+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist Atheist. Er veranstaltet an Karfreitag in München eine „Heidenspaß-Party“, um für Konfessionslosigkeit und gegen kirchliche Privilegien zu protestieren. Behörde B verbietet dies, weil das bayerische Landesfeiertagsgesetz Unterhaltungsveranstaltungen an „stillen Feiertagen“ untersagt.

Einordnung des Falls

„Heidenspaß am Karfreitag

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer 2020

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Einordnung des Karfreitags als gesetzlichen Feiertag im Landesfeiertagsgesetz verstößt gegen das Gebot staatlicher Neutralität gegenüber den verschiedenen Religionsgemeinschaften.

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Nein, das trifft nicht zu!

Aus der Zusammenschau von Glaubensfreiheit, Gleichheitssatz und staatskirchenrechtlichen Vorgaben (Art. 136 Abs. 1, 2, 137 Abs. 1 WRV) folge eine Verpflichtung des Staates zu religiös-weltanschaulicher Neutralität (RdNr. 65). Dadurch sei es dem Staat untersagt, das säkularisierte Gemeinwesen zugunsten einer spezifischen Religion oder Weltanschauung zu prägen. Der Gesetzgeber dürfe aber bei der Auswahl der Feiertage aufgrund seines Gestaltungsspielraums an historisch gewachsene kulturelle oder religiöse Prägungen anknüpfen.Die Auswahl des Karfreitags schreibe dabei niemandem eine bestimmte innere Haltung vor (RdNr. 66 f., 71, 76).

2. Die Ausgestaltung des Karfreitags als stiller Feiertag mit besonderen Ruhe- und Unterlassungspflichten im Landesfeiertagsgesetz verstößt gegen das Neutralitätsgebot.

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Nein!

Dem Gesetzgeber stehe es angesichts seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich frei, Feiertage mit unterschiedlichem Charakter vorzusehen (RdNr. 69).Der besondere Ruheschutz am Karfreitag widerspreche dem Neutralitätsgebot grundsätzlich nicht. Denn der Gesetzgeber eröffne durch die besonderen Ruhe- und Unterlassungspflichten lediglich einen äußeren Raum für Freiheitsausübung und seelische Erhebung, schreibe aber keine religiös begründete Haltung vor (RdNr. 71 ff.).

3. Das gesetzliche Verbot öffentlicher Unterhaltungsveranstaltungen an „stillen Feiertagen“ wie Karfreitag greift in die Glaubensfreiheit des A ein.

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Genau, so ist das!

Das Grundrecht auf Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) schützt die subjektive Gewissheit von der Eingliederung des Einzelnen in einen transzendenten Zusammenhang. Erfasst ist auch die Freiheit, nicht zu glauben (negative Religionsfreiheit). Geschützt ist ferner die – nach BVerfG hier einschlägige – Weltanschauungsfreiheit, also die Zugehörigkeit zu einem gedanklichen System, das eine wertende Stellungnahme zum Sinn des Weltgeschehens bietet, ohne dabei auf Gott oder Transzendenz zurückzugreifen (Kokott, in: Sachs, GG, 7.A.2014, Art. 4 RdNr. 19, 22).

4. Die Pflicht des Gesetzgebers, in besonderen Fällen Ausnahmen vom Ruheschutz des Karfreitags vorzusehen, ist mit der Glaubensfreiheit christlicher Bevölkerungsteile vereinbar.

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Ja, in der Tat!

Aus der Glaubensfreiheit der christlichen Bevölkerung und der Feiertagsgarantie lasse sich keine staatliche Verpflichtung herleiten, für die Ausgestaltung der Feiertage das Verständnis bestimmter Religionsgemeinschaften zugrunde zu legen. Die Glaubensfreiheit schütze nicht davor, von der Konfrontation mit einer nicht geteilten Weltanschauung verschont zu bleiben, sowie nicht davor, dass andere in provokanter Weise den ernsthaften Charakter des Karfreitags in Frage stellen. Der Feiertagsschutz verpflichte den Gesetzgeber lediglich zu einem Mindestschutzniveau (RdNr. 94).

5. Das gesetzliche Verbot dient dem verfassungslegitimen Ziel des besonderen Schutzes religiöser Feiertage.

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Ja!

Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV sieht vor: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ BVerfG: Die Bestimmung enthalte einen objektiv-rechtlichen, sowohl weltlich-sozialen als auch religiös-christlichen Schutzauftrag, der dem Staat die Gewährleistung von Feiertagen aufgibt, um sowohl „profane“ persönliche Ruhe als auch „seelische Erhebung“ zu ermöglichen. Die Auswahl der Feiertage sowie Art und Ausmaß des Schutzes unterlägen einem erheblichen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers (RdNr. 60 ff.).

6. Das Verbot ist rechtswidrig, weil Eingriffe in das schrankenlos gewährte Grundrecht der Glaubens- und Religionsfreiheit unzulässig sind.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG kann auch in schrankenlose Grundrechte eingegriffen werden, und zwar zum Schutz verfassungsimmanenter Schranken kollidierenden Verfassungsrechts, also von Grundrechten oder anderen Verfassungsgütern.Wichtige Verfassungsgüter im Kontext der Glaubensfreiheit sind die staatskirchenrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung (WRV), die nach Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes sind.

7. Das gesetzliche Verbot öffentlicher Unterhaltungsveranstaltungen an stillen Feiertagen ist unverhältnismäßig, weil es keine Ausnahmeregelung enthält.

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Ja, in der Tat!

Grundsätzlich sei die Regelung angemessen. Denn der feiertägliche Ruheschutz habe als Verfassungsgut großes Gewicht. Gleichzeitig fielen die belastenden Wirkungen des besonderen Ruheschutzes an stillen Feiertagen vor allem wegen ihrer Seltenheit nur begrenzt ins Gewicht (RdNr. 83 ff.). Für die vorliegende besondere Fallgestaltung sei das ausnahmslose Verbot jedoch unverhältnismäßig, weil die „Heidenspaß-Party“ am Karfreitag als Ausübung der Weltanschauungsfreiheit zu qualifizieren ist. Das Gleiche gelte für die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG). Der Gesetzgeber müsse einen entsprechenden Ausnahmetatbestand schaffen (RdNr. 90 ff.).

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