Öffentliches Recht

Europarecht

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV

Fall zur Bereichsausnahme nach Art. 62 i.V.m. Art. 51 Abs. 1 AEUV

Fall zur Bereichsausnahme nach Art. 62 i.V.m. Art. 51 Abs. 1 AEUV

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Niederländerin K ist als Übersetzerin immer zeitweise und auf Basis von Werkverträgen im gesamten Unionsgebiet tätig. Nun möchte sie vor dem Kammergericht Berlin als Gerichtsübersetzerin tätig werden. Eine deutsche Regelung sieht jedoch vor, dass nur deutsche Staatsbürger als Gerichtsübersetzer tätig werden dürfen.

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Einordnung des Falls

Fall zur Bereichsausnahme nach Art. 62 i.V.m. Art. 51 Abs. 1 AEUV

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist in sachlicher, räumlicher und persönlicher Hinsicht eröffnet.

Ja, in der Tat!

Der sachliche Anwendungsbereich setzt eine Dienstleistung voraus. Die Dienstleistung lässt sich in Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten als selbstständige, vorübergehende Leistungen definieren, die einen entgeltlichen Charakter haben muss. Begünstigte sind Unionsbürger und gem. Art. 62 i.V.m. Art. 54 AEUV Gesellschaften mit Unionsbezug. Ferner ist ein grenzüberschreitender Bezug erforderlich. K wird auf Basis von Werkverträgen tätig und ist damit selbstständig beschäftig. Ferner hält sie sich immer nur zeitweise in den Mitgliedstaaten auf. Es handelt sich somit um eine Dienstleistung. Als Niederländerin ist K auch Unionsbürgerin und ein grenzüberschreitender Sachverhalt ist gegeben.
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2. Für die Dienstleistungsfreiheit ist keine Bereichsausnahme vorgesehen. Der Anwendungsbereich ist daher ohne Weiteres geöffnet.

Nein!

Die Bereichsausnahme des Art. 51 Abs. 1 AEUV gilt gemäß Art. 62 AEUV auch für die Dienstleistungsfreiheit. Die Bereichsausnahme sieht insoweit vor, dass die Dienstleistungsfreiheit nicht auf Tätigkeiten anwendbar ist, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Damit ist eine Bereichsausnahme für den Bereich der öffentlichen Gewalt vorgesehen. Hintergrund dieser Regelung ist, dass sich die Mitgliedstaaten für bestimmte Tätigkeiten, die in engem Zusammenhang mit der Ausübung von Hoheitsgewalt stehen, durch die Beschäftigung eigener Staatsbürger eine größere Loyalität erhoffen.

3. Die Bereichsausnahme des Art. 51 Abs. 1 AEUV ist weit auszulegen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Als Ausnahme einer der binnenmarktlichen Grundfreiheiten ist Art. 51 Abs. 1 AEUV so auszulegen, dass die Freiheitsgarantie nur insoweit eingeschränkt wird, als es zur Wahrnehmung der Interessen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 51 AEUV schützen dürfen, unbedingt erforderlich ist. Die Bereichsausnahme ist daher stets eng auszulegen. Diese enge Auslegung führt zu einer sehr restriktiven Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf die Annahme einer Bereichsausnahme.

4. Eine Tätigkeit ist immer dann mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden, wenn hoheitliches Handeln vorliegt.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine allgemeine Definition des Begriffs der öffentlichen Gewalt i.S.d. Art. 51 Abs. 1 AEUV durch den EuGH fehlt. Die Ausübung öffentlicher Gewalt ist nur für diejenigen Tätigkeiten gegeben, in denen sich der spezifische Gegenstand staatlicher Hoheitsgewalt ausdrückt. Ein Indiz für öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 51 Abs. 1 AEUV ist es daher, wenn ein Mitgliedstaat bei der betreffenden Tätigkeit „dem Bürger gegenüber von Sonderrechten, Hoheitsprivilegien und Zwangsbefugnissen“ Gebrauch macht. Schlicht hoheitliches Handeln unterfällt nicht Art. 51 Abs. 1 AEUV. Art. 51 AEUV zielt nicht auf Staatsbedienstete, sondern auf Privatpersonen ab, denen als beliehene Unternehmer bestimmte hoheitliche Privilegien oder Zwangsbefugnisse übertragen werden.

5. Art. 51 Abs.1 AEUV greift ferner nur, wenn die öffentliche Interessenwahrung nicht ebenso wirksam durch eine Kontrolle des Staates erfolgen könnte.

Ja!

Die Bereichsausnahme ist nur einschlägig, wenn es keine milderen, gleich geeigneten Mittel als die Ausübung öffentlicher Gewalt gibt, um die verfolgten öffentlichen Interesse zu erreichen. Verfügen die Mitgliedstaaten mit der Ausübung von Überwachungsbefugnissen über geeignete Mittel, um ihre öffentlichen Interessen selbst wahrzunehmen, ist daher keine Ausübung öffentlicher Gewalt gegeben. Dies wird teilweise als Ausdruck der engen Auslegung des Art. 51 Abs. 1 AEUV verstanden, teilweise aber auch als Folge des Verhältnismäßgkeitsgrundsatzes eingeordnet.

6. Die Tätigkeit der Gerichtsübersetzerin ist mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden und fällt daher unter die Ausnahmeregelung des Art. 62 i.V.m. 51 Abs. 1 AEUV.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der EuGH entschied, dass die Tätigkeit als Gerichtsübersetzerin nicht der Ausübung öffentlicher Gewalt nach Art. 51 Abs. 1 AEUV entspricht. Zwar unterstützt der Gerichtsübersetzer das Rechtsschutzsystem. Dies reicht aber nicht aus, da dies auf viele Berufe zutrifft. Die Aufgabe eines Gerichtsübersetzers besteht darin, eine neutrale und hochwertige Übersetzung aus einer Sprache in eine andere zu liefern, und nicht darin, in der Sache eine Meinung zu dieser Rechtssache zu äußern. Die Tätigkeiten der Gerichtsübersetzer sind keine Tätigkeiten im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AEUV, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, da die angefertigten Übersetzungen lediglich Hilfscharakter haben und die gerichtliche Würdigung und die freie Ausübung der rechtssprechenden Gewalt ungeschmälert lassen. Man muss sich in dieser Tiefe in der Klausur nur mit der Bereichsausnahme befassen, wenn die Bereichsausnahme einschlägig erscheint. Ansonsten reicht eine kurze Feststellung dazu, dass keine Bereichsausnahme gegeben ist.
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