährleistet. Dass P rechtsextreme Gruppen befürchtet, ist auch keine hinreichend konkrete Tatsache im Sinne des § 15 VersG. Solange keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Äußerungen der Teilnehmer im strafrechtlich relevanten Bereich bewegen, steht dies der Durchführung der Versammlung nicht entgegen.

6. Hier besteht somit keine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 16 Abs. 1 VersFG BE sind nicht erfüllt.

Ja!

So - im Ergebnis zutreffend - VG und OVG! Dazu das OVG: P habe vorliegend keine hinreichend konkreten Tatsachen oder Anhaltspunkte vorgetragen, um ein Versammlungsverbot (§ 15 Abs. 1 VersG) zu begründen. Er habe insbesondere die Gegenindizien (z.B. Hygienekonzept des Q) sowie die Wertungen der Berliner SARS-CoV-2-InfektionsschutzVO nicht hinreichend beachtet (RdNr. 11f.). Die Begründung der Entscheidung ist nicht frei von Zweifeln. Insbesondere werden die Anforderungen an die Gefahrenprognose sehr hoch angelegt. Gerade mit Blick auf die überragende Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfte die Entscheidung aber richtig sein.

7. Das Versammlungsverbot war rechtswidrig.

Genau, so ist das!

Entsprechend haben VG und OVG dem Eilrechtsschutz gegen das Verbot stattgegeben. Die Versammlung durfte am 29.08. stattfinden. Die Versammlung wurde jedoch wegen Nichteinhaltung des Hygienekonzepts kurz nach Beginn aufgelöst. P hat im Ergebnis (ex post) Recht behalten. Dennoch bestanden zur Zeit seines Handelns (ex ante) keine hinreichend konkreten Tatsachen, um ein Versammlungsverbot zu begründen. Maßgeblich ist, dass das Verbot eine stark einschneidende Maßnahme und die Versammlungsfreiheit von herausragender Bedeutung ist. Bei irriger Gefahrenprognose bleibt der Behörde immer noch die Möglichkeit der späteren Auflösung, ein vorbeugendes Verbot hingegen ist endgültig.
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