Schwerwiegende Gebrauchsbeeinträchtigung (Ausschließung)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Unternehmer U möchte mit seinem Lieferwagen Ware zu seiner Kundin K bringen. Der LKW des L blockiert jedoch komplett die einzige Zugangsstraße zum Betrieb der K.

Einordnung des Falls

Schwerwiegende Gebrauchsbeeinträchtigung (Ausschließung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. L hat das Eigentum des U am Lieferwagen in Form einer Gebrauchsbeeinträchtigung verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB), indem er die Zufahrtsstraße blockiert hat.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Zu (4): Der bestimmungsgemäße Gebrauch muss zumindest vorübergehend "praktisch aufgehoben" sein. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Fahrzeug so zugeparkt wird, dass es gar nicht mehr bewegt werden kann. Eine Beeinträchtigung des Sachgebrauchs liegt aber nicht vor, wenn wie hier U nur an einer konkreten Fahrt gehindert ist und die Nutzung dadurch lediglich zeitweilig beschränkt wird.

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<isa_hh>

4.4.2023, 09:51:44

Ist der Unterschied zum zugeparkten Auto dadurch gegeben, dass U auch umdrehen könnte und die Waren später zur Kundin bringt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.4.2023, 10:13:42

Hallo Isa, so ist es. Im zugrunde liegenden Originalfall ging es um einen Hafen, dessen Zufahrtsstraße blockiert war (Fleetfall). Der BGH hat hier zwischen den Schiffen differenziert, die ausgesperrt waren (also ihre Waren nicht abladen konnten) und denen, die eingesperrt waren. Während es den Schiffen draußen theoretisch weiterhin möglich war, herumzufahren, hatten die Schiffe im Hafen jegliche Bewegungsmöglichkeit verloren hatten (RdNr. 17 ff.). Dies beruht auf der st.Rspr. wonach eine Eigentumsbeeinträchtigung auch durch "vollständige Nutzungsentziehung" möglich sei, nicht aber durch bloße "Einengung der Nutzungsmöglichkeit". Ob diese Differenzierung des BGH im Originalfall tatsächlich zwingend und überzeugend war, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt. Denn zumindest praktisch dürfte es zB für ein voll beladenes Frachtschiff wirtschaftlich überhaupt keinen Sinn ergeben, irgendwo anders hinzufahren, als zu dem geplanten Zielort. Es lag insoweit faktisch nicht nur eine "Einengung", sondern vollständige Aufhebung vor. Nach der Rspr. des BGH würde ihnen dennoch ein Schadensersatzanspruch versagt, während den Reedern im Hafen ein entsprechender Anspruch zugebilligt wird. Aber da es sich hier um höchstrichterliche Rechtsprechung handelt, darf man dies natürlich dennoch guten Gewissens in der Klausur vertreten ;-) Gleiches gilt insoweit, für die hier gebildete Abwandlung und dem LKW-Fahrer. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

11.9.2023, 10:16:25

Du schreibst, dass es sich hier um eine Abwandlung des Fleet-Falls handelt. Ist dieser nicht viel älter als 2016? Und könnte man in eurem (?) Fall vielleicht bei der Beurteilung der Gebrauchsbeeinträchtigung nicht auch darauf abstellen, dass in einem zugeparkten Betrieb tatsächlich auch noch andere Dinge stattfinden als An-/Abfahrten, das krasse Gegenteil wäre dann vielleicht der zugeparkte Parkplatz (als einziger Gegenstand des Eigentums), bei dem sich der Nutzungszweck auf das Parken beschränkt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.9.2023, 18:22:27

Hallo evanici, der Fleetfall ist tatsächlich älter und bereits 1970 von dem BGH entschieden worden. Der hier verlinkte Fall ist allerdings gleich gelagert und insoweit ein willkommener Anlass für die Prüfungsämter, diese Thematik aufzugreifen. In der Tat kommen auch bezüglich der Fabrik Schadensersatzansprüche in Betracht. Dafür fehlt es aber an Sachverhaltsinformationen. Hier sollte allein die Frage behandelt werden, ob das Eigentum an dem Fahrzeug durch den Nutzungsentzug verletzt ist. Beste Grüße, Lukas


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