Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

BT 5: Verkehrsdelikte

Trunkenheitsfahrt des Beifahrers auf einem E-Scooter

Trunkenheitsfahrt des Beifahrers auf einem E-Scooter

20. Mai 2025

9 Kommentare

4,8(12.737 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T und M fahren betrunken auf einem E-Scooter. T steht vorne, bestimmt die Geschwindigkeit und führt die nötigen Lenkbewegungen aus. M hat auch seine Hände am Lenker ohne aber selbst aktive Bewegungen auszuführen. Bei einer Kontrolle wird bei beiden eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,2 Promille festgestellt.

Diesen Fall lösen 0,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Trunkenheitsfahrt des Beifahrers auf einem E-Scooter

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Hamburg 2024
Examenstreffer NRW 2024

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T könnte sich wegen Trunkenheit im Verkehr strafbar gemacht haben (§ 316 Abs. 1 StGB).

Ja!

Nach § 316 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. E-Scooter werden im Straßenverkehr wie Fahrräder behandelt, sodass T die Schwelle zur absoluten Fahruntüchtigkeit noch nicht erreicht hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei Fahrten mit dem Fahrrad wird die absolute Fahruntüchtigkeit ab einer BAK von 1,6 Promille angenommen. Wie die Klarstellung in§ 1 Abs. 1 der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) zeigt, werden E-Scooter aber als Kraftfahrzeuge eingeordnet. Sie unterliegen deshalb – anders als Fahrräder – den für Kraftfahrzeuge geltenden Regelungen im Straßenverkehrsrecht. Eine absolute Fahruntüchtigkeit ist beim Führen von E-Scootern deshalb bereits ab einer BAK von 1,1 Promille anzunehmen.T hatte zur Tatzeit eine BAK von 1,2 Promille. Damit war er unwiderleglich absolut fahruntüchtig.

3. T hat den E-Scooter auch geführt, sodass sie sich zumindest wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr strafbar gemacht hat (§§ 316 Abs. 1, Abs. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

Ein Fahrzeug führt, wer es unter Beherrschung seiner Antriebskräfte in Bewegung setzt oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung ganz oder zum Teil lenkt.T kontrollierte die Geschwindigkeit und Lenkbewegungen des E-Scooters. Es fehlt an Anhaltspunkten, ob T sich über ihre absolute Fahruntüchtigkeit im Klaren war (Vorsatz). Sie handelte aber zumindest fahrlässig.Vergiss nicht, dass sich der Vorsatz auf sämtliche Merkmale des objektiven Tatbestands beziehen muss. Gerade im Hinblick auf die Fahruntüchtigkeit liegt dieser Vorsatz häufig nicht vor.

4. Weil nur T als vordere Fahrerin Einfluss auf die Geschwindigkeit und die Lenkbewegungen hatte, hat nur sie den E-Scooter „geführt“.

Nein!

Führer eines Fahrzeuges ist nicht nur derjenige, der alle für die Fortbewegung des Fahrzeugs erforderlichen technischen Funktionen ausübt, sondern auch, wer nur einzelne dieser Tätigkeiten vornimmt. Dies jedenfalls dann, wenn es sich dabei um solche handelt, ohne die eine zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr unmöglich wäre (wie z. B. das Bremsen oder Lenken).Eigene Lenkbewegungen führte M nicht aus. Das Festhalten des Lenkers sorgt indes für ein „In-der-Spurhalten“ und erfüllt damit für sich schon den Begriff des „Führens“. Auch M war absolut fahruntüchtig und hat damit zumindest den Tatbestand der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr verwirklicht.Da beide Täter hier den Straftatbestand jeweils allein verwirklicht haben, handelten sie eigenständig als Nebentäter. Es muss insofern nicht die Frage aufgeworfen werden, inwieweit eine mittelbare Täterschaft/Mittäterschaft bei „eigenhändigen Delikten“ möglich ist.

5. Hat M schuldlos gehandelt, wenn er davon ausging, dass das bloße Festhalten des Lenkers keinen Straftatbestand erfüllt (§ 17 StGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Unterliegt der Täter einem unvermeidbaren Verbotsirrtum, so entfällt nach § 17 S. 1 StGB seine Schuld. Die setzt aber voraus, dass dem Täter (1) bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun (= fehlendes Unrechtsbewusstsein), und (2) er alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (Unvermeidbarkeit). Schon durch geringe Anspannung seiner geistigen Kräfte hätte M erkennen können, dass das Verbot von Trunkenheitsfahrten auch für ihn als „Beifahrer des Rollers“ gilt. Etwaige Zweifel hätte er jedenfalls durch verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigen können. Somit war der Irrtum vermeidbar.Die Rechtsprechung stellt an die Unvermeidbarkeit hohe Hürden.

6. Indiziert die Trunkenheitsfahrt auf dem E-Scooter die generelle Ungeeignetheit des Führens von Kraftfahrzeugen, sodass T und M auch der Verlust ihrer Kfz-Fahrlerlaubnis droht (§ 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB)?

Ja, in der Tat!

Das Tatgericht kann einem Täter, der wegen einer rechtswidrigen Tat bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges verurteilt wird, die Fahrerlaubnis entziehen, wenn er sich als ungeeignet für das Führen eines Fahrzeugs erwiesen hat. Bei den in § 69 Abs. 2 StGB aufgezählten Taten wird die Ungeeignetheit indiziert. Nach der wohl herrschenden Meinung sind E-Scooter nicht abstrakt ungefährlicher als andere Kraftfahrzeuge, weshalb es hier grundsätzlich bei der Indizwirkung bleibt.Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte wird M und T im Falle einer Verurteilung auch der Führerschein entzogen.Von der indizierten Maßregel kann zB in Fällen von Kurzstreckenfahrten (zB nur kurzes Umparken) abgesehen werden.Die Frage nach dem Entzug bzw. dem vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) kann vor allem für die Staatsanwaltsklausur im zweiten Examen relevant werden.
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Sa.Ach

Sa.Ach

4.4.2024, 08:39:19

wie wäre es wenn der Beifahrer nüchtern wäre, aber wüsste dass derjenige am Steuer fahruntüchtig ist? macht sich der Beifahrer dann strafbar?

Merle_Breckwoldt

Merle_Breckwoldt

12.4.2024, 13:25:13

Hallo Sa.Ach, kurz gesagt: hier (und im Übrigen je nach Fallgestaltung) jedenfalls nicht nach

§ 316

Abs. 1 StGB. Denn bei

§ 316

Abs. 1 StGB handelt es sich um ein

eigenhändiges Delikt

, eine

mittelbare Täterschaft

des "Beifahrers" M gem. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB scheidet also schon einmal aus. Für eine Anstiftung oder Beihilfe seinerseits (§§ 26, 27 StGB) fehlt es an der

erforderlich

en

vorsätzlich

en (!) rechtswidrigen Haupttat, denn einen

Vorsatz

des T bezüglich seiner Trunkenheitsfahrt konnten wir hier gerade nicht feststellen. Dementsprechend kommt nur eine allgemeine Fahrlässigkeits-Strafbarkeit Ms in Betracht. Viele Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team

Sa.Ach

Sa.Ach

12.4.2024, 19:26:16

Vielen Dank!

FW

FW

24.7.2024, 16:13:48

Moin, bin ich der einzige, der findet, dass die Gleichbehandlung völlig unverhältnismäßig ist? Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, wie eine Fahrt mit einem E-Scooter für Dritte gefährlicher sein soll als mit dem Fahrrad. Natürlich ist ein E-Scooter maschinengetrieben und dementsprechend als Kraftfahrzeug einzuordnen, jedoch gilt doch seit langem im Straßenverkehr nicht mehr die maschinengetriebene Auffassung, sondern die

verkehrstechnische Auffassung

, zumindest bei § 7 I StVG. Damit wird ja gerade klargestellt, dass es für eine Gefährdung im Straßenverkehr nicht primär auf eine maschinengetriebene Nutzung drauf ankommt, sondern lediglich, ob das Fahrzeug in irgendeiner Art und Weise für den Verkehr gefährlich erscheint bzw. von diesen Gefahren ausgehen. Inwiefern ist denn dann bitte ein E-Scooter gefährlicher als ein Fahrrad bzw. genauso gefährlich wie ein Auto? Mit dem Fahrrad können locker Geschwindigkeiten von bis zu 30km/h erreicht werden; mit einem E-Scooter maximal 20km/h. Außerdem ist ein Fahrrad deutlich größer als ein E-Scooter. Dementsprechend sind diese beiden eher miteinander vergleichbar als ein E-Scooter mit einem Auto. Deswegen den Führerschein zu verlieren erscheint mir als ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Strafe muss schon sein, aber Entzug des Führerscheins, obwohl ich gleichzeitig mit bis zu 1,5 Promille Fahrrad fahren kann, ist wohl äußerst fragwürdig und m.E. ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 I GG oder wie gesagt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Vincent

Vincent

3.2.2025, 16:08:28

"Schon durch geringe Anspannung seiner geistigen Kräfte hätte M erkennen können, dass das Verbot von Trunkenheitsfahrten auch für ihn als „Beifahrer des Rollers“ gilt. Etwaige Zweifel hätte er jedenfalls durch verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigen können. Somit war der Irrtum vermeidbar." Inwiefern ist von einer Person mit einer BAK von 1,2 Promille denn noch erwartbar, dass sie in der Lage ist klar zu denken? Auch aufgrund der verminderten geistigen Fähigkeit ist das Fahren unter Alkoholeinfluss ja verboten. Des Weiteren ist doch mehr als fraglich inwiefern nachts noch verlässlicher und sachkundiger Rechtsrat eingeholt werden kann


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community