Öffentliches Recht

VwGO

Allgemeine Leistungsklage

Qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis: Vorbeugende Unterlassungsklage bei erstmaligem Handeln (Fall 1)

Qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis: Vorbeugende Unterlassungsklage bei erstmaligem Handeln (Fall 1)

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Gemeinschaft der Zauberhüte (Z) erfährt, dass Bürgermeisterin B erstmalig eine Warnung vor Z auf der offiziellen Webseite der Stadt veröffentlichen will. Z will den zu erwartenden irreparablen Imageschaden und Verlust von Mitgliedern abwenden und begehrt, dass B nichts veröffentlicht.

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Einordnung des Falls

Qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis: Vorbeugende Unterlassungsklage bei erstmaligem Handeln (Fall 1)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Z klagt. Z wendet sich gegen ein zukünftiges Verwaltungshandeln. In Betracht kommt die allgemeine Leistungsklage.

Ja, in der Tat!

Wendet sich der Kläger gegen zukünftiges Verwaltungshandeln (= vorbeugender Rechtsschutz), muss auf die in der VwGO genannten Klagearten zurückgegriffen werden. In Betracht kommt insbesondere die allgemeine Leistungsklage in Form einer (vorbeugenden) Unterlassungsklage gegen hoheitliches Handeln. Diese ist der subsidiären und meist weniger rechtsschutzintensiveren Feststellungsklage vorzuziehen. Bs geplante Veröffentlichung in ihrer Rolle als Bürgermeisterin ist hoheitlicher Natur. Statthaft ist die vorbeugende Unterlassungsklage.
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2. Die vorbeugende Klage der Z ist nur zulässig, wenn Z ein besonderes Rechtsschutzinteresse hat.

Ja!

Vorbeugender Rechtsschutz soll nach der Systematik der VwGO eine Ausnahme bleiben. Wegen der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe (= Suspensiveffekt) ist es dem Kläger in den meisten Fällen zumutbar, auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen zu werden. Eine (vorbeugende) Unterlassungsklage ist deswegen nur ausnahmsweise statthaft, wenn zusätzlich zu der zu erwartenden subjektiven Rechtsverletzung des Klägers ein besonderes (auch: qualifiziertes) Rechtsschutzinteresse besteht.Z muss ein besonderes (= qualifiziertes) Rechtsschutzinteresse vorweisen können. Bitte in Fällen des vorbeugenden Rechtsschutzes das qualifizierte Rechtsschutzinteresse auf keinen Fall vergessen.

3. Damit ein besonderes Rechtsschutzinteresse besteht, müsste zunächst die Gefahr bestehen, dass die Verwaltung handelt.

Genau, so ist das!

Das besondere Rechtsschutzbedürfnis bezüglich erstmalig erwartetem Handeln der Verwaltung kann nur bejaht werden, wenn (1) eine tatsächliche Begehungsgefahr besteht und (2) es unzumutbar wäre, den Kläger auf repressiven Rechtsschutz zu verweisen. Ob eine tatsächliche Begehungsgefahr besteht, muss aus den Umständen des Einzelfalls begründet werden. Sie besteht insbesondere dann, wenn die Behörde die Vornahme einer bestimmten Handlung ernsthaft angedroht hat. Ob eine Begehungsgefahr besteht, wirst Du leicht dem Sachverhalt entnehmen können.

4. Weiterhin setzt des Bestehen eines qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses voraus, dass es dem Kläger nicht zumutbar ist, das Verwaltungshandeln abzuwarten.

Ja, in der Tat!

Der Kläger darf nach dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden, wenn das Abwarten des hoheitlichen Handelns irreparable, schwerwiegende Folgen für ihn begründet. Die Klage ist also zulässig, wenn (1) eine Verletzung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen durch tatsächliches Verwaltungshandeln droht (Begehungsgefahr) und (2) die Beeinträchtigung von relevantem Gewicht ist und (3) ein weiteres Zuwarten mit nicht zumutbaren Nachteilen verbunden wäre. Der Kläger kann nicht auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß §§ 80, 80a VwGO verwiesen werden, denn es fehlt ja gerade an dem zu erwartenden Verwaltungsakt.

5. Z ist es hier zumutbar, auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen zu werden. Vorbeugender Rechtsschutz scheidet aus.

Nein!

Wendet sich der Kläger gegen ein bevorstehendes schlichthoheitliches Handeln (= Realakt) ist der repressive Rechtsschutz oft unzureichend. Denn tatsächliches Handeln bringt oft tatsächliche Folgen mit sich, die nicht rückgängig gemacht werden können. Sind die zu erwartenden Warnungen der B einmal in der Welt, können diese nicht einfach so rückgängig gemacht werden. Der zu erwartenden Imageschaden und Mitgliederverlust der Z wiegt schwer. Z hat ein besonderes Rechtsschutzinteresse.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Tobias Rexler

Tobias Rexler

12.6.2023, 16:08:05

Ich finde es super, dass iRd Rechtsschutzbedürfnisses auch kontroverse Parteien in der Übung Erwähnung finden. So kann deutlich gemacht werden, dass auch unliebsame Parteien grundsätzlich ein Rechtsschutzbedürfnis haben und die tatsächliche Auseinandersetzung der kontroversen Eigenschaft erst in der

Begründetheit

behandelt werden soll. Dogmatisch sehr wertvoll!

Foxxy

Foxxy

6.8.2024, 09:05:42

Hallo Tobias Rexler, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

29.8.2023, 18:43:55

Die Ausführungen gelten dann aber für alle

Unterlassungs

klagen, sowohl die normale als auch die vorbeugende, oder? Oder steckt das qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis bei normalen

Unterlassungs

klagen in der "Wiederholungsgefahr"?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

6.8.2024, 09:24:06

Hallo @[evanici](214760), danke für die gute Frage! Genau so ist es. Ausnahmen von dem Grundsatz des nachträglichen Rechtsschutzes in der VwGO begründen sich immer damit, dass diese i.S.e. effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) notwendig sind. Diese Notwendigkeit muss man in jedem konkreten Einzelfall (im Rahmen des Rechtsschutzinteresses) darlegen. Die beiden von Dir angesprochenen Konstellationen unterscheiden sich darin, dass in dem einen Fall die

Behörde

bereits (rechtswidrig) gehandelt hat (->

Unterlassungs

klage) und in dem anderen Fall nur ein Handeln der

Behörde

befürchtet wird (->

vorbeugende Unterlassungsklage

). Die Frage ist in beiden Situationen: Kann der Kläger darauf verwiesen werden die Rechtsverletzung abzuwarten und nachträglichen Rechtsschutz zu erlangen? Im Sinne des effektiven Rechtsschutzes gilt: Wenn die konkrete Rechtsverletzung schon einmal eingetreten ist und erwartbar ist, dass sie wieder eintritt, dann kann dem Kläger nicht zugemutet werden, immer und immer wieder in seinen Rechten verletzt zu werden. Daher reicht es in diesem Fall für die

Unterlassungs

klage aus, wenn der Kläger die konkrete Wiederholungsgefahr darlegen kann. Also: Die Anforderungen an die Begründung des Rechtsschutzinteresses sind „abgesenkt“, weil der Kläger bereits eine Rechtsverletzung erlitten hat. Bei der vorbeugenden

Unterlassungs

klage dagegen ist (bisher) nichts passiert. In diesem Fall ist die Ausnahme davon, dass die VwGO grundsätzlich nur nachträglichen Rechtsschutz kennt, besonders begründungsbedürftig. Man braucht also neben der konkreten Begehungsgefahr (quasi das Äquivalent zur „Wiederholungsgefahr“) zusätzlich eine erwartete Beeinträchtigung von relevantem Gewicht. Zudem muss ein weiteres Zuwarten unzumutbar sein, weil dadurch irreparable Schäden / unzumutbare Nachteile beim Kläger entstehen würden. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

6.8.2024, 09:29:44

Nachtrag: Den „feinen“ Unterschied i.R.d. Begründung des qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses zeigen wir in einer der nachfolgenden Aufgaben auf: https://applink.jurafuchs.de/T2Kg0kMPPLb


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