Erteilung der Prokura, § 48 Abs. 1 HGB, gemischte (unechte) Gesamtvertretung


mittel

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inkl. MoPeG

A, B und C sind Gesellschafterinnen der X-OHG. Zur Vertretung sind laut Gesellschaftsvertrag entweder A und B gemeinsam oder jeweils unter Mitwirkung der Prokuristin P befugt. Nachdem B aus der Gesellschaft ausscheidet, gerät die OHG in finanzielle Schwierigkeiten. Daher möchte A ein Grundstück der Gesellschaft veräußern. P widerspricht.

Einordnung des Falls

Erteilung der Prokura, § 48 Abs. 1 HGB, gemischte (unechte) Gesamtvertretung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die gesellschaftsvertragliche Regelung der X-OHG über die Vertretungsbefugnis ist generell zulässig.

Ja, in der Tat!

Bei einer OHG ist grundsätzlich jeder Gesellschafter einzelvertretungsbefugt (§ 124 Abs. 1 HGB). Im Gesellschaftsvertrag kann aber abweichend vereinbart werden, dass (1) alle oder mehrere Gesellschafter nur gemeinschaftlich zur Vertretung befugt sind (= echte Gesamtvertretung, § 124 Abs. 2 HGB), oder (2) die Gesellschafter nur unter Mitwirkung eines Prokuristen vertretungsbefugt sind (=unechte Gesamtvertretung, § 124 Abs. 3 HGB). Die beiden Formen können auch kombiniert werden. Die gesellschaftsvertragliche Gestaltung der Vertretungsbefugnis sieht eine zulässige Mischform aus Gesamtvertretung (A und B gemeinschaftlich) (§ 125 Abs. 2 HGB) und unechter Gesamtvertretung (oder einzeln unter Mitwirkung der Prokuristin) (§ 125 Abs. 3 HGB) vor.

2. Nach Bs Ausscheiden sollte nach dem Gesellschaftsvertrag die Vertretung der Gesellschaft nur noch durch A und P gemeinschaftlich möglich sein.

Ja!

Der Gesellschaftsvertrag sieht folgende Möglichkeiten bei der Vertretung der Gesellschaft vor: (1) A und B gemeinschaftlich, (2) A und P gemeinschaftlich oder (3) B und P gemeinschaftlich. Nach B‘s Ausscheiden bleibt unter strenger Anwendung der gesellschaftsvertraglichen Regelung in seiner ursprünglichen Form nur noch die Vertretung durch A und P. Die OHG kann demnach nur noch unter Mitwirkung einer Prokuristin vertreten werden.

3. Dass die X-OHG nur noch unter Mitwirkung einer Prokuristin vertreten werden kann, ist unzulässig.

Genau, so ist das!

Für Personengesellschaften gilt aufgrund ihrer Personenbindung und der persönlichen Haftung der Grundsatz der Selbstorganschaft. Dieser besagt, dass die Geschäftsführungsbefugnis und Vertretung der Gesellschaft den persönlich haftenden Gesellschaftern vorbehalten ist. Eine Vertretung muss daher stets allein durch die persönlich haftenden Gesellschafter möglich sein. Nach der gesellschaftsvertraglichen Regelung ist die Vertretung der X-OHG nur noch durch A und P möglich. Die OHG kann demnach nur noch unter Mitwirkung einer Prokuristin vertreten werden. Diese Regelung verstößt gegen das Prinzip der Selbstorganschaft und ist unzulässig. Im Gegensatz dazu ist bei Kapitalgesellschaften Fremdorganschaft zulässig und sogar regelmäßig der Fall.

4. Infolge der unzulässigen Regelung im Gesellschaftsvertrag ist diese nichtig und durch die gesetzlichen Regelungen zu ersetzen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die durch die unzulässige Reglung im Gesellschaftsvertrag entstandene Lücke ist mittels ergänzender Vertragsauslegung zu schließen. So wird verhindert, dass ohne Rücksicht auf den Parteiwillen auf das dispositive Gesetzesrecht zurückgegriffen werden muss. Es ist einerseits die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft wiederherzustellen und dennoch der ursprünglich gewollte Vertragsinhalt zu berücksichtigen. Ursprünglich war C nicht vertretungsbefugt. Die ergänzende Vertragsauslegung gelangt daher zu dem Ergebnis, dass A alleinvertretungsbefugt ist (§ 124 Abs. 1 HGB).

5. A kann das Grundstück im Namen der OHG trotz Ps Widerspruch veräußern.

Ja!

Die ergänzende Vertragsauslegung kommt zu dem Ergebnis, dass A nach Bs Ausscheiden alleinvertretungsbefugt ist (§ 124 Abs. 1 HGB). Sie kann die OHG bei der Veräußerung des Grundstücks wirksam vertreten (§§ 124 Abs. 1, Abs. 4 HGB).

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FL

Flohm

26.7.2023, 15:02:32

Wieso ist P nicht alleine befugt?

HAN

hannabuma

23.12.2023, 21:11:47

Wegen des Grundsatzes der Selbstorganschaft bei Personengesellschaften muss die Möglichkeit bestehen, dass die persönlich haftenden Gesellschafter allein geschäftsführungs- und vertretungsbefugt sind. Wenn nur P allein diese Befugnis hätte, wäre A komplett ausgeschlossen, sodass keine Selbstorganschaft vorläge.

Nils

Nils

30.1.2024, 04:57:11

Außerdem bedürfte der Prokurist zur Veräußerung von Grundstücken einer besonderen Ermächtigung, § 49 Abs. 2 HGB.

Dogu

Dogu

8.3.2024, 08:46:48

Ferner wurde der Prokuristin P nie eine Einzelprokura erteilt. Daher ist kein Willen der Gesellschafter erkennbar, diese nun auf einmal allein agieren zu lassen.


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