Öffentliches Recht

Europarecht

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: intermediäre Gewalten („Deliege")

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: intermediäre Gewalten („Deliege")

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der belgische Judo-Verband weigert sich Belgierin D für die Teilnahme an einem Wettbewerb in Paris zuzulassen. Eine Teilnahme ist aber nur durch Sendung über einen Verband möglich. D beruft sich auf die Dienstleistungsfreiheit.

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Einordnung des Falls

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: intermediäre Gewalten („Deliege")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist für Amateursportler grundsätzlich nicht eröffnet.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Ausübung einer Sportart unterliegt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes dann dem Gemeinschaftsrecht falle, wenn sie zum Wirtschaftsleben gehört. Der EuGH unterscheidet nicht mehr strikt Amateuren und Berufssportlern. Denn auch Hochleistungssportler "könnten durch ihre Bekanntheit neben finanziellen Zuwendungen und anderen Fördermaßnahmen durchaus erhebliche Einnahmen erzielen, so dass sie Leistungen mit wirtschaftlichem Charakter erbrächten." [RdNr.12] Der Gerichtshof hat der sportlichen Tätigkeit in der Gemeinschaft außerdem eine beträchtliche soziale Bedeutung zugesprochen.
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2. D ist vorliegend als Dienstleistende i.S.d Art. 56 AEUV anzusehen.

Ja, in der Tat!

D kann als Hochleistungssportlerin durch ihre Teilnahme an internationalen Wettbewerben finanzielle Zuwendungen und Einnahmen erzielen, sodass sich ihre Wettbewerbsteilnahme als Teil des Wirtschaftslebens darstellt. Darüber hinaus handelt es sich bei Sportlern auch um selbstständig Tätige. Damit ist D als Dienstleistende anzusehen. Beeinträchtigungen, die ausländische Spieler von bestimmten Begegnungen aus nichtwirtschaftlichen Gründen ausschließen, die mit dem spezifischen Charakter und Rahmen dieser Begegnungen zusammenhängen und deshalb nur den Sport als solchen betreffen (z.B. bei Spielen zwischen den Nationalmannschaften verschiedener Länder),stehen dem Vertrag nicht entgegen. Sie dürfen jedoch nicht weiter gehen, als ihr Zweck es erfordert. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

3. Verpflichtete der Grundfreiheiten sind in erster Linie die Mitgliedstaaten.

Ja!

Die Grundfreiheiten als transnationale Integrationsnormen verpflichten in erster Linie die Mitgliedstaaten gemäß Art. 52 EUV und ihre Institutionen und Körperschaften. Die Bindung jedes Mitgliedstaats (sowohl des Aufnahmestaats als auch des Herkunftsstaats) ergibt sich auch aus der Formulierung des Art. 49 Abs. 2 AEUV.Bei den Grundfreiheiten handelt es sich um unmittelbar anwendbares Primärrecht, sodass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Grundfreiheiten zu gewährleisten.

4. Der systematische Zusammenhang spricht gegen eine Einbeziehung Privater in den Kreis der Verpflichteten.

Genau, so ist das!

Die Artt. 52, 54 und 57 Abs. 3 AEUV beziehen sich ausdrücklich auf staatliche Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund spricht der systematische Zusammenhang dafür, dass der Kreis der Verpflichteten auf die Mitgliedstaaten beschränkt bleibt und nicht auf Private ausgeweitet wird. Weitere Argumente die gegen die Einbeziehung Privater angebracht werden, ist der Grundrechtsschutz Privater. Denn durch eine unmittelbare Bindung Privater an die Dienstleistungsfreiheit wird deren grundrechtlich geschützte Freiheit zur wirtschaftlichen Betätigung beschränkt.

5. Der EuGH sieht Private unter gewissen Voraussetzungen dennoch als Verpflichtete der Grundfreiheiten an.

Ja, in der Tat!

Zwar erkennt der EuGH die systematischen Bedenken an. Allerdings stützt der EuGH sich zum einen auf den weiten Wortlaut des Art. 56 AEUV und hält daher eine Einbeziehung Privater für möglich. Weiterhin führt der EuGH das effet-utile an: Die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr als eines der wesentlichen Ziele der Gemeinschaft wäre gefährdet, „wenn die Beseitigung der staatlichen Schranken dadurch in ihren Wirkungen wieder aufgehoben würde, dass privatrechtliche Vereinigungen oder Einrichtungen kraft ihrer rechtlichen Autonomie derartige Hindernisse aufrichteten“. Zur Erinnerung: Im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit lehnt der EuGH eine Bindung Privater an die Grundfreiheiten ab.

6. Der Judo-Verband ist Adressat der Dienstleistungsfreiheit und die vom Judo-Verband getroffene Entscheidung beschränkt die Dienstleistungsfreiheit der D.

Ja!

Private Akteure können Adressaten der Dienstleistungsfreiheit sein,wenn sie über staatsähnliche Rechtsetzungsmacht verfügen und kollektive Maßnahmen im Bereich der unselbstständigen Arbeit/Erbringung von Dienstleistungen treffen (sog. „intermediäre Gewalten“). Durch die Entscheidung beeinflusst der Verband die Möglichkeit der Sportler an internationalen Wettbewerben teilzunehmen und damit Dienstleistungen zu empfangen. Es handelt sich daher um eine kollektive Maßnahme und der Verband hat insofern Rechtsetzungsmacht. Der EuGH erkennt insoweit eine unmittelbare Drittwirkung des Diskriminierungs- und Beschränkungsverbots aus Art. 56 AEUV an.Diese Entscheidung bestätigt somit die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Walrave.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

L.G

L.Goldstyn

30.8.2024, 19:16:45

Ist der Vertiefungshinweis „Zur Erinnerung: Im Rahmen der

Warenverkehrsfreiheit

lehnt der EuGH eine Bindung Privater an die Grundfreiheiten ab.“ noch aktuell? Ich meine mich zu erinnern, dass im Kapitel zur

Warenverkehrsfreiheit

auch eine Bindung Privater bejaht wurde.


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