Öffentliches Recht
VwGO
Feststellungsklage
Statthaftigkeit Feststellungsklage: Rechtsverhältnis aufgrund untergesetzlicher Normen
Statthaftigkeit Feststellungsklage: Rechtsverhältnis aufgrund untergesetzlicher Normen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die Satzung der von Gemeinde G betriebenen Bibliothek wird dahingehend geändert, dass Zugang zum Lesesaal überwiegend nur noch für gegen COVID Geimpfte möglich ist. Die ungeimpfte I meint, dass für sie die Ausnahmeregelungen der Satzung gelten. Sie will gerichtlich feststellen lassen, dass sie den Lesesaal weiterhin nutzen darf.
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Einordnung des Falls
Statthaftigkeit Feststellungsklage: Rechtsverhältnis aufgrund untergesetzlicher Normen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. I begehrt die Feststellung, dass sie als Ungeimpfte weiterhin den Lesesaal benutzen kann. Statthaft ist die Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO), wenn es sich hierbei um ein Rechtsverhältnis handelt.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Rechtsverhältnisse können nur aufgrund formeller Gesetze entstehen.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Aus der Satzung ergibt sich ein subjektives Recht für gegen Corona Geimpfte. Sie schränkt gleichzeitig die Rechte der Umgeimpften ein.
Ja, in der Tat!
4. I möchte feststellen lassen, dass sie nach der Satzung ebenfalls den Lesesaal nutzen darf. Statthaft ist die allgemeine Feststellungsklage.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
ehemalige:r Nutzer:in
7.11.2021, 18:31:19
Kann sie auch Verpflichtungsklage erheben? Oder ist die Zulassung in den Raum kein VA?
Lukas_Mengestu
8.11.2021, 09:54:33
Hallo Mariam, in der Tat stellt die Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung auch einen Verwaltungsakt dar. Somit käme hier vorliegend auch eine Verpflichtungsklage in Betracht, in der I beantragt, G dazu verpflichten, sie wieder zuzulassen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Leo
1.12.2021, 16:02:38
Daran anknüpfend: Warum ist die
Feststellungsklagehier nicht gem. §43 II 1 VwGO subsidiär gegenüber der Verpflichtungsklage?
Lukas_Mengestu
2.12.2021, 10:20:06
Hallo Leo, sehr gute Frage. Grundsätzlich hast Du völlig recht, dass die
Feststellungsklagesubsidiär zur Verpflichtungsklage ist. Dahinter stehen zwei Überlegungen, nämlich einmal die Prozessökonomie und zum anderen die Rechtschutzintensität. Soweit der Kläger sein Klageziel mittels Gestaltungs- oder
Leistungsklageerreichen kann, soll er auch diese sachnäheren und effektiveren Klagearten wählen und nicht auf die weniger rechtsschutzintensive
Feststellungsklageausweichen, die keine Gestaltungswirkung entfaltet und auch keinen Vollstreckungstitel vermittelt. Zudem sollen die besonderen Voraussetzungen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht durch den Rückgriff auf die
Feststellungsklageunterlaufen werden (vgl. Möstl, in: BeckOK-VwGO, 59.Ed. 1.10.2021, VwGO § 43 RdNr. 21). Das gilt allerdings dann nicht, wenn die
Feststellungsklageausnahmesweise im Vergleich zu Gestaltungs- und
Leistungsklagen den effektiveren Rechtsschutz bietet, insbesondere wenn eine Vielzahl von Gestaltungs- oder
Leistungsklagen zu erheben wäre (BVwerwG, NVwZ 2004, 1229; NVwZ-RR 1998, 302)BVerwGE 121, 152 (156); Möstl, in: BeckOK-VwGO, 59.Ed. 1.10.2021, VwGO § 43 RdNr. 21). Mit der
Feststellungsklagewird hier abschließend geklärt, ob die Ausnahmeregelung für I gilt - oder eben nicht. Die Verpflichtungsklage ist dagegen auf die jeweilige Zulassung gerichtet, also auf den Erlass des Zulassungsbescheides. Das bedeutet, dass I bei mehrfacher Benutzung der Bibliothek ggfs. gezwungen wäre, wiederholt Klage zu erheben. Insoweit bietet die
Feststellungsklageausnahmsweise den effektiveren Rechtsschutz, da sie die Vorfrage des Bestehens der Ausnahmetatbestände abschließend klärt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Leo
2.12.2021, 15:21:13
Das leuchtet ein, vielen Dank für die schnelle und ausführliche Antwort! 👍
Flohm
17.8.2023, 17:51:22
Ich verstehe noch nicht warum hier ein Rechtsverhältnis vorliegt?
in persona
17.8.2024, 11:00:39
+1-Push :)
as.mzkw
18.9.2024, 13:40:34
Ein Rechtverhältnis besteht, wenn sich aus der Anwendung öffentlich-rechtlicher Normen auf einen konkreten Sachverhalt eine rechtliche Beziehung zwischen zwei Personen oder einer Person und einer Sache ergibt. Die Satzung der Gemeinde ist öffentlich-rechtlicher Natur. Angewendet auf den Sachverhalt - die Nutzung der Bibliothek - ergibt sich daraus das (Nicht-)Bestehen einer rechtlichen Beziehung zwischen G und I, nämlich dass I entweder ein Recht auf Zugang zur Bibliothek hat oder eben nicht. So in etwa hätte ich es zumindest in einer Klausur formuliert.
Faby
28.9.2024, 20:58:05
Bei dem einen Fall (ich glaube Kneipenbetreiber, der nach § 35 GewO unzuverlässig sein soll) wurde erklärt, dass die
Feststellungsklagenicht statthaft ist, wenn es darum geht zu klären, ob der Tatbestand einer Norm erfüllt ist. Anknüpfend an die Frage von Flohm: Inwiefern unterscheidet sich der Fall hier? Es geht hier ja um die Frage, ob für die Klägerin der Ausnahmetatbestand für Ungeimpfte greift?
Alicia99
18.8.2023, 14:39:21
Ich glaube ihr habt einen Fehler in der ersten Frage dieser Aufgabe …
L.Goldstyn
26.8.2024, 16:14:52
Was ist denn aus Deiner Sicht falsch? Viele Grüße!