+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Bundesinnenministerin B erlässt einen Verbotsbescheid gegen die politische Partei P aufgrund verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Als P die Wirksamkeit des Verbots anzweifelt, beruft sich B auf § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VereinsG. P ist der Ansicht, dem Verbot nicht nachkommen zu müssen, weil dieses nicht nur rechtswidrig, sondern auch nichtig sei.
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Einordnung des Falls
Einführungsfall Nichtigkeit: Überblick über Systematik des § 44 VwVfG
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist der Verbotsbescheid gegen P rechtswidrig?
Genau, so ist das!
Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn er gegen (geschriebene oder ungeschriebene) Rechtsnormen mit Außenwirkung verstößt. Insbesondere muss er auf einer verfassungsgemäßen, anwendbaren Rechtsgrundlage beruhen sowie formell und materiell rechtmäßig sein. B beruft sich auf die Ermächtigungsgrundlage des § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VereinsG, wonach Vereine, deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, durch das Innenministerium verboten werden können. Allerdings sind politische Parteien keine Vereine im Sinne des VereinsG (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 VereinsG). Damit handelte B bereits ohne einschlägige Ermächtigungsgrundlage, was gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) verstößt. Zudem ist der Verwaltungsakt unvereinbar mit Art. 21 Abs. 4 GG, wonach über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Taucht in Deiner verwaltungsrechtlichen Klausur eine politische Partei auf, musst Du immer den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Parteien (Art. 21 GG) im Hinterkopf haben und damit argumentieren.
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2. Führt die Rechtswidrigkeit des Verbotsbescheid automatisch zur Nichtigkeit des Bescheids?
Nein, das trifft nicht zu!
Auch rechtswidrige Verwaltungsakte können wirksam sein (Umkehrschluss aus § 43 Abs. 2 VwVfG). Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts ist streng von der Nichtigkeit des Verwaltungsakts zu unterscheiden. Ob ein rechtswidriger Verwaltungsakt nichtig ist, richtet sich nach § 44 VwVfG. § 44 Abs. 2 VwVfG enthält spezielle absolute Nichtigkeitsgründe (Positivliste). § 44 Abs. 3 VwVfG nennt bestimmte Rechtsverstöße, die nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führen (Negativliste). Schließlich regelt § 44 Abs. 1 VwVfG die relative Nichtigkeit von Verwaltungsakten (Generalklausel). Nur weil der Verbotsbescheid rechtswidrig ist, bedeutet das nicht per se, dass dieser auch nichtig ist. Dies muss gesondert geprüft werden. Eine verwaltungsrechtliche Klausur, in der die Nichtigkeit von Verwaltungsakten im Raum steht, kann sehr kniffelig sein. Hier gilt es vor allem, sehr sauber mit den Normen zu arbeiten und zu argumentieren. Lies Dir die §§ 43, 44 VwVfG durch! 3. Der Bescheid ist nichtig nach § 44 Abs. 2 VwVfG.
Nein!
Ob ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nichtig ist, richtet sich nach § 44 VwVfG. § 44 Abs. 2 VwVfG enthält spezielle Nichtigkeitsgründe (lesen!). In den dort normierten Fällen muss keine eigenständige Wertung nach § 44 Abs. 1 VwVfG mehr vorgenommen werden, diese wurde bereits durch den Gesetzgeber getroffen. Geregelt sind Fehler des Verwaltungsakts, die so gravierend sind, dass der Verwaltungsakt in jedem Fall nichtig sein soll. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein schriftlich oder elektronisch erlassener Verwaltungsakt die ausstellende Behörde nicht erkennen lässt (§ 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). Der Verbotsbescheid leidet nicht unter einem der in § 44 Abs. 2 VwVfG genannten Fehlern. Eine Nichtigkeit nach § 44 Abs. 2 VwVfG liegt nicht vor. 4. Der Rechtsverstoß ist schwerwiegend und offensichtlich. Der Verbotsbescheid ist nichtig nach § 44 Abs. 1 VwVfG.
Genau, so ist das!
Nach der „Generalklausel“ des § 44 Abs. 1 VwVfG (relative Nichtigkeitsgründe) ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er (1) an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und (2) dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Maßgeblich sind hierbei nicht die Vorstellungen des Adressaten, sondern die eines verständigen Bürgers. Die Rechtswidrigkeit muss dem Verwaltungsakt quasi „auf die Stirn geschrieben“ sein. Ob ein Fehler schwerwiegend ist, ergibt sich aus einer Gesamtabwägung im Lichte der betroffenen Rechte sowie unter Beachtung der Wertungen von § 44 Abs. 2, Abs. 3 VwVfG. Der Bescheid verstößt gegen Art. 21 Abs. 4 GG und damit gegen die verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisung. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze aus Art. 21 GG sind wesentlich und von hoher Bedeutung für die Rechte politischer Parteien und somit für die Demokratie. Bs Verstoß ist daher als schwerwiegend zu bewerten. Weiterhin ist es für einen verständigen Bürger offensichtlich, dass die Bundesinnenministerin nicht einfach so politische Parteien verbieten kann. Der Bescheid ist nichtig gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG. P muss dem Verbot nicht folge leisten, da es keine Rechtswirkung entfaltet (§ 43 Abs. 3 VwVfG).