Wirksame doppelte Schriftformklausel

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

U hat Mitarbeitern fünf Jahre in Folge Weihnachtsgeld gezahlt. Als A Weihnachtsgeld aufgrund betrieblicher Übung fordert, verweigert U die Zahlung. In § 13 des Arbeitsvertrages steht: „Änderungen des Vertrags durch individuelle Vertragsabreden sind formlos wirksam. Im Übrigen bedürfen Vertragsänderungen der Schriftform; mündliche Vereinbarungen über die Aufhebung dieses Schriftformerfordernisses sind nichtig.“

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Einordnung des Falls

Wirksame doppelte Schriftformklausel

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Entstehen einer betrieblichen Übung kann durch eine doppelte Schriftformklausel verhindert werden.

Ja!

Eine doppelte Schriftformklausel, nach der nicht nur Vertragsänderungen von der Schriftform abhängig gemacht werden, sondern auch die Änderung der Schriftformklausel ihrerseits, kann verhindern, dass eine betriebliche Übung entsteht. Denn durch die Verwendung gerade einer doppelten Schriftformklausel machen die Parteien deutlich, dass sie auf die Formstrenge besonderen Wert legen. Durch mündliche Abreden bzw. konkludentes Verhalten kann das Schriftformerfordernis für Vertragsänderungen somit nicht aufgehoben werden.
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2. Eine doppelte Schriftformklausel in einem Formularvertrag muss das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S.2 BGB wahren.

Genau, so ist das!

Grundsätzlich ist die Vereinbarung einer doppelten Schriftformklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Formulararbeitsvertrages wegen Verstoßes gegen § 307 Abs.1 S.2 BGB nichtig, wenn dadurch der Anschein erweckt wird, dass abweichende mündliche Nebenabreden nicht möglich sind. Denn dies ist hinsichtlich des Vorrangs der Individualabrede (§ 305b BGB) irreführend und stellt somit eine unangemessene Benachteiligung dar.

3. A hat einen Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes aus § 611a Abs.2 BGB iVm. den Grundsätzen der betrieblichen Übung, da die Schriftformklausel unwirksam ist.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Anspruch aus betrieblicher Übung kann durch eine wirksame doppelte Schriftformklausel verhindert werden. Im Formulararbeitsvertrag ist eine doppelte Schriftformklausel enthalten, nach der aber ausdrücklich Vertragsänderungen durch individuelle Vertragsabreden auch formlos wirksam sind. Daher ist sie nicht wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs.1 S.2 BGB) unwirksam. Der betrieblichen Übung steht das Schriftformerfordernis entgegen. A hat keinen Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes. Die betriebliche Übung stellt keine vorrangige Individualabrede nach § 305b BGB dar, da sie nicht von den Parteien ausgehandelt wird, sondern durch einseitiges Verhalten des Arbeitgebers entsteht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

IS

IsiRider

21.10.2022, 17:28:28

Also ich finde diese Klausel verwirrend. Der Arbeitnehmer muss also auslegen, was eine individuelle Vertragsabrede darstellt, um festzustellen, ob eine Schriftform einzuhalten ist oder nicht. Warum ist die Klausel transparent?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.10.2022, 11:28:40

Hallo IsiRider, früher war die Ausnahme mit der individuellen Vertragsabrede kein Bestandteil der doppelten

Schriftformklausel

. Das BAG hat diese Klausel dann als intransparent verworfen (BAG, NZA 2008, 1233). Denn im AGB-Recht gehen individuelle Vertragsabreden - egal ob schriftlich oder mündlich - zwingend vor (

§ 305b BGB

). Um dies deutlich zu machen und den Anwendungsbereich der Klausel damit auf die Vermeidung der Entstehung einer betrieblichen Übung zu beschränken, wurde nun zur Klarstellung mit aufgenommen, dass "individuelle Vertragsabreden" nicht unter die Klausel fallen. Dies wurde bislang nicht beanstandet. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

PAT

Patrick4219

19.2.2024, 13:57:35

Schönes Beispiel, um zu zeigen, dass wir Juristen doch in einer andern Welt leben 😅. Die Urklausel hat jeder Arbeitnehmer verstanden, da wäre der Normalverbraucher nie auf die Idee gekommen sie könnte unklar sein. Die neue und wirksame Klausel hingegen versteht kein normaler Arbeitnehmer und sie ist transparent genug. Habe heute mal zum Spaß 5 Personen (alles Akademiker) gefragt was die Klausel Aussagen soll und von allen kam die Antwort: "Nichts, die beiden Sätze widersprechen sich doch.". Ein Vorschlag von mir, um die Unklarheiten etwas zu beseitigen: "Kollektivvertraglichen Änderungen des Arbeitsvertrages bedürfen der Schriftform. Dieses Schriftformerfordernis kann seinerseits nicht durch Kollektivvertrag (Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag, etc.) aufgehoben werden. Individualvertragliche Abrede sind von dem Schriftformerfordernis ausgenommen und daher formlos möglich." Ich freue mich gerne über eure rechtlichen Meinungen zur Vorgeschlagenen Formulierung und einen kleinen Austausch 😊

ahimes

ahimes

29.2.2024, 17:34:44

Also, dass diese Klausel vom Transparenzgebot gewahrt ist, hat mich auch ziemlich überrascht. Ich finde die auch total verwirrend.

cjackson94

cjackson94

6.12.2023, 15:37:23

Wovon weicht das doppelte Schriftformerfordernis ab, sodass die Inhaltskontrolle gem. §

307 III BGB

eröffnet ist?

MWA

mwally

11.12.2023, 01:05:20

Was genau meinst du mit der Frage? Hier ist die

doppelte Schriftformklausel

wirksam, weil

Individualabrede

n explizit auch formlos möglich bleiben.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.12.2023, 14:22:21

@[mwally](225215) @[cjackson94](193899): Hallo ihr beiden, der Hinweis von cjackson bezieht sich darauf, dass eine Inhaltskontrolle nur möglich ist, sofern die AGB von gesetzlichen Regelungen abweicht. Diese Einschränkung soll verhindern, dass rein deklaratorische Regelungen, die lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholen, keiner Inhaltskontrolle unterliegen. Die

doppelte Schriftformklausel

weicht von dem - nicht explizit kodifizierten - Grundsatz ab, dass die Parteien, die einen

Formzwang

vereinbaren (

gewillkürte Form

, vgl.

§ 127 BGB

), diesen

Formzwang

letztlich auch mündlich wieder außer Kraft setzen können (vgl. MüKoBGB/Einsele, 9. Aufl. 2021, BGB § 125 Rn. 71). Entsprechend handelt es sich nicht nur um eine rein deklaratorische Regelung und unterliegt deshalb der Inhaltskontrolle. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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