Öffentliches Recht
Verwaltungsrecht AT
Wirksamkeit von Verwaltungsakten
Bekanntgabe mit Bekanntgabewille
Bekanntgabe mit Bekanntgabewille
11. April 2025
21 Kommentare
4,7 ★ (17.574 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der schusselige S, Sachbearbeiter der Baubehörde, verwechselt oft Akten. Versehentlich gibt er eine an X adressierte amtliche Abrissverfügung, die eigentlich in den Papierkorb wandern sollte, zur Post auf. Daraufhin erhält X die Abrissverfügung.
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Einordnung des Falls
Bekanntgabe mit Bekanntgabewille
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Verwaltungsakt bedarf zu seiner Wirksamkeit der Bekanntgabe.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Abrissverfügung wurden dem X bekanntgegeben.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Rotti
1.3.2020, 12:53:48
Der
Bekanntgabewillelag hier zwar nicht vor aber es ist dem betroffenen dennoch ein VA zugegangen. Dieser müsste trotzdem Widerspruch einlegen. Diese Problematik steht (für mich jedenfalls) ähnlich wie bei formell
rechtswidrigen VA en die zugestellt werden im Raum. Kann jemand dazu was sagen?
gelöscht
5.3.2020, 09:04:30
Der VA ist nach § 44 II Nr. 3 VwVfG nichtig. Ob man den nichtigen VA trotz seiner Nichtigkeit anfechten darf/muss ist strittig.
Henk
19.3.2020, 06:20:08
Kann man einen rein formellen VA annehmen? Die Bekanntgabe ist doch die VSS für die Wirksamkeit des VA. Jetzt ist dieser nichtig. Aber man könnte doch einen
Realaktannehmen, den man dann durch die Form des Schreibens als rein formellen VA qualifiziert.

Miriiichen
13.4.2020, 12:11:38
Also ich erkenne keine Nichtigkeit nach § 44 II Nr. 3 VwVfG, ausweislich hat die zuständige
Behördegehandelt. Ich würde auch gemäß § 43 I 2 VwVfG von einem bekanntgegebenen Verwaltungsakt ausgehen, welcher nach § 43 II VwVfG zurückgekommen werden müsste.
Vojtech
27.10.2021, 19:21:34
Der Chat ist etwas verwirrend. Hier liegt doch weder ein nichtiger Verwaltungsakt (sondern mangels Bekanntgabe ein unwirksamer) vor, noch kann man VA nach § 43 II VvWfG zurücknehmen. Der Betroffene wird durch diesen “VA” nicht verpflichtet. Muss die
Behördeihn neu erlassen oder bestehen auch andere Möglichkeiten?
Kate
4.11.2021, 19:41:49
Ich sehe es auch so, dass die Nichtigkeit nicht in Betracht kommt. Dafür hätte zuvor überhaupt ein VA existieren müssen. Ich würde spontan an eine Feststellungsklage nach § 43 I, Alt. 1 VwGO aus Sicht des S denken, wobei es dann einer Begründung bedarf weshalb ein gerichtliches Verfahren benötigt wird, obwohl kein Rechtsschein besteht. Aus Sicht der
Behördeist in dem konkreten Fall nichts mehr zu tun. Die wollten keinen VA (sollte eigentlich in den Papierkorb) und haben auch keinen VA bekanntgegeben. :)
Jose
3.8.2021, 18:14:22
Woraus ergibt sich die Tatbestandsvoraussetzung des
Bekanntgabewillen?

Lukas_Mengestu
16.12.2021, 13:26:22
Hallo Jjose, aus dem Wortlaut "bekannt gegeben wird", folgert man, dass diese Bekanntgabe nur dann vorliegt, wenn ein
Bekanntgabewillen besteht (vgl. Goldhammer, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Juli 2929, § 43 RdNr. 42). Gesondert normiert ist dies nicht noch einmal. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

kithorx
17.11.2022, 07:02:47
S will die Verfügung dem X eigentlich nicht bekanntgeben. Dennoch schickt er sie ihm willentlich zu. Warum kann darin dann keine Bekanntgabe gesehen werden? Warum ist relevant, was er zuvor wollte, oder eben nicht? Mithin lässt sich dem Sachverhalt auch nicht entnehmen, dass über Inhalt oder Adressat der Verfügung geirrt wurde (was auch immer das wiederum für Rechtsfolgen hätte).

Lukas_Mengestu
18.11.2022, 11:28:36
Hallo kithorx, vielen Dank für die Nachfrage. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einer wirksamen Bekanntgabe ist, dass Der Erlass eines Verwaltungsaktes setzt einen
Bekanntgabewillen der
Behördevoraus. der Akt des Erlasses von dem Willen der
Behördegeleitet sein muss. Die
Behördemuss gerade diesen Verwaltungsakt dem Betroffenen gegenüber bekannt machen wollen, um dadurch seine Wirksamkeit gegenüber dieser Person zu begründen (vgl. BeckOK VwVfG/Tiedemann, 57. Ed. 1.7.2022, VwVfG § 41 Rn. 4). Daran fehlt es hier. Ausweislich des Sachverhaltes hat S die Abrissverfügung "versehentlich" an X geschickt. Eigentlich wollte er den Bescheid vernichten. Aus diesem Grund fehlt es hier an dem notwendigen
Bekanntgabewillen und damit an einer Wirksamkeitsvoraussetzung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

kithorx
18.11.2022, 19:58:22
Hallo Lukas, vielen Dank für deinen Erklärungsversuch! Leider können meine Unklarheiten dadurch nicht wirklich beseitigt werden. Ich gehe davon aus, zu verstehen, worum es geht. Deine Erklärung würde für mich zum Beispiel in folgendem Szenario Sinn ergeben: Dem S rutscht der Brief versehentlich beim Vorbeigehen in den Postkasten, in dessen Folge er dem X zugestellt wird. In dem Fall wäre die inhaltliche Eröffnung tatsächlich versehentlich. Der S hat den Brief aber bewusst abgegeben (willentlicher Einwurf durch willentliche Körperbewegung). Ausweislich des Sachverhalts ist auch davon auszugehen, dass er weiß, dass es sich um die an X gerichtete Verfügung handelt (er wollte im Zeitpunkt des Einwurfs mithin DIESEN VA gerade DEM X bekanntgeben). Meines Erachtens werden hier Fragen des "Vorab" mit beachtet, die jedoch keinen Einfluss auf den
Bekanntgabewillen haben dürfen - es gab einen Versehen, aber eben nur im Vorhinein. Im Zeitpunkt der Aufgabe zur Post sind die
Tatbestandsmerkmaleder Bekanntgabe meines Erachtens erfüllt.

Lukas_Mengestu
22.11.2022, 10:21:25
Hallo kithorx, lieben Dank, dass Du noch einmal nachgehakt hast. Ich glaube, mir ist jetzt klar, an welcher Stelle Du anders abbiegst. Der Sachverhalt zielt darauf ab, dass S hier "versehentlich" den VA zur Post bringt. Es geht ihm also nicht darum DIESEN an X zu senden. Vielmehr geht es darum, dass er X zwar etwas schicken wollte, aber gerade nicht die Abrissverfügung (könnte zB die Benachrichtigung sein, dass man doch von dem Abriss absieht). Denn hinsichtlich des VA geht S davon aus, dass dieser bereits vernichtet sei. Wird es so nun klarer? Beste Grüße, Lukas

kithorx
22.11.2022, 15:51:38
Hallo Lukas, vielen Dank auch dir nochmals! Ja, so gedeutet bin ich dann ganz bei dir :) Den Sachverhalt finde ich an der Stelle insofern etwas missverständlich.
Peter P
5.4.2025, 20:55:46
Hallo zusammen, Ich bin Ingenieur, kein Jurist, aber setz mich im Rahmen meines 2. StEx auch mit Verwaltungsrecht auseinander. Deswegen vorab, wenns ne dumme Frage ist: woher weiß denn der Bürger, dass die Abrissverfügung KEIN VA ist? Dass das versehentlich war, mag sein, aber wie löst sich das Geschehene für ihn auf? Und wer trägt die Konsequenzen für Reaktionen des Bürgers (Anwalt einschalten etc), wenn ein VA gegen ihn erlassen wird, von dem er gar nicht wissen kann, dass er nichtig ist?
Dogu
14.12.2023, 09:19:13
Daraus könnte man doch sicher einen Fall basteln: "Der
Bekanntgabewillekann aufgegeben werden. Die Aufgabe des Willens der Finanz
behördezur Bekanntgabe eines Verwaltungsakts führt aber nur dann zu dessen Unwirksamkeit, wenn der Wille aufgegeben wird, bevor der Bescheid den Herrschaftsbereich der Verwaltung verlassen hat; die
Rechtzeitigkeit der
Aufgabe des Bekanntgabewillensmuss in den Akten hinreichend klar und eindeutig dokumentiert sein (BFH-Urteil vom 23.8.2000, X R 27/98, BStBl 2001 II S. 662). Der Empfänger des Verwaltungsakts ist unverzüglich schriftlich über die
Aufgabe des Bekanntgabewillenszu unterrichten. Es ist unerheblich, wenn der Empfänger diese Mitteilung erst nach
Zugangdes Verwaltungsakts erhält. Der
Aufgabe des Bekanntgabewillenskommt keine Bedeutung mehr zu, wenn der Verwaltungsakt den Herrschaftsbereich der Finanz
behördebereits verlassen hat (BFH-Urteil vom 12.8.1996, VI R 18/94, BStBl II S. 627)." AEAO zu § 124 - Wirksamkeit des Verwaltungsaktes:

Linne_Karlotta_
23.10.2024, 17:27:20
Hallo Dogu, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu unsere Lerninhalte entsprechend anpassen bzw. noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

ll373
1.10.2024, 14:13:08
Was würde passieren, wenn die Person nun die Abrissgenehmigung sieht und anfängt abzureißen? Der Empfänger der Genehmigung kann schließlich nicht wissen, ob diese mit
Bekanntgabewillen an ihn zugestellt wurde oder nicht.

erikxxx
23.1.2025, 15:32:59