Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2021

Keine Erstreckung einer Grunddienstbarkeit auf andere Grundstücke

Keine Erstreckung einer Grunddienstbarkeit auf andere Grundstücke

12. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

X ist Eigentümerin der Grundstücke B und C. X fährt Grundstück C über Grundstück D an, das Y gehört. Ein Wegerecht ist nicht eingetragen. Für Grundstück B ist ein Wegerecht über Grundstück A, das Z gehört, im Grundbuch eingetragen. Y und Z verweigern Zufahrt zu Grundstück C über ihre Grundstücke.

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Einordnung des Falls

Keine Erstreckung einer Grunddienstbarkeit auf andere Grundstücke

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Als Eigentümer eines Grundstückes muss Y es stets dulden, dass andere dieses Grundstück als Zufahrt benutzen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eigentümer eines Grundstücks können in Ausübung ihres Eigentumsrechts mit diesem Grundstück nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen (§ 903 S. 1 BGB). Y ist als Eigentümer von Grundstück C berechtigt, Dritte - in diesem Fall X - von der Überfahrt über sein Grundstück C auszuschließen, soweit er nicht vertraglich oder gesetzlich zur Duldung der Überfahrt verpflichtet ist.
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2. Y muss die Nutzung seines Grundstücks D durch X als Zufahrt zu Grundstück C dulden, wenn die Voraussetzungen eines Notwegerechts (§ 917 BGB) vorliegen.

Ja, in der Tat!

Die Einräumung eines Notwegerechts (§ 917 Abs. 1 S. 1 BGB) setzt voraus, dass (1) einem Grundstück die Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt, die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendig ist, und (2) die Zugangslosigkeit des Grundstücks nicht anderweitig behoben werden kann. Das Notwegerecht nach § 917 Abs. 1 BGB ist ein Klausurklassiker. Hier nicht abschalten!

3. Wenn für Grundstück C eine Verbindung mit einem öffentlichen Weg über Grundstück A besteht, mangelt es an einem Notwegerecht in Bezug auf Grundstück D.

Ja!

Ein Notwegerecht (§ 917 Abs. 1 S. 1 BGB) hat als erste Voraussetzung, dass einem Grundstück die Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt, die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendig ist. X kann Grundstück D als Zugang zu ihrem Grundstück C nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des Notwegerechts in Anspruch nehmen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn eine ordnungsgemäße Verbindung von Grundstück C zu einem öffentlichen Weg besteht. Diese könnte hier über Grundstück A verlaufen. Dann wäre die erste Voraussetzung des § 917 Abs. 1 BGB nicht erfüllt. Wenn Du Dir in einer solchen Klausur keine Skizze machst, bist Du verloren.

4. Da X Grundstück B über Grundstück A auf Grundlage des im Grundbuch eingetragenen Wegerechts befahren darf, darf sie auch ihr Grundstück C über Grundstück A anfahren.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Ein durch eine Grunddienstbarkeit gesichertes Wegerecht gewährt dem Eigentümer das Wegerecht nur für dasjenige Grundstück, zu dessen Vorteil es eingetragen ist. Das Wegerecht gilt darüber hinaus nicht für weitere in seinem Eigentum stehende oder von ihm genutzte Grundstücke (RdNr. 25). Da das Wegerecht zur Nutzung von Grundstück A nur zugunsten von Grundstück B eingetragen ist, kann X dieses nicht für Grundstück C nutzen. Wichtig: Das eingetragene Wegerecht ist also grundstücksbezogen, nicht personenbezogen. X kann das eingetragene Wegerecht zugunsten eines ihrer Grundstücke nicht auf ein anliegendes Grundstück erweitern, nur weil sie Eigentümerin beider Grundstücke ist.

5. X' Grundstück C verfügt derzeit über die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg i.S.d. § 917 Abs. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Grundstück A versperrt Grundstück C auf der einen Seite den Zugang zu einem öffentlichen Weg. Auf der anderen Seite ist er durch Grundstück D versperrt. Da das zugunsten von Grundstück B eingetragene Wegerecht grundstückbezogen ist, darf es nicht dazu verwendet werden, um Grundstück C zu erreichen. Das eingetragene Wegerecht über Grundstück A verschafft nur Grundstück B die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg. Die ordnungsmäßige Benutzung eines zu Wohnzwecken oder gewerblich genutzten Grundstücks setzt in der Regel die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen voraus.

6. X kann die Zugangslosigkeit zu Grundstück C dadurch beseitigen, weil er gegen Z einen Anspruch hat, das eingetragene Wegerecht zugunsten von Grundstück B auf Grundstück C zu erweitern.

Nein!

Fehlt einem Grundstück die Verbindung mit einem öffentlichen Weg, die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendig ist, so darf zur Annahme eines Notwegerechts (§ 917 Abs. 1 BGB) zudem keine andere Möglichkeit bestehen, die Zugangslosigkeit des Grundstücks zu beheben. X steht kein Anspruch gegen Z zu, dass dieser das für Grundstück B eingetragene Wegerecht auch auf Grundstück C erstreckt. Die Vereinbarung einer Grunddienstbarkeit unterliegt der Privatautonomie, hierauf besteht kein gesetzlicher Anspruch. Auch eine andere Möglichkeit, die Zugangslosigkeit von Grundstück C zu beseitigen, ist hier nicht ersichtlich.

7. X hat ein Notwegerecht (§ 917 Abs. 1 BGB), das ihr erlaubt, über Ys Grundstück D zu ihrem Grundstück C zu gelangen.

Genau, so ist das!

Die Einräumung eines Notwegerechts (§ 917 Abs. 1 S. 1 BGB) setzt voraus, dass (1) einem Grundstück die Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt, die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendig ist, und (2) die Zugangslosigkeit des Grundstücks nicht anderweitig behoben werden kann. Grundstück C fehlt zu allen Seiten eine Verbindung zu einem öffentlichen Weg. Die Zugangslosigkeit lässt sich auch anderweitig nicht beheben. Die Voraussetzungen des § 917 Abs. 1 BGB sind erfüllt. Im Ausgangsfall war X der Zugang zu Grundstück C über Grundstück A zudem dadurch versperrt, dass zwischen ihren Grundstücken B und C eine öffentlich-rechtlich geschützte Hecke stand. Die rechtliche Lösung dieser Problematik findet ihr hier!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TAY

Taylaw

30.11.2021, 15:16:33

Ich habe mich gefragt, ob diese Abwandlung das rechtliche Problem nicht irgendwie verzerrt. Im Ausgangsfall war es X ja gar nicht möglich, C über sein anderes Grundstück B zu befahren. Im vorliegenden Fall wäre das X indes schon möglich. Kann es Z dann nicht egal sein, ob X auch sein zweites Grundstück über A anfährt? Immerhin fährt er ja im ersten Schritt sowieso – und das erlaubterweise – sein eigenes Grundstück B an. Und was X dann von B aus macht kann Z doch eigentlich egal sein, oder?

GI

GingerCharme

30.11.2021, 16:33:15

Mir kamen ähnliche Gedanken und ich habe mir dann vorzustellen versucht, was Z dagegen haben könnte. Mir fällt jedoch nur abwegiges ein, bis auf den Punkt: Naja er hat halt kein eingetragenes Recht dazu also darf er darauf bestehen, was ich jedoch nicht sehr überzeugend finde. In der Praxis kuriös ist dann ja auch, dass C für seine beiden Grundstücke, unterschiedliche Wege befahren muss, da nur bezüglich des einen Grundstücks ein Notwegerecht besteht und nur bezüglich des anderen, ein eingetragenes Wegerecht - da hat das Leben wohl wieder mehr Kreativität bewiesen als so mancher Klausursteller :D

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.12.2021, 09:41:50

Hallo ihr beiden, vielen Dank für eure klasse Nachfrage!

Tat

sächlich kommt es bei der Frage, ob X einen alternativen Zufahrtsweg zu seinem Grundstück B nicht darauf an, ob er FAKTISCH einen anderen Zugangsweg besitzt, aber diesen rechtlich nicht nutzen darf. Diesen Aspekt wollten wir durch diese Abwandlung noch einmal hervorheben und deutlich machen, dass das entscheidende Argument des BGH in der Entscheidung nicht die Hecke war, sondern der Umstand, dass die Grunddienstbarkeit eben nur zugunsten des Grundstück B bestand. Gedanklich könnte man sich das Grundstück B also gänzlich wegdenken, dann wird es noch deutlicher. Natürlich fragt ihr euch zurecht, was es denn für einen Unterschied mache, ob X nun nur Grundstück B über Grundstück A befahre oder eben von da auch weiter zu Grundstück C fahre. Oder wie Taylaw es ausgedrückt hat: "Kann Z doch eigentlich egal sein" :D Auf den ersten Blick klingt das plausibel. Sobald X das Grundstück des Z überquert hat, belastet diesen die Durchfahrt ja nicht mehr. Was macht es also für einen Unterschied, wenn X einfach weiterfährt zu Grundstück C? Deutlicher wird es vielleicht, wenn man sich anschaut, wie die Grundstücke im Originalfall genutzt wurden. Während Grundstück B unbebaut war, befand sich auf dem Grundstück C ein Suchthilfezentrum. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass der Umfang des Zugangsverkehrs zum Suchthilfezentrum deutlich größer ist, als zu dem unbebauten Grundstück. Für Z macht es also durchaus einen Unterschied, dass das eingetragene Wegerecht nicht zweckentfremdet wird und im Ergebnis auch für das Suchtzentrum genutzt wird. Dies dient allerdings nur der Veranschaulichung. Für die Frage der Zugangsmöglichkeit macht das rechtlich keinen Unterschied. Der Umfang des Verkehrs und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen des Nachbarn sind lediglich im Hinblick auf die Geldrente (§ 917 Abs. 2 BGB) bedeutsam. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Johannes -

Johannes -

14.2.2024, 20:54:12

Aber ist die Entscheidung nicht gerade auch im Hinblick darauf, dass die Grundstücke vereinigt werden könnten lächerlich?

hendrik88

hendrik88

28.1.2022, 16:56:57

Ich bin kein Jurist und Laie und habe eine Frage zur 2. Frage des Falls: Eine Zufahrt wird durch das Notwegerecht nach § 917 BGB nicht garantiert (es kann ggf. nur ein schmaler Fußweg eingefordert werden). Das Befahren des Notwegs mit einem Kraftfahrzeug wird vom Gericht meist nur ges

tat

tet, wenn das unzugängliche Grundstück gewerblich genutzt wird, und auch hier können gemäß der Umstände Einschränkungen erfolgen. Somit ist die Frage bei der es explizit um die Duldung der Zufahrt geht, mit nein zu beantworten. Oder sehe ich das falsch? Ich freue mich über eine fachkundige Antwort!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.1.2022, 17:08:49

Hallo hendrik88, herzlich willkommen im Forum und vielen Dank für Deine super Frage! Aus dem Gesetz ergibt sich in der

Tat

nicht zwingend, dass eine Zufahrt mit einem Kraftfahrzeug gefordert werden kann. Vielmehr spricht § 917 Abs. 1 S. 1 BGB lediglich davon, dass die für eine "ordnungsgemäße Benutzung notwendige Verbindung" verlangt werden kann. Hierzu hat sich der BGH unter Berufung auf vorangegangene Entscheidungen aber recht klar geäußert und ausgeführt: "Die ordnungsgemäße Benutzung eines zu Wohnzwecken oder gewerblich genutzten Grundstücks setzt in der Regel - und so auch hier - die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen voraus". Selbst bei privaten Grundstücken muss man sich also idR nicht auf einen Fußweg beschränken. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CLA

chuck lawris

10.3.2022, 08:05:36

Wie würde es denn in der reality ablaufen? Mal angenommen X schafft einen Weg auf seinem Grundstück B. Dieser führt nun zu seinem Grundstück C, sodass seine beiden Grundstücke B und C über einen Weg verbunden sind. Jetzt fährt er mit seinem KFZ über seine beiden GS, von B zu C. Dies wäre im Umkehrschluss zur Entscheidung ja "Unrecht" -> hat der Nachbar hier einen Unterlassungsanspruch? Und Grundsatzfrage: Wieso muss Y sein GS hergeben, wenn X bereits ein Wegerecht zu einem seiner GS hat und durch dieses sein GS C problemlos erreichen kann?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.3.2022, 10:06:16

Hallo chuck lawris, in der

Tat

muss Z hier zunächst nur die Nutzung seines Grundstückes im Umfang des eingetragenen Wegerechtes dulden. Soweit die Nutzung darüber hinausgeht und kein Notwegerecht besteht, hätte er somit einen Unterlassungsanspruch. Y muss dulden in Anspruch genommen zu werden, weil das Wegerecht zu Grundstück B lediglich zu dessen Nutzung besteht. Würde über dieses Wegerecht nun dafür genutzt werden, auch Grundstück C anzufahren, so wäre das Verkehrsaufkommen, das dann über Zs Grundstück verläuft, höher. Deutlicher wird es, wenn man sich eine konkrete Nutzung dazudenkt. Befindet sich auf Grundstück B eine Obstwiese und auf Grundstück C ein Hotel, so macht es einen erheblichen Unterschied, dass das Wegerecht kein Durchfahrtsrecht zu Grundstück C gewährt. Insoweit ist Y hier nicht schutzwürdiger als Z und muss somit die Nutzung seines Grundstückes dulden (ggfs. gegen eine entsprechende Geldrente). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CLA

chuck lawris

11.3.2022, 10:14:39

Ahhhh, da liegt das Karnickel im Chilli. Klar, das macht freilich einen Unterschied. Danke für die Antwort 👌

JANRE

JanRep

29.9.2024, 23:10:10

Kann X den Anspruch aus 917 (1) nicht auch gegen Z geltend machen? Für mich ist nicht ersichtlich, dass der Anspruch gegen Y geltend gemacht werden muss


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