Öffentliches Recht

Europarecht

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: Versteckte Diskriminierung

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: Versteckte Diskriminierung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Kommunale Museen in Italien verkaufen ortsansässigen Personen verbilligte Eintrittskarten. Die Kommission leitet daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien ein (Art. 258 AEUV).

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Einordnung des Falls

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: Versteckte Diskriminierung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Verkauf verbilligter Eintrittskarten stellt eine offen diskriminierende Maßnahme dar.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Diskriminierung besteht darin, dass rechtlich gleiche Sachverhalte unterschiedlich bzw. rechtlich unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden. Eine offene Diskriminierung ist dann gegeben, wenn die Ungleichbehandlung auf dem Differenzierungskriterium der Staatsangehörigkeit beruht. Offene Diskriminierungen führen also zu einer Ungleichbehandlung von Inländern und Ausländern, indem sie Personen aufgrund der Staatsangehörigkeit an dem Zugang zum Markt hindern. Vorliegend wird der unterschiedliche Eintrittspreis nicht von der Staatsangehörigkeit der Museumsbesucher, sondern von ihrer Ansässigkeit abhängig gemacht. Es handelt sich damit nicht um eine offene Diskriminierung auf Grund der Staatsbürgerschaft.
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2. Der Verkauf verbilligter Eintrittskarten stellt eine versteckt diskriminierende Maßnahme dar.

Ja!

Der Grundsatz der Gleichbehandlung, der in der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV verankert ist, verbietet nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. Eine versteckte Diskriminierung liegt vor, wenn die Ungleichbehandlung an ein anderes Differenzierungskriterium als die Staatsangehörigkeit geknüpft wird. Formal liegt bei der versteckten Diskriminierung eine gleiche (unterschiedslose) Behandlung von Inländern und Ausländern vor. Durch die versteckt diskriminierende Maßnahme werden Unionsbürger oder Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten, die sich im betroffenen Mitgliedstaat niederlassen, jedoch typischerweise stärker und häufiger betroffen als Inländer. Das Kriterium der Ansässigkeit für die Gewährung des verbilligten Tickets ist zwar unabhängig von der Nationalität. Allerdings droht sich das Kriterium der Ansässigkeit besonders zu Lasten von Unionsbürgern auszuwirken, die regelmäßig in einem anderem Mitgliedstaat ansässig sind.

3. Es handelt sich um die Maßnahme eines Verpflichteten.

Genau, so ist das!

Die Grundfreiheiten als transnationale Integrationsnormen verpflichten in erster Linie die Mitgliedstaaten gemäß Art. 52 EUV und ihre Institutionen und Körperschaften. Die Bindung jedes Mitgliedstaats (sowohl des Aufnahmestaats als auch des Herkunftsstaats) ergibt sich auch aus der Formulierung des Art. 49 Abs. 2 AEUV. Daneben verpflichten die Grundfreiheiten auch die Unionsorgane und sog. intermediäre Gewalten. Vorliegend handelt es sich um Maßnahmen von Museen, die sich in kommunaler Trägerschaft befinden. Da territorial alle Ebenen der Staatsorganisation und funktional auch Unternehmen unter staatlicher Kontrolle erfasst werden, handelt es sich vorliegend und eine Maßnahme Italiens und damit eines Mitgliedstaates.

4. Nur Personen, die in der Kommune ansässig sind, werden begünstigt und somit werden auch Italiener benachteiligt. Handelt es sich dennoch um eine diskriminierende Maßnahme?

Ja, in der Tat!

Es ist unerheblich, dass die Maßnahme nicht nur Besucher aus anderen Mitgliedstaaten, sondern auch die in anderen Teilen des Staatsgebiets wohnenden italienischen Staatsangehörigen betrifft. Um eine Maßnahme als diskriminierend qualifizieren zu können, muss sie nicht bewirken, dass alle Inländer begünstigt werden oder dass nur die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden. Auch wenn durch die Maßnahme Italiens auch italienische Staatsbürger benachteiligt werden, handelt es sich dennoch um eine Diskriminierung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BL

Blotgrim

15.7.2023, 23:57:34

Man könnte vielleicht als Vertiefungshinweis hinzufügen, dass sich die Italiener, die nicht ansässig in der Stadt sondern anderswo in Italien sind, nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen können, da es am grenzüberschreitenden Sachverhalt fehlt


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