+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T verkauft in Deutschland illegal Kokain in großen Mengen. Ein zentrales Beweismittel für seine Verurteilung sind SMS-Nachrichten, die er über EnchroChat - einen Anbieter von sog. Kryptohandys - versendet hat. Die Daten wurden von französischen Behörden abgefangen und im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens an die deutsche Justiz übermittelt.
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Einordnung des Falls
Die BGH hat entschieden, dass Beweismittel, die von dem verschlüsselten Telefonanbieter EncroChat erhalten wurden, vor Gericht zulässig sind. Französische Behörden beschlagnahmten EncroChat-Telefone und erhielten Daten, die zu vielen Strafverfahren in Deutschland führten. § 261 StPO lasse die Verwendung von im Ausland erhaltenen Beweismitteln durch Rechtshilfeersuchen zu. Es lägen keine Gründe vor, um zu glauben, dass die gehemin gebliebenen Methoden der französischen Behörden bei der Beschaffung der Beweise grundlegende Rechte verletzt haben. Deutsche Gerichte müssten nicht prüfen, ob ausländische Behörden Beweise rechtmäßig gemäß ihren eigenen nationalen Regeln erlangt haben.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat T sich wegen des unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 BtMG strafbar gemacht?
Genau, so ist das!
Betäubungsmittel sind gem. § 1 Abs. 1 BtMG die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe. Ein Betäubungsmittel liegt in nicht geringer Menge vor, wenn die darin enthaltene Wirkstoffmenge einen für diese Betäubungsmittelart ermittelten Grenzwert übersteigt. Für Kokain liegt dieser Grenzwert laut BGH bei 5 Gramm. Handeltreiben ist jede eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit. T hat Kokain mit hohen Wirkstoffanteilen in großen Mengen verkauft, ohne dafür eine Erlaubnis zu haben. Vertiefte Kenntnisse im Betäubungsmittelrecht werden im Examen nicht erwartet.
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2. Um T die Tat nachzuweisen, bedarf es der von den französischen Behörden an die deutsche Justiz übermittelten SMS-Nachrichten als Beweismittel. Richtet sich die Frage, ob die Nachrichten in einem Strafprozess in Deutschland als Beweismittel verwertet werden dürfen, dabei nach französischem Recht?
Nein, das trifft nicht zu!
Beweisverwertungsverbote sind Beweisverbote, die das Gericht dazu zwingen ein existierendes Beweismittel im Urteil unberücksichtigt zu lassen. Die Frage, ob im Wege der Rechtshilfe erlangte Beweise verwertbar sind, richtet sich dabei ausschließlich nach dem nationalen Recht des um Rechtshilfe ersuchenden Staates, soweit der um Rechtshilfe ersuchte Staat die unbeschränkte Verwendung der von ihm erhobenen und übermittelten Beweisergebnisse gestattet hat . Die deutsche Justiz hat die SMS-Nachrichten als zentrale Beweismittel für die Verurteilung des T von den französischen Behörden im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens erhalten. Einschränkungen über die Verwendung der Daten wurden dabei nicht gemacht.
3. Sind Beweismittel im deutschen Strafprozess nur dann unverwertbar, wenn in der StPO explizit ein Beweisverwertungsverbot angeordnet ist?
Nein!
Beweisverwertungsverbote ergeben sich nur ausnahmsweise ausdrücklich aus dem Gesetz (z.B. § 136a Abs. 3 S. 2 StPO). In der Regel müssen Verwertungsverbote argumentativ hergeleitet werden.
Ungeschriebene, unselbstständige Verwertungsverbote können aus einem Verstoß gegen Regeln der Beweiserlangung (=Beweiserhebungsverbot) resultieren. Nach der Abwägungslehre des BGH dürfen rechtswidrig erlangte Beweismittel nur verwendet werden, wenn das Interesse an der Strafverfolgung gegenüber dem Beschuldigteninteresse an der Unverwertbarkeit überwiegt.
Ungeschriebene, selbstständige Verwertungsverbote bestehen trotz verfahrenskonformer Beweiserhebung. Ungeschriebene selbstständige Beweisverwertungsverbote leitet der BGH aus den Grundrechten, insbesondere dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ab.
4. Die Erlangung der SMS-Nachrichten wäre nach deutschem Recht nicht zulässig gewesen. Unterliegen die von den französischen Behörden erlangten Nachrichten deshalb einem ungeschriebenen, unselbstständigen Beweisverwertungsverbot?
Nein, das ist nicht der Fall!
Unselbstständige Verwertungsverbote setzen einen Verstoß gegen Regeln der Beweiserlangung voraus. Bei der Verwendung von Beweismitteln, die ein anderer Staat erhoben hat, findet allerdings eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme durch die Gerichte des ersuchenden Staates am Maßstab der fremden oder eigenen Rechtsordnung nicht statt. Hier sei es vielmehr geboten, Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen grundsätzlich zu achten. Vorliegend überprüfen die deutschen Gerichte nicht, ob der in Frankreich durchgeführte Zugriff auf die verschlüsselten Daten der EnchroChat-Nutzer nach französischem Recht rechtmäßig erfolgt ist. Ein unselbstständiges Beweisverwertungsverbot scheidet damit aus.
5. Kommt ein ungeschriebenes, selbstständiges Beweisverwertungsverbot in Betracht, da die gerichtliche Berücksichtigung von SMS-Nachrichten im Beweisverfahren in Grundrechte des T eingreift?
Ja, in der Tat!
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) garantiert jedem Mensch die Möglichkeit zur persönlichen Lebensführung sowie Entwicklung und Wahrung seiner persönlichen Individualität. Ein Eingriff in das APR kann die Sozial-, Privat- oder Intimssphäre betreffen (sog. Sphärentheorie). Ohne weitere Abwägung ist ein Verwertungsverbot dabei aber nur in Fällen anzuerkennen, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung (Intimssphäre) berührt ist (=absolutes Verwertungsverbot). Die Verwertung personenbezogener Informationen aus SMS-Nachrichten in einer gerichtlichen Entscheidung greift in das APR von T ein. Da T das verschlüsselte Kryptohandy ausschließlich für die Organisation seines Drogenhandelns nutze, ist aber jedenfalls nicht die Intimsphäre betroffen.
6. Unterliegt die Nutzung der Nachrichten einem Verwertungsverbot, wenn der Eingriff in das APR nicht gerechtfertigt war?
Ja!
Beweismittel, deren Verwertung in Grundrechte des Beschuldigten eingreift, können jedenfalls dann verwendet werden, wenn der Eingriff gerechtfertigt ist. Gerechtfertigt ist er, (1) wenn eine verfassungsmäßige Ermächtigungsgrundlage besteht und (2) der Eingriff verhältnismäßig gewesen ist. Dies ist der Fall, wenn die nachteiligen Folgen durch den Eingriff nicht außer Verhältnis zu den positiven Folgen für die Allgemeinheit (Aufklärung schwerer Straftaten) stehen (Angemessenheit). Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung erhobener Beweise in der Hauptverhandlung ist § 261 StPO. Dies gilt unabhängig davon, ob diese zuvor im Inland oder auf sonstige Weise – etwa im Wege der Rechtshilfe – erlangt worden sind. Insofern kommt es auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit an. 7. Folgt die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs bereits daraus, dass die Erhebung der Daten nach französischem Recht rechtmäßig erfolgte?
Nein, das ist nicht der Fall!
BGH: Die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs durch die Verwertung des Beweismittels werde in der Regel bereits durch die tatbestandlichen Beschränkungen der Informationserhebung gewährleistet. Bei rechtmäßigen Ermittlungsmaßnahmen überwiege somit das öffentliche Interesse an der Verwertung. Beidurch Rechtshilfe erlangten Informationen sei dieser Maßstab zu modifizieren. Denn hier sei nicht zwingend gewährleistet, dass ein dem deutschen Recht vergleichbarer Schutzstandard sichergestellt ist. Gerade bei besonders intensiven Grundrechtseingriffen (zB heimliche Ermittlungsmaßnahmen), seien aber verfassungsrechtliche Schutzmechanismen für die Beweisverwertung unabdingbar. Könne dies nicht bereits bei der Anordnung der Ermittlungsmaßnahme gewährleistet, seien etwaige Schutzunterschiede auf der Ebene der Beweisverwendung zu kompensieren (RdNr. 65ff.).
8. Ist die Verwertung der SMS-Nachrichten, die T über das EnchroChat-Handy versendet hat, nach Auffassung des BGH in jedem Fall unverhältnismäßig und damit unzulässig?
Nein, das trifft nicht zu!
BGH: Zwar fehle es im deutschen Recht an einer entsprechenden Eingriffsbefugnis. Der Eingriff sei aber jedenfalls dann verhältnismäßig, wenn er die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau berücksichtige (§100e Abs. 6 StPO). Die Encro-Chat Daten dürften somit
(1) nur zur Aufklärung einer Straftat berücksichtigt werden, auf Grund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können (§ 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO).
(2)Zudem müsse die Straftat auch im Einzelfall besonders schwer wiegen und
(3) die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein. (RdNr. 69ff.) Vorliegend geht es um das Verbrechen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (vgl. § 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchst. b StPO i.V.m. § 29a Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 BtMG), das auch im Einzelfall schwer wiegt. Die Erforschung des Sachverhalts wäre darüber hinaus ohne diese Beweismittel nicht möglich.