Compliance

Kartellrechts-Compliance

Wettbewerbswidrige Absprachen

Das europäische Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 1 AEUV

Das europäische Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 1 AEUV

22. November 2024

4,4(4.506 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Das deutsche Pharmaunternehmen A verkauft in Europa ein Medikament gegen Bluthochdruck. Der französische Händler F verkauft das Medikament in Deutschland weiter. A droht, F nicht mehr zu beliefern, solange F in Deutschland weiterverkaufe. F stoppt daraufhin den Verkauf in Deutschland.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Das europäische Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 1 AEUV

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A und F bilden ein Kartell, das gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt.

Genau, so ist das!

Ein verbotenes Kartell ist nach Art. 101 Abs. 1 AEUV (1) (a) eine Vereinbarung oder (b) abgestimmte Verhaltensweise mehrerer Unternehmen oder (c) ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung, (2) die dazu geeignet ist, den Handel zwischen den EU-Mitgliedstaaten (Zwischenstaatlichkeitsklausel), (3) spürbar zu beeinträchtigen (Spürbarkeit) und (4) eine Wettbewerbsbeschränkung (5) (a) bezweckt oder (b) bewirkt. Zu 1) b): Die Abstimmung muss nicht ausdrücklich erfolgen, es genügt, wenn beide Unternehmen das Verhalten des anderen Unternehmens voraussagen können und dies nutzen, um den Wettbewerb nach ihrem Willen zu verfälschen.F zieht sich aus Deutschland zurück, womit ein Wettbewerber vom deutschen Markt ausscheidet.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Das Kartell verstößt auch gegen § 1 GWB.

Ja, in der Tat!

Ein verbotenes Kartell gemäß § 1 GWB ist (1) (a) eine Vereinbarung oder (b) abgestimmte Verhaltensweise mehrerer Unternehmen oder (c) ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung, (2) die den Wettbewerb spürbar beeinträchtigt (Spürbarkeit) und (3) eine Wettbewerbsbeschränkung (a) bezweckt oder (b) bewirkt. Ein Verhalten, das gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt und den deutschen Markt beeinträchtigt, verstößt auch immer gleichzeitig gegen § 1 GWB.

3. Das Kartell ist ausnahmsweise erlaubt, weil es sich um eine Vereinbarung zwischen einem Lieferanten (A) und einem Belieferten (F) handelt (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Vertikal-GVO).

Nein!

Die Freistellung in Art. 2 Abs. 1 S. 1 Vertikal-GVO (beziehungsweise § 2 Abs. 2 S. 1 GWB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 S. 1 Vertikal GVO) gilt nicht für Verhaltensweisen, die gegen eine der Kernbeschränkungen in Art. 4 Vertikal-GVO verstoßen. Sie erlaubt keine sog. Hardcore-Kartelle, d.h. Kartelle, die zielgerichtet geschlossen werden. Ein Hardcore-Kartell liegt etwa vor bei einer Vereinbarung, die das Gebiet einschränkt, in dem der Belieferte Produkte weiterverkaufen darf (Art. 4 lit. b Vertikal-GVO). Hier haben A und F abgemacht, dass F sich komplett aus Deutschland zurückzieht.

4. F kann Medikamente in Deutschland verkaufen, ohne dass A die Belieferung einstellen darf. Die Absprache ist nichtig. (Art. 101 Abs. 2 AEUV/§ 134 BGB)

Genau, so ist das!

Eine verbotene Absprache in einem Kartell ist nichtig. Das ergibt sich für das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV aus Art. 101 Abs. 2 AEUV und für das Kartellverbot des § 1 GWB aus § 134 BGB (Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot). Die Regelungen sollen den Wettbewerb und die Kartellanten selbst schützen. F ist an die Absprache mit A, nicht in Deutschland weiterzuverkaufen, nicht gebunden.

5. Die Europäische Kommission kann gegen A und F Geldbußen verhängen.

Ja, in der Tat!

Die Europäische Kommission kann eine Geldbuße festsetzen, wenn ein (1) Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung (2) vorsätzlich oder fahrlässig gegen (3) Art. 101 oder Art. 102 AEUV verstoßen hat (Art. 23 Abs. 2 S. 1 lit. a VO (EG) Nr. 1/2003). Die Geldbuße darf höchstens 10 % des Umsatzes des Vorjahres betragen (Art. 23 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 1/2003). Da auch F bei der Gebietsaufteilung geholfen hat, kann die Kommission gegen beide Unternehmen ein Bußgeld verhängen. Oft geht um Bußgelder in Millionen-, manchmal sogar Milliardenhöhe. Die Kommission kann sich entscheiden, den Sachverhalt bei der ansonsten zuständigen nationalen Wettbewerbsbehörde zu belassen (Art. 11 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1/2004). Diese wendet dann nationales Verfahrensrecht an.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GEL

gelöscht

12.11.2019, 07:14:58

Bei der vierten Frage wird etwas davon gesagt, dass das Medikament weiterverkauft werden darf ohne dass der Lieferant die Lieferung einstellen dürfe. Unabhängig davon, dass die Beschränkung durch den Lieferanten unzulässig ist - die Entscheidung des Lieferanten den Kunden nicht mehr zu beliefern (unabhängig möglicher Verträge) unterliegt der Vertragsfeiheit. Daher ist die Eingangsfrage nicht ganz passend.

Marc

Marc

12.11.2019, 17:25:34

Lieber Marcus, nach Art. 102 Abs. 2 AEUV als auch § 139 ist der gesamte Vertrag nur nichtig, wenn sich die einzelne Vereinbarung nicht vom gesamten Vertrag trennen lässt. Die Vereinbarung ist hier aber nicht in einer solchen Weise mit dem Vertrag verbunden. Welche Auswirkung dies auf den Rest des Vertrags hat, richtet sich indes nach § 139 BGB. Dieser regelt, dass der gesamte Vertrag nichtig ist, wenn nicht anzunehmen ist dass das Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen wäre. Hier haben A und F schon vor der Absprache ein Belieferungsverhältnis. Erst danach kommt die nichtige Vereinbarung zustande. Weil der Vertrag damit immer noch besteht, muss A den F weiterhin beliefern. Ich hoffe, dass die vierte Frage damit klarer wird! Beste Grüße Marc


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community

Weitere für Dich ausgwählte Fälle

Jurafuchs

Diskriminierende Preisgestaltung im kommunalen Schwimmbad

Diskriminierende Preisgestaltung im kommunalen Schwimmbad

Fall lesen

Jurafuchs Illustration zum Fraport-Urteil (BVerfG, 22.02.2011): Ein Demonstrant erhält Hausverbot von der Fraport-AG, die zu 70% im Eigentum der öffentlichen Hand liegt.

Fraport-Urteil (BVerfG, 22.02.2011): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

In dieser Entscheidung begründet das BVerfG die unmittelbare Grundrechtsbindung von juristischen Personen des Privatrechts, die zu mehr als 50 % vom Staat beherrscht werden. Kernaussage: „Von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.“

Fall lesen

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen