+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der Fremdenverkehrsverband des Landkreises B betreibt über die eigene B-GmbH ein Schwimmbad. Einwohner von B zahlen günstigere Eintrittspreise als auswärtige Besucher. A ist aus seinem Wohnort im nahen Österreich zum Schwimmen gekommen und muss den höheren Eintrittspreis zahlen.
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Einordnung des Falls
Diskriminierende Preisgestaltung im kommunalen Schwimmbad
Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer 2017
Examenstreffer Berlin/Brandenburg 2017
Examenstreffer NRW 2017
Examenstreffer Thüringen 2022
Examenstreffer Hessen 2022
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A kann sich gegenüber der B-GmbH auf den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) berufen, obwohl er Österreicher ist.
Ja!
Grundrechtsträger sind grundsätzlich alle natürlichen Personen. Jedermann-Grundrechte – wie Art. 3 Abs. 1 GG – berechtigen ohne Einschränkung auch Ausländer. Deutschen-Grundrechte, die ihrem Wortlaut nach ausdrücklich nur deutschen Staatsbürgern zuerkannt werden (z.B. Art. 8 Abs. 1 GG), stehen im Anwendungsbereich des Unionsrechts den Unionsbürgern nach überwiegender Ansicht in gleichem Umfang zu wie Deutschen (Jarass/Pieroth, GG, 14.A. 2016, Art. 19 RdNr. 10, 12). Art. 3 Abs. 1 GG ist ein Jedermann-Grundrecht, auf das auch A als österreichischer Staatsbürger sich berufen kann.
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2. Genügt das Einheimischenprivileg in der Preisgestaltung der B-GmbH den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG?
Nein, das ist nicht der Fall!
Die Anknüpfung an Sachgründe, die mit dem Wohnort untrennbar zusammenhängen, ist bei der B-GmbH gerade nicht gegeben. Denn sie – und damit das Schwimmbad – wird von dem Fremdenverkehrsverband des Landkreises B betrieben. Dieser weist seiner Natur nach über die örtliche Gemeinschaft hinaus und ist gerade darauf angelegt, auswärtige Besucher anzuziehen (RdNr. 42 f.). Solche sachverhaltsbezogenen Argumentationen werden von Dir in der Klausur erwartet.
3. Landkreisen und Gemeinden ist es verwehrt, ihre Einwohner bevorzugt zu behandeln.
Nein, das trifft nicht zu!
Das sog. Einheimischenprivileg stellt eine Ungleichbehandlung gegenüber Auswärtigen dar, die nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 GG durch einen legitimierenden Sachgrund zu rechtfertigen ist. Allein die Anknüpfung an den Wohnort genügt dem nicht. BVerfG: Eine Ungleichbehandlung könne aber an Sachgründe anknüpfen, die mit dem Wohnort untrennbar zusammenhängen. Dazu gehören z.B. Versorgung mit wohnortnahen Bildungsangeboten, Verursachung eines höheren Aufwands durch Auswärtige, Konzentration von Haushaltsmitteln auf die Aufgabenerfüllung gegenüber den Gemeindeeinwohnern oder Förderung kultureller und sozialer Belange der örtlichen Gemeinschaft (RdNr. 38 ff.).
4. Verletzt das Einheimischenprivileg in der Preisgestaltung der B-GmbH die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV)?
Ja!
Die Dienstleistungsfreiheit schützt Unionsbürger gerade davor, im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr schlechter behandelt zu werden als Einheimische. Denn wenn für Unionsbürger aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit ungünstigere Konditionen gelten als bei rein nationalen Sachverhalten, werden sie dadurch von der Ausübung ihrer Dienstleistungsfreiheit abgehalten (RdNr. 48 f.). Für A gilt allein aufgrund der Staatsangehörigkeit ein höherer Eintrittspreis als für Einheimische. Deshalb drohe, dass A von der Ausübung seiner Dienstleistungsfreiheit abgehalten wird. Dass wohnortfremde Deutsche ebenfalls einen höheren Preis zahlen müssen – Inländerdiskriminierung – ist für das Europarecht unerheblich. Das BVerfG attestierte in dieser Entscheidung den Fachgerichten schwere rechtliche Fehler. Ihre Einschätzungen, wonach weder Art. 3 Abs. 1 GG noch die Dienstleistungsfreiheit verletzt seien, seien unter keinem Blickwinkel bzw. keinem erdenklichen Gesichtspunkt nachvollziehbar (RdNr. 24, 44). 5. Kann A sich gegenüber der B-GmbH auf die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) berufen, obwohl weder Dienstleistung noch Dienstleistungserbringer (B-GmbH) die Grenze überschreiten?
Genau, so ist das!
Die unmittelbar anwendbare Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) schützt die grenzüberschreitende Erbringung von Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden. Geschützt ist die aktive Dienstleistungsfreiheit (Dienstleistungserbringer überschreitet die Grenze zum Zwecke der Erbringung der Dienstleistung), die passive Dienstleistungsfreiheit (Dienstleistungsempfänger überschreitet die Grenze zum Zweck der Inanspruchnahme der Dienstleistung) und die Korrespondenzdienstleistung (nur die Dienstleistung überschreitet die Grenze) (EuGH, Rs. Luisi und Carbone). Hier überschreitet A als Dienstleistungsempfänger die Grenze zum Zweck der Inanspruchnahme der Dienstleistung (passive Dienstleistungsfreiheit). Der Anwendungsbereich des Art. 56 AEUV ist daher eröffnet. Gründliche europarechtliche Kenntnisse werden in Examensklausuren vorausgesetzt und immer häufiger abgefragt. Schau Dir dazu unseren Europarechts-Kurs an. 6. Die B-GmbH kann A entgegenhalten, dass sie als juristische Person des Privatrechts nicht an die Grundrechte gebunden ist.
Nein, das trifft nicht zu!
Art. 1 Abs. 3 GG normiert eine umfassende Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt. Sie gilt unabhängig von den wahrgenommenen Aufgaben oder Zwecken und unabhängig von der Organisations- oder Handlungsform, die der Staat für seine Aufgabenwahrnehmung wählt. Deshalb sind privatrechtlich organisierte Unternehmen, die – wie hier – vollständig oder überwiegend im Eigentum des Staates stehen, stets grundrechtsverpflichtet. Sie können daher auch keine Grundrechtsträger sein (Konfusionsargument) (RdNr. 25 ff.). Als juristische Person des Privatrechts, die vollständig im Eigentum des Landkreises B – eines Hoheitsträgers – steht, ist die B-GmbH vollumfänglich an die Grundrechte gebunden.