Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2021
Keine Erstreckung einer Grunddienstbarkeit auf andere Grundstücke
Keine Erstreckung einer Grunddienstbarkeit auf andere Grundstücke
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
X ist Eigentümerin der Grundstücke B und C. X fährt Grundstück C über Grundstück D an, das Y gehört. Ein Wegerecht ist nicht eingetragen. Für Grundstück B ist ein Wegerecht über Grundstück A, das Z gehört, im Grundbuch eingetragen. Y und Z verweigern Zufahrt zu Grundstück C über ihre Grundstücke.
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Einordnung des Falls
Keine Erstreckung einer Grunddienstbarkeit auf andere Grundstücke
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Als Eigentümer eines Grundstückes muss Y es stets dulden, dass andere dieses Grundstück als Zufahrt benutzen.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Y muss die Nutzung seines Grundstücks D durch X als Zufahrt zu Grundstück C dulden, wenn die Voraussetzungen eines Notwegerechts (§ 917 BGB) vorliegen.
Ja, in der Tat!
3. Wenn für Grundstück C eine Verbindung mit einem öffentlichen Weg über Grundstück A besteht, mangelt es an einem Notwegerecht in Bezug auf Grundstück D.
Ja!
4. Da X Grundstück B über Grundstück A auf Grundlage des im Grundbuch eingetragenen Wegerechts befahren darf, darf sie auch ihr Grundstück C über Grundstück A anfahren.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. X' Grundstück C verfügt derzeit über die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg i.S.d. § 917 Abs. 1 BGB.
Nein, das trifft nicht zu!
6. X kann die Zugangslosigkeit zu Grundstück C dadurch beseitigen, weil er gegen Z einen Anspruch hat, das eingetragene Wegerecht zugunsten von Grundstück B auf Grundstück C zu erweitern.
Nein!
7. X hat ein Notwegerecht (§ 917 Abs. 1 BGB), das ihr erlaubt, über Ys Grundstück D zu ihrem Grundstück C zu gelangen.
Genau, so ist das!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Taylaw
30.11.2021, 15:16:33
Ich habe mich gefragt, ob diese Abwandlung das rechtliche Problem nicht irgendwie verzerrt. Im Ausgangsfall war es X ja gar nicht möglich, C über sein anderes Grundstück B zu befahren. Im vorliegenden Fall wäre das X indes schon möglich. Kann es Z dann nicht egal sein, ob X auch sein zweites Grundstück über A anfährt? Immerhin fährt er ja im ersten Schritt sowieso – und das erlaubterweise – sein eigenes Grundstück B an. Und was X dann von B aus macht kann Z doch eigentlich egal sein, oder?
GingerCharme
30.11.2021, 16:33:15
Mir kamen ähnliche Gedanken und ich habe mir dann vorzustellen versucht, was Z dagegen haben könnte. Mir fällt jedoch nur abwegiges ein, bis auf den Punkt: Naja er hat halt kein eingetragenes Recht dazu also darf er darauf bestehen, was ich jedoch nicht sehr überzeugend finde. In der Praxis kuriös ist dann ja auch, dass C für seine beiden Grundstücke, unterschiedliche Wege befahren muss, da nur bezüglich des einen Grundstücks ein Notwegerecht besteht und nur bezüglich des anderen, ein eingetragenes Wegerecht - da hat das Leben wohl wieder mehr Kreativität bewiesen als so mancher Klausursteller :D
Lukas_Mengestu
1.12.2021, 09:41:50
Hallo ihr beiden, vielen Dank für eure klasse Nachfrage!
Tatsächlich kommt es bei der Frage, ob X einen alternativen Zufahrtsweg zu seinem Grundstück B nicht darauf an, ob er FAKTISCH einen anderen Zugangsweg besitzt, aber diesen rechtlich nicht nutzen darf. Diesen Aspekt wollten wir durch diese Abwandlung noch einmal hervorheben und deutlich machen, dass das entscheidende Argument des BGH in der Entscheidung nicht die Hecke war, sondern der Umstand, dass die Grunddienstbarkeit eben nur zugunsten des Grundstück B bestand. Gedanklich könnte man sich das Grundstück B also gänzlich wegdenken, dann wird es noch deutlicher. Natürlich fragt ihr euch zurecht, was es denn für einen Unterschied mache, ob X nun nur Grundstück B über Grundstück A befahre oder eben von da auch weiter zu Grundstück C fahre. Oder wie Taylaw es ausgedrückt hat: "Kann Z doch eigentlich egal sein" :D Auf den ersten Blick klingt das plausibel. Sobald X das Grundstück des Z überquert hat, belastet diesen die Durchfahrt ja nicht mehr. Was macht es also für einen Unterschied, wenn X einfach weiterfährt zu Grundstück C? Deutlicher wird es vielleicht, wenn man sich anschaut, wie die Grundstücke im Originalfall genutzt wurden. Während Grundstück B unbebaut war, befand sich auf dem Grundstück C ein Suchthilfezentrum. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass der Umfang des Zugangsverkehrs zum Suchthilfezentrum deutlich größer ist, als zu dem unbebauten Grundstück. Für Z macht es also durchaus einen Unterschied, dass das eingetragene Wegerecht nicht zweckentfremdet wird und im Ergebnis auch für das Suchtzentrum genutzt wird. Dies dient allerdings nur der Veranschaulichung. Für die Frage der Zugangsmöglichkeit macht das rechtlich keinen Unterschied. Der Umfang des Verkehrs und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen des Nachbarn sind lediglich im Hinblick auf die Geldrente (§ 917 Abs. 2 BGB) bedeutsam. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Johannes -
14.2.2024, 20:54:12
Aber ist die Entscheidung nicht gerade auch im Hinblick darauf, dass die Grundstücke vereinigt werden könnten lächerlich?
hendrik88
28.1.2022, 16:56:57
Ich bin kein Jurist und Laie und habe eine Frage zur 2. Frage des Falls: Eine Zufahrt wird durch das Notwegerecht nach § 917 BGB nicht garantiert (es kann ggf. nur ein schmaler Fußweg eingefordert werden). Das Befahren des Notwegs mit einem Kraftfahrzeug wird vom Gericht meist nur ges
tattet, wenn das unzugängliche Grundstück gewerblich genutzt wird, und auch hier können gemäß der Umstände Einschränkungen erfolgen. Somit ist die Frage bei der es explizit um die Duldung der Zufahrt geht, mit nein zu beantworten. Oder sehe ich das falsch? Ich freue mich über eine fachkundige Antwort!
Lukas_Mengestu
28.1.2022, 17:08:49
Hallo hendrik88, herzlich willkommen im Forum und vielen Dank für Deine super Frage! Aus dem Gesetz ergibt sich in der
Tatnicht zwingend, dass eine Zufahrt mit einem Kraftfahrzeug gefordert werden kann. Vielmehr spricht § 917 Abs. 1 S. 1 BGB lediglich davon, dass die für eine "ordnungsgemäße Benutzung notwendige Verbindung" verlangt werden kann. Hierzu hat sich der BGH unter Berufung auf vorangegangene Entscheidungen aber recht klar geäußert und ausgeführt: "Die ordnungsgemäße Benutzung eines zu Wohnzwecken oder gewerblich genutzten Grundstücks setzt in der Regel - und so auch hier - die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen voraus". Selbst bei privaten Grundstücken muss man sich also idR nicht auf einen Fußweg beschränken. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
chuck lawris
10.3.2022, 08:05:36
Wie würde es denn in der reality ablaufen? Mal angenommen X schafft einen Weg auf seinem Grundstück B. Dieser führt nun zu seinem Grundstück C, sodass seine beiden Grundstücke B und C über einen Weg verbunden sind. Jetzt fährt er mit seinem KFZ über seine beiden GS, von B zu C. Dies wäre im Umkehrschluss zur Entscheidung ja "Unrecht" -> hat der Nachbar hier einen Unterlassungsanspruch? Und Grundsatzfrage: Wieso muss Y sein GS hergeben, wenn X bereits ein Wegerecht zu einem seiner GS hat und durch dieses sein GS C problemlos erreichen kann?
Lukas_Mengestu
11.3.2022, 10:06:16
Hallo chuck lawris, in der
Tatmuss Z hier zunächst nur die Nutzung seines Grundstückes im Umfang des eingetragenen Wegerechtes dulden. Soweit die Nutzung darüber hinausgeht und kein Notwegerecht besteht, hätte er somit einen Unterlassungsanspruch. Y muss dulden in Anspruch genommen zu werden, weil das Wegerecht zu Grundstück B lediglich zu dessen Nutzung besteht. Würde über dieses Wegerecht nun dafür genutzt werden, auch Grundstück C anzufahren, so wäre das Verkehrsaufkommen, das dann über Zs Grundstück verläuft, höher. Deutlicher wird es, wenn man sich eine konkrete Nutzung dazudenkt. Befindet sich auf Grundstück B eine Obstwiese und auf Grundstück C ein Hotel, so macht es einen erheblichen Unterschied, dass das Wegerecht kein Durchfahrtsrecht zu Grundstück C gewährt. Insoweit ist Y hier nicht schutzwürdiger als Z und muss somit die Nutzung seines Grundstückes dulden (ggfs. gegen eine entsprechende Geldrente). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
chuck lawris
11.3.2022, 10:14:39
Ahhhh, da liegt das Karnickel im Chilli. Klar, das macht freilich einen Unterschied. Danke für die Antwort 👌
JanRep
29.9.2024, 23:10:10
Kann X den Anspruch aus 917 (1) nicht auch gegen Z geltend machen? Für mich ist nicht ersichtlich, dass der Anspruch gegen Y geltend gemacht werden muss