+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K und B schließen einen Kaufvertrag über ein neues Wohnmobil. K übergibt dem B ein Exemplar des geschuldeten Typs, das zuvor 15 Monate auf seinem Hof gestanden hatte. B erklärt den Rücktritt und klagt (erfolgreich) auf Rückabwicklung. Nach dem erstinstanzlichen Urteil und während des anhängigen Berufungsverfahrens widerruft B (berechtigt) den geschlossenen Kaufvertrag.
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Einordnung des Falls
Widerrufsrecht in zweiter Instanz
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B konnte wirksam vom Kaufvertrag zurücktreten (§§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 BGB), wenn das Wohnmobil mangelhaft war und er eine Nacherfüllungsfrist gesetzt hatte.
Ja, in der Tat!
K und B haben einen Kaufvertrag geschlossen. Wenn zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§ 446 BGB) ein Mangel bestanden hat, war aber wegen des Vorrangs der Nacherfüllung zunächst eine Frist zur Nacherfüllung zu setzen (§ 323 Abs. 1 BGB). Sodann konnte der B durch Erklärung gemäß § 349 BGB sein Gestaltungsrecht ausüben und zurücktreten.
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2. Das Wohnmobil war mangelhaft.
Ja!
BGH: Bei dem Verkauf eines Neuwagens durch einen Kraftfahrzeughändler liege eine mit dem Vertragsschluss konkludent getroffene Vereinbarung der Parteien vor, wonach das verkaufte Fahrzeug die Beschaffenheit fabrikneu aufweise, § 434 Abs. 1 S. 1 BGB. Diese Eigenschaft liege nur bei einer Standdauer bis 12 Monaten vor. Jedes Fahrzeug unterliege einem Alterungsprozess, der mit dem Verlassen des Herstellungsbetriebs einsetze und durch den sich das Fahrzeug infolge physikalischer Veränderungen verschlechtere. Diese Rechtsprechung sei auch auf Wohnmobile zu übertragen. Auch dabei handele es sich um Kraftfahrzeuge und der Käufer müsse mit einer längeren Standzeit nicht rechnen (BGH, RdNr. 12f.).
3. Auch in zweiter Instanz können Parteien wie in erster Instanz uneingeschränkt neue Tatsachen vorbringen.
Nein, das ist nicht der Fall!
Die Zulässigkeit neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel (siehe § 282 Abs. 1 ZPO) in der Berufungsinstanz richtet sich nach § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO. Die Möglichkeiten, neue Angriffs- und Verteidigungsmittel einzubringen, sind demnach stark beschränkt. Dies liegt, daran, dass aus Gründen der Prozessökonomie die Parteien gehalten sein sollen, bereits in erster Instanz umfänglich vorzutragen und so eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen. Nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz geltend gemacht werden. Insbesondere sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zulässig, wenn sie im ersten Rechtszug ohne Nachlässigkeit nicht geltend gemacht wurden (§ 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO).
4. Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung erklärte Widerruf ist in zweiter Instanz berücksichtigungsfähig.
Ja, in der Tat!
BGH: Dies gelte unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO. Jedem Gestaltungsrecht sei es immanent, dass die Ausübung vom Willen des Berechtigten abhänge. Daher könne es keine prozessrechtliche Beschränkung einer materiell-rechtlichen Gestaltungsbefugnis im Wege des § 531 Abs. 2 ZPO geben. Dies wäre aber die Folge, wenn ein nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung erklärtes Gestaltungsrecht
präkludiert wäre. Es würde den Berechtigten zur vorzeitigen Ausübung zwingen. Den Normen des Prozessrechts komme nur dienende Funktion zu. Ein materiell-rechtliches Gestaltungsrecht sei daher auch dann zu berücksichtigen, wenn es erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung erklärt worden sei. (BGH, RdNr. 24f.).
5. Die Tatsachen, die Grundlage des Widerrufsrechts sind, hätten jedoch bereits im erstinstanzlichen Prozess vorgebracht werden müssen.
Nein!
BGH: Das streitige Vorbringen zum Vorliegen der Voraussetzungen des geltend gemachten Widerrufs sei unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO zuzulassen. Eine Nachlässigkeit liege dann vor, wenn eine Partei gegen ihre Prozessförderungspflicht verstoßen habe. Eine solche komme aber von vornherein nicht in Betracht, wenn die Partei erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung von ihrem Gestaltungsrecht Gebrauch macht und dementsprechend auch erstmalig in der Berufungsinstanz zu den weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des Gestaltungsrechts vorträgt. In erster Instanz sei es kein Verstoß gegen die Prozessförderungspflicht, wenn zu einem noch nicht ausgeübten Gestaltungsrecht nicht näher vorgetragen werde (BGH, RdNr. 32f.).
6. Die Präklusion von Gestaltungsrecht im Rahmen der Berufung wird im Ergebnis genauso behandelt wie im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage.
Nein, das ist nicht der Fall!
Im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage wird die Präklusion (§ 767 Abs. 2 ZPO) strenger gehandhabt. Dort sei nicht auf den Zeitpunkt der Ausübung, sondern auf den der Entstehung und der Ausübungsbefugnis des Gestaltungsrechts abzustellen. BGH: Der Unterschied zwischen Berufung und Vollstreckungsabwehrklage sei durch die grundlegenden Unterschiede beider Rechtsinstitute gerechtfertigt: Im Rahmen des § 767 Abs. 2 ZPO bestehe bereits ein rechtskräftiges Urteil gegen den Schuldner, während § 531 ZPO die Zulassung von Angriffs- und Verteidigungsvorbringen innerhalb des erst auf Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung gerichteten Verfahrens betreffe (BGH, RdNr. 29).