Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2022
BVerfG, Masernimpfpflicht verfassungsgemäß
BVerfG, Masernimpfpflicht verfassungsgemäß
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Das Masernschutzgesetz (MSG) sieht vor, dass Kinder, die in Kindertageseinrichtungen betreut sind, oder die dort tätigen Personen gegen Masern geimpft oder immun sein müssen. Ansonsten kann ihnen der Zugang zu diesen Einrichtungen untersagt werden. Masern sind hochansteckend und können zu schwersten Krankheitsverläufen führen.
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Einordnung des Falls
BVerfG, Masernimpfpflicht verfassungsgemäß
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 18 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Einige Eltern sehen sich bzw. ihre Kinder durch diese „Impfpflicht“ in ihren Grundrechten verletzt. Sind die Kinder im Verfahren der Verfassungsbeschwerde beschwerdefähig?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Beschwerdebefugt ist, wer behaupten kann, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein (§ 90 Abs. 1 BVerfGG).
Ja, in der Tat!
3. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die angegriffenen Regelungen die Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführer verletzen. Dafür muss zunächst der Schutzbereich der einschlägigen Grundrechte eröffnet sein.
Ja!
4. Die Eltern berufen sich auf das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). Garantiert Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder, mit der Folge, dass der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG vorliegend eröffnet ist?
Genau, so ist das!
5. Die angegriffenen Regelungen müssten in die einschlägigen Grundrechte auch eingreifen. Ist der Grundrechtsschutz auf unmittelbar zielgerichtete Eingriffe beschränkt?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Zudem greifen die angegriffenen Regelungen zur Nachweispflicht und Betreuungsverbot zielgerichtet mittelbar in das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) der Kinder ein.
Ja!
7. Grundrechtseingriffe bedürfen zu ihrer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer gesetzlichen Grundlage. Reicht es aus, dass die zugrundeliegende gesetzliche Regelung materiell verfassungsgemäß ist?
Nein, das ist nicht der Fall!
8. Das Demokratie- (Art 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) sowie das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gebieten, dass der Gesetzgeber wesentliche Fragen selbst regelt.
Ja, in der Tat!
9. Lässt sich § 20 Abs. 8 S. 3 IfSG verfassungskonform dahingehend auslegen, dass die Nachweispflicht bei ausschließlicher Verfügbarkeit von Kombinationsimpfstoffen nur dann gilt, wenn diese keine weiteren Impfstoffkomponenten enthalten als die gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken?
Ja!
10. Jeder Grundrechtseingriff muss verhältnismäßig sein.
Genau, so ist das!
11. Ist die auf Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen bezogene Nachweispflicht und das Betreuungsverbot im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, die mit dem MSG verfolgten Zwecke zu erreichen?
Ja, in der Tat!
12. Es besteht Unsicherheit darüber, ob andere weniger beeinträchtigende als die vom Gesetzgeber gewählten Maßnahmen geeigneter sind. Ist die Nachweispflicht trotzdem erforderlich?
Ja!
13. Die Angemessenheit einer Maßnahme (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) erfordert, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen.
Genau, so ist das!
14. Wird die Intensität des Eingriffs in das Gesundheitssorgerecht der Eltern dadurch gemindert, dass die Masernimpfung gerade auch dem Gesundheitsschutz der nachweisverpflichteten Kinder selbst dient?
Ja, in der Tat!
15. Das bei fehlendem Nachweis einer Masernimpfung geltende Betreuungsverbot ist besonders eingriffsintensiv.
Ja!
16. Wird das Gewicht des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit der Kinder dadurch gemindert, dass die die Risiko-Nutzen-Bewertung für eine Masernimpfung spricht?
Genau, so ist das!
17. Verfolgt der Gesetzgeber mit den angegriffenen Vorschriften zum Schutz vor einer Masernerkrankung ein überragend gewichtiges Rechtsgut?
Ja, in der Tat!
18. Der Eingriff in die Grundrechte von Eltern und Kinder ist unverhältnismäßig.
Nein!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Vanilla Latte
23.10.2023, 12:20:45
Ich verstehe nicht, wie das mit der Nachweispflicht bei den Kombipräparaten gemeint ist. Was macht es für einen Unterschied, ob da noch andere Wirkstoffe sind?
Nordisch
26.11.2023, 20:52:16
Die Fragen dazu habe ich auch nicht nachvollziehen können. Sind sie vielleicht unverständlich formuliert?
Leonie
5.7.2024, 09:25:29
Hatte die gleiche Frage und habe es mir so erklärt: Durch die Nachweispflicht soll gewährleistet werden, dass sich die Kinder impfen. 1. Dieses Impfen ist vorrangig durch ein „Einzelpräparat“ möglich. Die Eltern gehen also zum Arzt und impfen ihr Kind „nur“ gegen Masern. 2. § 8 II S.3 IfsG sieht aber vor, dass diese mittelbare Impfplicht auch dann besteht, wenn kein „Einzelpräparat“ verfügbar ist. Die Eltern haben also nicht die „Ausrede“, dass sie ihr Kind nicht impfen konnten, weil anstelle der Einzelpräparate nur noch Kombipräparate impfbar sind, bei denen aber neben Masern auch noch ein anderer Impfstoff enthalten ist. Im Endeffekt heisst das, die Eltern müssen gegen mehr impfen, als sie evtl. von vornherein nicht wollten bzw. über die mittelbare Masernimpflicht hinaus. Das BVerfG hat hierbei gesagt, dass man den S. 3 in zwei Weisen verstehen kann: Es gibt kein Einzelpräparat und nur noch Kombipräparate, Folge: (1) Eltern müssen ihre Kinder mit jedem Kombipräparat impfen, um die Nachweispflicht zu verwirklichen. Egal welcher Impfstoff noch zugemischt ist, es gibt keine „Ausreden“ (2) Eltern müssen ihre Kinder mit dem Kombipräparat impfen, um die Nachweispflicht zu verwirklichen. Hierbei sind aber nur solche Kombipräparate gemeint, die die typischen ansteckenden Kinderkrankheiten meinen (Röteln, Windpocken etc.). Gibt es solche Präparate nicht (zB nur Verfügbarkeit von Masern + Malaria oÄ), haben die Eltern die „Ausrede“, dass sie damit ihr Kind nicht impfen müssen. mE soll damit gewährleistet werden, dass den Eltern nicht ausufernd „noch eine Pflicht“ aufgedrückt wird und sie ihre Kinder in einem solchen Fall nicht auch gegen unvorhergesehene Krankheiten impfen müssen.
Johannes Nebe
16.10.2024, 11:37:41
Der Punkt mit den Mehrfachimpfstoffen ist in der Tat kaum zu verstehen, wenn man sich nicht tiefer in die Materie einliest. Man könnte § 20 VIII 3 IfSG so verstehen, dass eine Impfung auch zuzumuten ist, wenn beliebige andere Impfstoffe im Mehrfachimpfstoff enthalten sind. Dann würde das Gesetz einer mittelbaren Impfpflicht mit zuvor noch nicht bezeichneten Impfstoffen Tür und Tor öffnen (Rn. 96). Die Norm würde dann das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip verletzen (Rn. 95). Auf der Basis der Gesetzesbegründung argumentiert das BVerfG dafür, dass die Norm bei verfassungskonformer Auslegung nur auf die bereits seit Jahren ausschließlich verfügbaren Mehrfachimpfstoffe mit den Komponenten gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken ziele. Mit dieser Auslegung würde der Regelungsumfang der Norm eben nicht ausufern, und das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip bliebe unverletzt.
Nordisch
26.11.2023, 20:55:28
Ich kann mich ganz gut vorm labern bewahren, indem ich mir als Verhältnismäßigkeitsmaßstab § 4 III HmbSOG zur Hand nehme: Maßstab darf nicht zu einem Nachteil führen, der zum erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Dann geht die strukturierte Prüfung fast von selbst.
ehemalige:r Nutzer:in
17.2.2024, 15:56:06
Hallo, leider finde ich keine Norm, nach der das BVerfG die VBs von unterschiedlichen Beschwerdeführern (Eltern Kind) zusammen in einem Urteil prüfen kann. Gibt es eine solche? Das ist ja quasi eine subj Antragshäufung. Kann ich den Begriff nennen? Vielen Dank für eine Antwort!
Sebastian Schmitt
19.12.2024, 16:59:30
Hallo ehemalige:r Nutzer:in, explizit findet man dazu in den Vorschriften über die Verfassungsbeschwerde (§§ 90 ff BVerfGG) nichts. Es gibt aber § 66 BVerfGG zum Organstreitverfahren, aus dem sich entnehmen lässt, dass eine Verbindung und Trennung von Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zumindest grds möglich ist (BeckOK-BVerfGG/Walter, 17. Ed, Stand 1.6.2024, § 66) - auch wenn es dogmatisch eigentlich bedenklich ist, aus einer erkennbar nur für eine der Verfahrensarten des BVerfGG bestehenden Vorschrift einen allgemeine Regel ableiten zu wollen. Man kann dazu sicherlich einen Satz schreiben. Von einer "subjektiven Antragshäufung" würde ich in diesem Zuge schon deshalb nicht sprechen, weil es sich eben um eine Verfassungs"beschwerde" und nicht um einen Verfassungs"antrag" handelt. Auch von der deshalb näher liegenden "subjektiven Beschwerdehäufung" würde ich aber eher Abstand nehmen. Das klingt mE zu sehr nach einer Streitgenossenschaft mit den entsprechenden prozessualen Wirkungen, die das BVerfGG nicht ohne Weiteres hergibt. Stattdessen lieber ganz neutral formulieren, dass das BVerfG über die einzelnen Verfahren gemeinsam entschieden hat. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Whale
26.8.2024, 11:14:32
Ich verstehe nicht ganz, inwiefern Kinder in ihrer körperliche Unversehrtheit verletzt sind, wenn sie noch gar nicht geimpft wurden. Das wäre dann ja vielleicht einen hypothetische oder mittelbare Verletzung oder so?
luisahrn
14.1.2025, 22:01:27
In den Fragen bei denen es um die Definition des modernen Eingriffsbegriff geht steht etwas von „zielgerichtet mittelbar“. Stehe ich auf dem Schlauch oder müsste sich zielgerichtet und mittelbar nicht ausschliessen? Also wie kann ein Eingriff gleichzeitig zielgerichtet als auch nur mittelbare Folge sein? Vielleicht kann mir das jemand erklären. Danke