Fall 2: Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage (Art. 80 GG)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Die bayerische Landesregierung erlässt im Sommer 2021 eine Verordnung zum Corona-Infektionsschutz, wonach sich - trotz stark gesunkener Infektionszahlen - nur zwei Haushalte gleichzeitig treffen dürfen. L zweifelt an, dass die Verordnung aufgrund einer hinreichend bestimmten Verordnungsermächtigung ergangen ist.

Einordnung des Falls

Fall 2: Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage (Art. 80 GG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ls Bedenken betreffen die Rechtmäßigkeit der Rechtsverordnung.

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Genau, so ist das!

Die Rechtmäßigkeit einer untergesetzlichen Norm setzt voraus, dass sie (1) auf der Grundlage einer (formell und materiell) rechtmäßigen Rechtsgrundlage ergangen ist und die Verordnung selbst (2) formell sowie (3) materiell rechtmäßig ist. L meint, die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der Rechtsverordnung (= gesetzliche Verordnungsermächtigung) sei nicht hinreichend bestimmt und deshalb materiell rechtswidrig. Ist die Verordnung aufgrund einer rechtswidrigen Verordnungsermächtigung ergangenen, führt das zur Rechtswidrigkeit der Verordnung insgesamt. Prüfst Du die Rechtmäßigkeit einer Verordnung, ist es besonders wichtig, dass Du den Überblick behältst: Die (inzidente) Prüfung der Rechtmäßigkeit der Verordnungsermächtigung ist strikt zu unterscheiden von der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der Verordnung selbst. Dieses Struktur kennst Du schon von der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts.

2. Die Verordnung beruht auf der Verordnungsermächtigung des § 32 IfSG i.V.m. §§ 28, 28a IfSG. Diese müsste rechtmäßig sein.

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Ja, in der Tat!

Jede rechtmäßige Rechtsverordnung setzt voraus, dass sie auf Grundlage einer - wiederum rechtmäßigen (= verfassungskonformen) Rechtsgrundlage zum Erlass der Verordnung (= Verordnungsermächtigung) beruht. Die Verordnungsermächtigung muss insbesondere die besonderen Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG einhalten. Die Rechtsgrundlage zum Erlass der Verordnung findet sich in § 32 IfSG i.V.m. §§ 28, 28a Abs. 1 Nr. 4 IfSG (Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen). Die Rechtmäßigkeit der erlassenen Corona-Rechtsverordnung setzt voraus, dass die genannten Normen eine rechtmäßige Ermächtigungsgrundlage sind. Angesichts intensiver öffentlicher Diskussionen um Rechtsverordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie solltest Du von den §§ 32, 28, 28a IfSG zumindest schon mal gehört haben.

3. Ist die Verordnungsermächtigung formell rechtswidrig?

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Nein!

Eine Verordnungsermächtigung ist formell rechtmäßig, wenn sie vom zum Erlass kompetenten Hoheitsträger unter Einhaltung der anwendbaren Form- und Verfahrensvorschriften erlassen wurde. Zu beachten ist unter anderem Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG (Zitiergebot). Danach muss die Verordnungsermächtigung angeben, welche konkreten Grundrechte durch die zu erlassende Verordnung eingeschränkt werden dürfen. Weiterhin gilt es, Art. 82 GG zu beachten. Das Verfahren richtet sich nach Art. 76ff. GG. Die Verordnungsermächtigung aus § 32 IfSG muss als formelles Bundesgesetz in einem Gesetzgebungsverfahren nach den Art. 76ff. GG vom Bundestag beschlossen und vom Bundespräsidenten verkündet werden (Art. 82 GG). Zuständigkeits-, Form- oder Verfahrensfehler sind hier nicht ersichtlich. Insbesondere enthält die Ermächtigung einen Verweis darauf, welche Grundrechte eingeschränkt werden dürfen. Du muss nicht immer alle Form- und Verfahrensvorschriften durchprüfen. Sprich vertieft nur das an, was problematisch erscheint.

4. Die Verordnungsermächtigung müsste in materieller Hinsicht vor allem den Vorgaben aus Art. 80 Abs. 1 GG genügen.

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Genau, so ist das!

5. Die § 32 IfSG i.V.m. §§ 28, 28a Abs. 1 Nr. 4 IfSG genügen den Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz und sind auch im Übrigen materiell verfassungskonform. Die Verordnungsermächtigung ist rechtmäßig.

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Ja, in der Tat!

Bei der Beurteilung der Bestimmtheit (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG) kommt es einerseits auf die Intensität möglicher Beschränkungen durch die Regelung an: Das Gesetz muss umso bestimmter sein, je schwerwiegender die grundrechtlichen Auswirkungen für die durch die Verordnung Betroffenen sind. Andererseits kommt es auf die Eigenart des zu regelnden Sachverhalts an, also z.B. auf die Frage, ob eine nähere Umschreibung möglich ist. Die § 32 IfSG i.V.m. §§ 28, 28a Abs. 1 Nr. 4 IfSG ermöglichen Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen (Inhalt), die erheblich in die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und die Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) eingreifen. Das verschärft die Anforderungen an die Bestimmtheit. § 32 S. 1 IfSG ermöglicht den Erlass von Rechtsverordnungen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Damit ist der Zweck der Verordnung genannt. Der Katalog des § 28a Abs. 1 IfSG grenzt den Umfang der Maßnahmen ab (Ausmaß). § 28a Abs. 1 und 2 IfSG enthält weitergehende Voraussetzungen für den Erlass von Maßnahmen nach Abs. 1.

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