Öffentliches Recht

Grundrechte

Freizügigkeit (Art. 11 GG)

Sachlicher Schutzbereich: Kein „Recht auf Heimat“

Sachlicher Schutzbereich: Kein „Recht auf Heimat“

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Das Dorf D steht am Rande des Tagebaus Garzweiler und soll dem Tagebau im Rahmen seiner Ausweitung weichen. Die Bewohner müssen in der Folge umsiedeln. Sie sehen u.a. ihre negative Freizügigkeit verletzt und klagen gegen die Zulassung des Rahmenbetriebsplans für den Tagebau.

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Einordnung des Falls

Sachlicher Schutzbereich: Kein „Recht auf Heimat“

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) umfasst das Recht, seinen Wohnsitz beizubehalten, und schützt davor, durch staatliche Anordnungen zum Wohnsitzwechsel verpflichtet zu werden.

Ja, in der Tat!

Freizügigkeit i.S.d. Art. 11 Abs. 1 GG ist das Recht, unbeschränkt durch die deutsche Staatsgewalt an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen und auch zu diesem Zweck in das Bundesgebiet einzureisen. Art. 11 Abs. 1 GG erfasst auch die Freiheit, einen Wechsel von Wohnsitz oder Aufenthalt nicht vorzunehmen. Die Freizügigkeit schützt damit vor staatlichen Anordnungen, Wohnsitz oder Aufenthalt zu wechseln (negative Freizügigkeit), und damit grundsätzlich auch vor erzwungenen Umsiedlungen. Dass Grundrechte positive und negative Gewährleistungen enthalten, gilt für viele Grundrechte. Zu denken ist z.B. an die negative Religionsfreiheit.
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2. Vermittelt Art. 11 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Schaffung und Erhalt der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für den Daueraufenthalt an einem bestimmten Ort?

Nein!

Art. 11 Abs. 1 GG gewährt ein Recht zum Zuzug und Aufenthalt grundsätzlich nur dort, wo jeder Aufenthalt und Wohnsitz nehmen kann. Die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit des Daueraufenthalts ist Voraussetzung, um die Freizügigkeit auszuüben. Einen Anspruch auf Schaffung und Erhalt der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für einen Daueraufenthalt an einem bestimmten Ort vermittelt Art. 11 Abs. 1 GG dagegen nicht. Rechtliche Regelungen etwa zur Bodennutzung sind damit Wahrnehmungsvoraussetzungen des Grundrechts. Hier kommt Art. 11 Abs. 1 GG in die Nähe eines normgeprägten Grundrechts. Denn die Ausübung des Grundrechts hängt teilweise von den gesetzlichen Regelungen zur Nutzung eines bestimmten Ortes ab.

3. Schützt Art. 11 Abs. 1 GG nach Ansicht des BVerfG auch vor staatlichen Maßnahmen zur Regelung der Bodennutzung, die indirekt zur Folge haben, dass Grundrechtsträger ihren Wohnsitz in absehbarer Zeit aufgeben müssen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Einen Anspruch auf Schaffung und Erhalt der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für einen Daueraufenthalt vermittelt Art. 11 Abs. 1 GG nicht. Regelt der Staat die Bodennutzung an einem Ort dergestalt, dass sie den Daueraufenthalt an diesem Ort ausschließt, tangiert dies nicht den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG. BVerfG: Art. 11 Abs. 1 GG schütze die Bewohner von D nicht vor Notwendigkeit, infolge der Zulassung des Rahmenbetriebsplans für den Tagebau ihr Wohngrundstück aufzugeben und wegzuziehen. Denn Art. 11 Abs. 1 GG schütze nicht vor staatlichen Maßnahmen zur Regelung der Bodennutzung, die letztlich zur unfreiwilligen Aufgabe des Wohnsitzes führen (RdNr. 257f.). Das BVerfG stützt seine Rechtsprechung auf historische, systematische und teleologische Erwägungen (RdNr. 259ff.).

4. Enthält Art. 11 Abs. 1 GG ein Recht auf Heimat im Sinne des mit dem gewählten Wohnsitz dauerhaft verbundenen städtebaulichen und sozialen Umfelds?

Nein, das trifft nicht zu!

Das BVerfG weist darauf hin, dass der Parlamentarische Rat es mit Blick auf die Folgen von Flucht und Vertreibung bewusst abgelehnt hatte, ein eigenes Recht auf Heimat in das Grundgesetz aufzunehmen (RdNr. 263f.). Umfangreiche Umsiedlungen, wie z.B. infolge von Tagebauen, führen zu außergewöhnlichen Belastungen gewachsener sozialer Beziehungen und örtlich-räumlicher Verbindungen, da sie das Verschwinden ganzer Gemeinden zur Folge haben können. Diese Belastungen sind im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das betroffene Grundrecht - hier nicht Art. 11 Abs. 1 GG, sondern Art. 14 Abs. 1 und 3 GG, ggf. Art. 2 Abs. 1 GG - angemessen zu berücksichtigen (RdNr. 264f.). Die rechtliche Zulässigkeit von Tagebauen wird maßgeblich am Maßstab von Art. 14 Abs. 1 und 3 GG gemessen.
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