Verhindern des Überholens
2. April 2025
6 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der mit 100 km/h auf der Autobahn fahrende T hindert den hinter ihm fahrenden O am Überholen, indem er bei jedem Überholversuch auf die linke Spur zieht. O gelingt somit kein Überholen.
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Einordnung des Falls
Verhindern des Überholens
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Wenn T "einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt", verwirklicht er den objektiven Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Indem T beim Überholversuch des O auf die linke Spur zieht, übt er Gewalt aus (§ 240 Abs. 1 Var. 1 StGB).
Ja!
3. T hat O zu einem Unterlassen genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB).
Genau, so ist das!
4. T hat gerade mit der eingesetzten Gewalt das Unterlassen des O kausal und objektiv zurechenbar herbeigeführt (nötigungsspezifischer Zusammenhang).
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Rechtsanwalt B. Trüger
16.11.2023, 13:36:28
Dass Unterlassen vorliegt ist für mich verständlich. Könnte man dennoch auch darauf abstellen, dass eine
Nötigungzur Duldung vorliegt, weil er akzeptieren/dulden muss, dass er nicht überholen darf?
Leo Lee
19.11.2023, 09:38:54
Hallo Rechtsanwalt B. Trüger, das könnte man in der Tat zunächst andenken. Beachte allerdings, dass dann das Problem besteht, dass man im „Erzwingen“ des Duldens die Zwangshandlung (also Gewalt oder
Drohung) selbst sehen würde. Dies widerspricht dann insofern der Systematik der
Nötigung, als die
Nötigungein zweiaktiges Delikt ist. D.h., hier kann das Überholen und Abschneiden des Wegs zwar als Handlung, die ein Unterlassen herbeiführen soll gesehen werden. Was jedoch nicht geht ist, dass die Gewalthandlung mit der Duldung der Gewalt gleichgesetzt werden kann. Hierzu kann ich die Lektüre von Fischer StGB 70. Auflage, § 240 Rn. 6 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Magnum
27.2.2025, 14:37:54
Ich finde es sehr schwer, festzustellen, wann ein "köperlich wirkender Zwang" oder "Zwang ausgeübt wird, der auf den Körper einwirkt" vorliegt. Nach meinem Sprachverständnis würde eigentlich beides einen Effekt auf den Körper des
Nötigungsopfers erfordern. Hier kommt es nicht zum Zusammenstoß. Es gibt keinen Kontakt zwischen den Autos. Wo soll da eine körperliche Einwirkung vorliegen? Auch kann dieser Effekt nicht im Bremsen liegen, weil das ja gerade der
Nötigungserfolgist, oder?
Leo Lee
28.2.2025, 21:35:46
Hallo Magnum, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Vorab ist dein Einwand sehr verständlich, zumal es auf den ersten Blick etwas komisch erscheinen kann, dass man schon sich wegen der
Nötigungschuldig macht, selbst wenn man den hinteren Fahrer nur davon abhält, zu überholen, obgleich es keinerlei körperlichen Kontakt gegeben hat. Allerdings ist dies gerade der Knackpunkt des Gefahrenbegriffs, der, vor allem durch das BVerfG bestätigt, weiter ausgelegt wird. Hiernach ist eben nur nötig, dass die körperliche Kraftentfaltung durch den Täter irgendeine körperliche Auswirkung beim Opfer hat, in Gestalt vom Tun, Handeln oder Unterlassen. Somit ist gerade NICHT nötig, dass ein körperlicher Kontakt entstehen muss (siehe hierzu etwa auch die zweite-Reihe-Entscheidung). Somit ist es auch eine
Nötigung, wenn man etwa auf der Autobahn sehr dicht auffährt, konstant hupt, um den Vordermann dazu zu bewegen, einen Spurwechsel vorzunehmen, da ich durch meine Kraftentfaltung (hupen) eine körperliche Auswirkung beim Opfer (Tun --> Ausweichen) herbeigeführt habe. Für eine sehr umfangreiche Aufzählung von
Nötigungsbeispielen - hier ist Kasuistik nicht unwichtig - kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Sinn § 240 Rn. 53 f. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo