+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Arbeitnehmerin Aylin fängt am 01.01.2022 ihren ersten Job bei Unternehmer Udo an. Sie soll drei Tage pro Woche arbeiten. Über Urlaub wurde nie gesprochen und auch ihr Arbeitsvertrag enthält hierzu keine Regelung.
Einordnung des Falls
Entstehung und Verfall des Urlaubsanspruchs
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Da Aylin mit Udo nicht über einen Anspruch auf Urlaub gesprochen hat, stehen ihr keine Urlaubsansprüche zu.
Nein, das ist nicht der Fall!
Unabhängig von einer vertraglichen Vereinbarung haben Arbeitnehmerinnen stets Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG). Dieser Anspruch ist zwingend und kann weder individualvertraglich noch durch einen kollektivrechtlichen Tarifvertrag abbedungen werden.Auch wenn F also keine eigene Vereinbarung getroffen hat, so steht ihr zuminndest der gesetzliche Anspruch auf Erholungsurlaub zu.Für die Zeit des Urlaubs haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Urlaubsentgelt (§ 11 BUrlG). Dieser tritt als eigene Anspruchsgrundlage an die Stelle des Lohnanspruchs.
2. Aylin stehen gesetzlich 24 Urlaubstage pro Jahr zu (§ 3 Abs. 1 BUrlG).
Nein, das trifft nicht zu!
Arbeitnehmern sollen nach dem Gesetz im Ergebnis vier volle Wochen bezahlter Urlaub zustehen. Die Formulierung des § 3 Abs. 1 BUrlG ist dabei ein wenig missverständlich im Hinblick auf die Anzahl der Urlaubstage. Explizit genannt wird lediglich die Anzahl der Urlaubstage, die bei einer 6-Tage-Woche zu gewähren sind. Arbeitet die Arbeitnehmerin weniger Tage in der Woche, so ist Anspruch anteilig zu kürzen.F arbeitet lediglich drei Tage pro Woche. Um vier Wochen frei zu nehmen benötigt sie also nur 12 Urlaubstage.Bei der üblichen Fünf-Tage-Woche entspricht der gesetzliche Mindesturlaub 20 WochentageDen meisten Arbeitnehmerinnen wird durch Arbeits- bzw. Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung mehr als der gesetzliche Mindesturlaub zugebilligt. 3. Bis zum Entstehen des vollen Anspruchs muss Aylin sechs Monate warten (§ 4 BUrlG).
Ja!
Da das Arbeitsverhältnis zu Beginn noch recht locker ist, gilt hier eine Wartezeit von sechs Monaten bis der Anspruch auf den vollen gesetzlichen Urlaub entsteht (§ 4 BUrlG).Aylin kann ihre zwölf Jahresurlaubstage also beispielsweise nicht bereits für eine ausgedehnte Osterreise benutzen.Allerdings entsteht während der Wartezeit mit jedem gearbeiteten Monat zumindest ein anteiliger Urlaubsanspruch (§ 5 Abs. 1 lit. a BUrlG) von einem Zwölftel. Für jeden vollen Monat steht Aylin also zumindest ein Urlaubstag zu.
4. Siedend heiß fällt Aylin am Silvesterabend ein, dass ihr noch zwei Urlaubstage zustehen. Auch Udo hat sie nicht daran erinnert. Verfallen diese Ansprüche am Jahresende?
Nein, das ist nicht der Fall!
Nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und Bundesarbeitsgerichts (BAG) verfallen Urlaubsansprüche entgegen der gesetzlichen Konzeption (§ 7 Abs. 3 BUrlG) nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt, den Urlaub auch zu nehmen. Dazu gehört (1) die Aufforderung noch ausstehenden Urlaub zu nehmen sowie (2) die rechtzeitige und klare Mitteilung, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht beantragt.Udo hat seine Obliegenheit verletzt, Aylin daran zu erinnern, den Urlaub zu nehmen. Damit bleibt der Anspruch auch nach Ablauf des Kalenderjahrs noch bestehen.