Gattungsschuld: Konkretisierung Holschuld

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Trainerin T bestellt bei Verkäufer V für ihre Fußballmannschaft 10 Bälle der Marke "Goal" für insgesamt €200. Sie vereinbaren, dass T sie abholt. Als sie eintreffen, stellt V die Bälle bereit und benachrichtigt T. T erscheint nicht zur Abholung. Nach vier Tagen brennt Vs Laden vollständig aus.

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Einordnung des Falls

Gattungsschuld: Konkretisierung Holschuld

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ts Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Bälle ist entstanden (§ 433 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Bei Abschluss eines Kaufvertrages ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 BGB). V und T haben einen Kaufvertrag über 10 Bälle der Marke "Goal" abgeschlossen.
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2. Ob die Übergabe und Übereignung für V unmöglich ist, bestimmt sich nach der Art der vereinbarten Schuld.

Ja, in der Tat!

Bei gegenstandsbezogenen Leistungspflichten hängt der Eintritt der Unmöglichkeit davon ab, ob noch ein geeigneter Leistungsgegenstand vorhanden ist. Dabei unterscheidet man Stück- und Gattungsschulden.Stückschuld liegt vor, wenn der Leistungsgegenstand individuell bestimmt wurde, also nur mit einem ganz bestimmten Gegenstand geleistet werden soll. Steht dieser nicht mehr zur Verfügung, so tritt Unmöglichkeit ein. Bei der Gattungsschuld (§ 243 Abs. 1 BGB) bestimmen die Parteien den Leistungsgegenstand bloß nach allgemeinen Merkmalen als Teil einer Gruppe von Gegenständen (Gattung). Vor der Konkretisierung (§ 243 Abs. 2 BGB) führt nur der Untergang der Gattung hier zur Unmöglichkeit.

3. V und T haben eine Stückschuld vereinbart.

Nein!

Eine Stückschuld liegt vor, wenn der Leistungsgegenstand individuell bestimmt wurde, also nur mit einem ganz bestimmten Gegenstand geleistet werden soll. Eine Gattungsschuld (§ 243 Abs. 2 BGB) liegt vor, wenn der Leistungsgegenstand bloß nach allgemeinen Merkmalen als Teil einer Gruppe von Gegenständen (Gattung) bestimmt ist.T hat bei V 10 Bälle der Marke "Goal" bestellt. Damit haben T und V die Leistung nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmt und eine Gattungsschuld vereinbart.

4. Sofern V alles für seine Leistung erforderliche getan hat, ist durch die Zerstörung der Bälle Unmöglichkeit eingetreten (§ 275 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Sofern der Schuldner alles zu seiner Leistung erforderliche getan hat, so konkretisiert sich die Gattungsschuld (§ 243 Abs. 2 BGB). In der Konsequenz wird die Gattungsschuld ab dem Zeitpunkt der Konkretisierung behandelt wie eine Stückschuld. Geht der Leistungsgegenstand nach der Konkretisierung unter, so tritt also Unmöglichkeit ein (§ 275 Abs. 1 BGB).Man spricht hier auch von einem Übergang der Leistungsgefahr, also der Gefahr des zufälligen Untergangs des Leistungsgegenstandes. Bis zur Konkretisierung trägt diese der Schuldner, ab der Konkretisierung der Gläubiger.

5. Ab wann Konkretisierung eintritt, bestimmt sich nach der vereinbarten Leistungshandlung.

Ja, in der Tat!

Mindestvoraussetzung der Konkretisierung ist die Auswahl und Aussonderung von Sachen mittlerer Art und Güte (§ 243 Abs. 1 BGB bzw. § 360 HGB). Im Übrigen ist der Ort an dem die Leistungshandlung zu erbringen ist (Leistungs- bzw. Erfüllungsort) maßgeblich. Hierbei unterscheidet man zwischen Hol-, Bring- und Schickschuld. Bei der Holschuld liegt der Leistungsort beim Schuldner. Er muss also nur die Sache bereitstellen, den Gläubiger benachrichtigen und zur Abholung auffordern. Achtung Verwechslungsgefahr! Leistungs- und Erfüllungsort sind Synonyme. Als Erfolgsort bezeichnet man dagegen den Ort, an dem der geschuldete Leistungserfolg (nicht die Handlung) eintritt.

6. T und V haben vereinbart, dass T die Bälle in Vs Laden abholt. Damit liegt eine Holschuld vor.

Ja!

Der Leistungsort richtet sich in erster Linie nach der Vereinbarung der Parteien oder den Umständen des Schuldverhältnissen. Ist keine Vereinbarung getroffen und ergibt sich der Leistungsort auch nicht aus den Umständen, so muss der Schuldner die Leistungshandlung an seinem Wohnsitz (§ 269 Abs. 1 BGB) bzw. Gewerbesitz (§ 269 Abs. 2 BGB) vornehmen. T und V haben ausdrücklich vereinbart, dass T die Bälle bei V abholt. Damit soll die Leistung am Ort des Schuldners erfolgen und die Parteien haben eine Holschuld vereinbart. Bei der Holschuld liegen der Leistungsort (Anbieten der Bälle) und der Erfolgsort (Übergang des Eigentums der Bälle) beide am Sitz des Schuldner.

7. Indem V die Bälle bereitgestellt und T benachrichtigt hat, ist es zur Konkretisierung (§ 243 Abs. 2 BGB) gekommen.

Genau, so ist das!

Für die Konkretisierung müsste der Schuldner das zur Leistung seinerseits erforderliche getan haben (§ 243 Abs.2 BGB). Bei Holschulden muss der Schuldner die Sache mittlerer Art und Güte bereitstellen, den Gläubiger benachrichtigen und zur Abholung auffordern.V hat die Bälle ausgesondert und T darüber informiert. Da V sie mehrere Tage lang nicht abgeholt hat, ist die Konkretisierung eingetreten.

8. T kann von V Übergabe und Übereignung anderer 10 Bälle der Marke "Goal" verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der Konkretisierung der Gattungsschuld ist der Eintritt der Unmöglichkeit nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Stückschuld zu beurteilen. Die Leistungspflicht beschränkt sich auf die Sache, an der der Schuldner das Erforderliche vorgenommen hat (§ 243 Abs.2 BGB). Indem er alles zur Erfüllung seiner Leistung erforderliche vorgenommen hat, hat V die geschuldete Gattungssschuld auf die ausgesonderten 10 Bälle beschränkt (§ 243 Abs. 2 BGB). Da diese bei dem Brand zerstört wurden, ist Ts Anspruch auf Übergabe und Übereignung von 10 Bällen der Marke "Goal" untergegangen (§ 275 Abs. 1 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Daughtrrr K.

Daughtrrr K.

18.8.2022, 01:58:38

In der vorigen Antwort steht, dass die Konkretisierung eingetreten sei, da K die Bälle mehrere Tage nicht abgeholt hat. Ist die Konkretisierung nicht viel eher eingetreten, weil V sie ausgesondert und bereit gestellt hat? Also die Konkretisierung hängt doch von der Konkretisierungshandlung ab, nicht von dem Nichtabholen, oder? Liebe Grüße

Nora Mommsen

Nora Mommsen

19.8.2022, 18:06:41

Hallo Daughter K., die erforderliche Leistungshandlung ist das Aussondern, Bereitstellung sowie die Aufforderung zum Abholen, da vorliegend kein fester Abholtermin vereinbart worden war. Bei der Holschuld ist allerdings umstritten, ob nicht dem Gläubiger der Leistung eine gewisse Frist zur Abholung eingeräumt werden sollte. Denn es wäre unbillig, ihn ab dem Zeitpunkt der Mitteilung, der ja für ihn willkürlich ist, die volle Gefahr tragen zu lassen. Daher wird vertreten, dass bei der Holschuld nicht nur "das seinerseits erforderliche" erbracht worden sein muss, sondern auch eine angemessene Wartezeit abgelaufen sein muss, damit Konkretisierung eintritt. Aus diesem Grund ist die Formulierung präzise. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

HAGE

hagenhubl

4.5.2024, 13:09:37

Muss T die Bälle denn bezahlen?

Johannes Nebe

Johannes Nebe

2.7.2024, 08:40:42

§ 275 IV BGB verweist u. a. auf § 326 BGB. Einschlägig wäre hier § 326 II 1 Var. 2 BGB, der den fortgesetzten Gegenleistungsanspruch bei Annahmeverzug bestimmt. Demnach hat T die Bälle zu bezahlen. Habe nun aber nur die Norm gelesen und hoffe, nichts zu übersehen.


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