Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Die Rechtsverordnung

Fall 4: Verstoß gegen Wesentlichkeitstheorie (Kampfhundeverordnung)

Fall 4: Verstoß gegen Wesentlichkeitstheorie (Kampfhundeverordnung)

7. Juli 2025

14 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Berliner Landesregierung erlässt eine Verordnung, wonach Hunde, die als „Kampfhunde“ eingestuft werden, nicht gezüchtet werden dürfen. Die Regierung stützt den Erlass der Kampfhundeverordnung auf § 55 ASOG Bln. Hundehalterin H hält das für rechtswidrig.

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Einordnung des Falls

Fall 4: Verstoß gegen Wesentlichkeitstheorie (Kampfhundeverordnung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kampfhundeverordnung kann nur rechtmäßig sein, wenn die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu Erlass der Rechtsverordnung rechtmäßig ist.

Genau, so ist das!

Die Rechtmäßigkeit einer untergesetzlichen Norm setzt voraus, dass sie (1) auf der Grundlage einer (formell und materiell) rechtmäßigen Rechtsgrundlage ergangen ist und die Verordnung selbst (2) formell sowie (3) materiell rechtmäßig ist. Als Ermächtigungsgrundlage hat die Landesregierung § 55 ASOG Bln herangezogen. Es bestehen keine Bedenken gegen die formelle und materielle Rechtmäßigkeit von § 55 ASOG Bln.
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2. Ist der Erlass der Kampfhundeverordnung vom Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage § 55 ASOG Bln gedeckt?

Ja, in der Tat!

Ist die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage rechtmäßig, kommt es im nächsten Schritt darauf an, ob der Erlass der konkreten Rechtsverordnung von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. § 55 ASOG Bln ermächtigt die Landesregierung ausschließlich zum Erlass von Verordnungen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Die öffentliche Sicherheit umfasst vor allem auch Rechtsgüter von Dritten. Dadurch, dass die als gefährlich eingestufte Zucht und Kreuzung von bestimmten Hunden verboten wird, zielt die Landesregierung letztlich auf den Schutz der Rechtsgüter aller Menschen ab, die mit den entsprechenden Hunden in Berührung kommen. Der Erlass der Hunderechtsverordnung ist grundsätzlich von § 55 ASOG Bln gedeckt. Als Hilfe kannst Du gedanklich immer die Parallele zum Verwaltungsakt ziehen: Auch dieser kann nur rechtmäßig sein, wenn er den Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage erfüllt. § 55 ASOG Bln entspricht entsprechenden Verordnungsermächtigungen in den Polizei- und Ordnungsgesetzen der anderen Bundesländer.

3. Die Kampfhundeverordnung schränkt die Grundrechte der Hundehalter wesentlich ein. Könnte das dafür sprechen, dass die gefahrenabwehrrechtliche Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der Verordnung nicht ausreicht?

Ja!

Neben den Vorgaben aus Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ist immer auch an die Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG zu denken. Danach ist die Legislative aufgrund des Demokratieprinzips verpflichtet, in grundlegenden grundrechtsrelevanten Bereichen alle wesentlichen Regelungen selbst zu treffen. Das Demokratieprinzip fordert, dass wesentliche Entscheidungen ausschließlich und direkt vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber getroffen werden. Die Kampfhundeverordnung schränkt Grundrechte (Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) wesentlich ein, indem ein bestimmtes (berufliches) Handeln komplett verboten wird. § 55 ASOG Bln ist damit keine ausreichende Grundlage für den Erlass der Kampfhundeverordnung. Vielmehr muss der Gesetzgeber eine solche Regelung durch ein formelles Gesetz erlassen. Zwar wird mit der Wesentlichkeitstheorie die Anwendbarkeit der Ermächtigungsgrundlage im konkreten Fall als rechtswidrig abgelehnt, dies führt aber nicht dazu, dass die Ermächtigungsgrundlage generell verfassungswidrig ist. In polizeirechtlichen Klausuren musst Du oft mehrere Ermächtigungsgrundlagen prüfen, um diejenige zu finden, die das streitgegenständliche Verwaltungshandeln trägt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

REUS04

Reus04

2.5.2023, 11:16:03

Warum wird hier das Zitiergebot oder der Bestimmtheitsgrundsatz nicht erwähnt?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.5.2023, 11:42:15

Hallo Reus04, danke für deine Frage. Das Zitiergebot wird nur in den wenigsten Fällen erwähnt, da die überwiegende Ansicht in den letzten Jahrzehnten zu der Ansicht gekommen ist, dass wenn immer jedes nur möglicherweise verletzte Grundrecht genannt wird, das jede Funktion verliert. Das Zitiergebot soll dem Gesetzgeber vor Augen führen, wie schwerwiegend die geplante Regelung ist. Wenn immer automatisch alle möglichen Normen gedankenlos zitiert werden, verliert es seinen Zweck. Der Bestimmtheitsgrundsatz steht hier hinter dem

Wesentlichkeitsgebot

zurück. Zudem ist der Begriff des "Kampfhundes" nicht unbestimmt, sondern vielmehr bestimmtbar danach, dass es solche Rassen sind die zum Kampf gegen andere Tiere wie Bullen oder Löwen gezüchtet und eingesetzt wurden. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

OKA

okalinkk

18.4.2025, 16:34:50

Und woher weiß man dann, wann das Zitiergebot genannt werden muss und wann nicht?

PAT

Patrick4219

3.2.2024, 16:10:47

Kann mir jemand kurz sagen worin der Unterschied zum Fall mit der Corona-Verordnung liegt? Ich hätte jetzt auch primär an den Bestimmtheitsgrundsatz gedacht und mich dann darauf berufen, dass vorliegend die Art der RVO nicht hinreichend bestimmt ist aber in Bezug auf die Wesentlichkeotstheprie sehe ich keinen Unterschied 🤔

CR7

CR7

11.8.2024, 17:09:11

Bei der Corona-VO hast du eine Grundrechtseinschränkung der Art. 12, Art. 14, Art 8. etc, aber zeitlich befristet. Hier wird de facto das Handeln einer ganzen Berufsgruppe dauerhaft faktisch verboten. Das ist so schwer, da muss ein formelles Gesetz her. Die materielle Rechtsnorm trägt diese Einschränkung nicht, so bestimmt sie auch sein mag.

dolo agitation

dolo agitation

3.6.2025, 17:24:32

Im wesentlichen ist mir die Frage offen geblieben ab wann ein Grundrechtseingriff nun so wesentlich ist, dass die

Wesentlichkeitstheorie

eingreift und ein formelles Gesetz verlangt :) Kann jemand weiterhelfen? Außerdem würde ich mich über eine saubere dogmatische sowie normative Anknüpfung freuen. Hier wird nur geschrieben, dass sich die

Wesentlichkeitstheorie

(irgendwie) aus dem Demokratieprinzip ergibt. Ich meine jedoch gelernt zu haben, dass sie ihre Wurzel in der Lehre vom Vorbehalt des Gesetztes findet, welche im **Rechtsstaatsprinzip** (Art. 20 III GG) verankert ist. Dazu kommt dann der Parlamentsvorbehalt, welcher wiederum auf das **Demokratieprinzip** (Art. 20 I, II GG) zurückgeht.


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