Ersetzen des Strafantrags durch das besondere öffentlichen Interesses

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) angeklagt. Es stellt sich heraus, dass nur eine einfache Körperverletzung (§ 223 StGB) verwirklicht hat. A wird auf entsprechenden Antrag der Staatsanwältin verurteilt. Ein Strafantrag des Verletzten lag nicht vor.

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Einordnung des Falls

Ersetzen des Strafantrags durch das besondere öffentlichen Interesses

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die einfache Körperverletzung ist ein absolutes Antragsdelikt und bedarf deshalb für eine Verurteilung immer eines Strafantrags (§ 223 Abs. 1, 230 Abs. 1 S. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die einfache Körperverletzung wird grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt (§ 230 Abs. 1 S. 1 StGB). Auch ohne Strafantrag kann die Strafverfolgungsbehörde die Straftat aber verfolgen, wenn sie aufgrund des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten für geboten hält. Es handelt sich insofern um ein relatives Antragsdelikt. Das besondere öffentliche Interesse liegt vor, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört wird und die Strafverfolgung ein Anliegen der Allgemeinheit ist (Nr. 86 Abs. 2 RiStBV). Das ist bei der Körperverletzung etwa der Fall, wenn der Beschuldigte einschlägig vorbestraft ist, roh, besonders leichtfertig oder aus menschenverachtenden Gründen handelte, erhebliche Verletzungen verursachte oder dem Verletzten nicht zugemutet werden kann, Strafantrag zu stellen (Nr. 234 RiStBV).
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2. Mit der Anklage der gefährlichen Körperverletzung hat die Staatsanwaltschaft auch das besondere öffentlichen Interesse an der Verfolgung der einfachen Körperverletzung bejaht.

Nein, das trifft nicht zu!

Wird eine gefährliche Körperverletzung angeklagt, liegt darin nicht ohne Weiteres eine Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Verfolgung einer einfachen Körperverletzung. Denn über das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses muss sich die Staatsanwaltschaft bei der Anklage eines Offizialdelikts keine Gedanken machen. Stellt sich also während des Prozesses heraus, dass statt eines Offizialdelikts ein Antragsdelikt vorliegt, muss die Staatsanwaltschaft sich zum Vorliegen des besonderen öffentlichen Interesses äußern. Tut sie dies nicht, fehlt dieses als Verfahrensvoraussetzung, soweit nicht der Verletzte noch wirksam Strafantrag stellt.

3. Das besondere öffentliche Interesse kann nur ausdrücklich bejaht werden.

Nein!

Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses kann auch konkludent erfolgen, wenn sich der Verfolgungswille aus den Umständen unzweideutig ergibt, etwa durch die Anklageerhebung oder den Antrag in der Rechtsmittelinstanz, die Sache nur im Strafausspruch aufzuheben. Vorliegend hat die Staatsanwältin auf eine Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung plädiert, nachdem zunächst eine gefährliche Körperverletzung angeklagt war. Darin tritt der Wille, nunmehr die einfache Körperverletzung als solche zu verfolgen, hinreichend deutlich hervor. Das besondere öffentliche Interesse wurde so konkludent bejaht. Das öffentliche Interesse kann auch noch in der Revisionsinstanz bejaht werden, wenn etwa der Berechtigte seinen Strafantrag zurücknimmt. Die Bejahung des öffentlichen Interesses ist anders als der Strafantrag nicht fristgebunden

4. Nach der h.M. stellt das Revisionsgericht das Verfahren aber ein, wenn es das besondere öffentliche Interesse nach eigener Prüfung verneint.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses ist eine Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft. Sie ist einer gerichtlichen Überprüfung entzogen. § 230 StGB spricht nicht davon, dass das besondere öffentliche Interesse objektiv vorliegt, sondern dass die Staatsanwaltschaft die Verfolgung „für geboten hält”. Auch bezweckt die Entscheidung über das besondere öffentliche Interesse nur den Schutz der Dispositionsbefugnis des Strafantragsberechtigten. Der Angeklagte muss also nicht durch gerichtliche Überprüfung geschützt werden. Das Revisionsgericht prüft nur, ob das besondere öffentliche Interesse bejaht wurde, nicht, ob es auch berechtigt angenommen wurde.. Die Mindermeinung lässt eine gerichtliche Überprüfung zu, da die Staatsanwaltschaft sonst entgegen § 156 StPO auch noch nach der Eröffnung des Hauptverfahrens Herrin des Verfahrens sei.
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