Strafrecht

BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.

Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB

Geschlechtsverkehr einer HIV-infizierten, untherapierten Person mit unwissendem Partner (abgewandelt: BGH, 04.11.1988- 1 StR 262/88)

Geschlechtsverkehr einer HIV-infizierten, untherapierten Person mit unwissendem Partner (abgewandelt: BGH, 04.11.1988- 1 StR 262/88)

16. April 2025

11 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

T ist HIV positiv und untherapiert. Obwohl er dies weiß, hat er ungeschützten Geschlechtsverkehr mit seiner Freundin O, die nichts von seiner Erkrankung weiß. Nach fünf Wochen wird O bei einer Routine-Untersuchung HIV positiv getestet.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Geschlechtsverkehr einer HIV-infizierten, untherapierten Person mit unwissendem Partner (abgewandelt: BGH, 04.11.1988- 1 StR 262/88)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T könnte sich wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht haben, indem er O beim Gschlechtsverkehr mit HIV infizierte (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt 2, Nr. 5 StGB).

Ja!

Objektive Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, Nr. 5 StGB sind: (1) Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung (2) Durch Beibringung eines anderen gesundheitsschädlichen Stoffes und/oder (3) Mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung T müsste zudem vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben.
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2. T hat die Körperverletzung an O nach h.M. auch "durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen" begangen (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Genau, so ist das!

Andere Stoffe sind vor allem solche, die mechanisch oder thermisch (z.B. zerstoßenes Glas, heiße Flüssigkeiten, zerhacktes Metall) oder biologisch-physiologisch (z.B. Viren, Bakterien und Dopingsubstanzen) wirken. Gesundheitsschädlich ist der Stoff, wenn er unter den konkreten Bedingungen geeignet ist, die Gesundheit erheblich zu schädigen.Das HI-Virus ist ein anderer Stoff im Sinne der Norm. Die Infektion mit HIV führt unbehandelt zum Ausbruch von AIDS. Die Krankheit löst starke Symptome aus und verläuft unbehandelt tödlich. Das HI-Virus ist deswegen geeignet, die Gesundheit erheblich zu schädigen. Es ist gesundheitsschädlich.

3. Indem T mit O Geschlechtsverkehr hatte und sie mit dem HI-Virus infizierte, hat er sie an der Gesundheit geschädigt (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja!

Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen, Steigern oder Aufrechterhalten eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden (pathologischen) Zustandes.O ist mit dem Virus infiziert. Sie hat allerdings noch keine Symptome. Bereits die Infektion mit dem HI-Virus ist aber ein vom körperlichen Normalzustand negativ abweichender Zustand. Mit der richtigen medizinischen Behandlung (sog. „PEP“-Pillen) kann heutzutage eine Infektion mit dem HI-Virus verhindert werden. Ohne eine Infektion läge schon keine Körperverletzung vor. T war jedoch unbehandelt und hat O daher angesteckt.

4. T könnte die Körperverletzung auch „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen haben (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB).

Genau, so ist das!

Rspr. und h.L. verlangen eine Begehungsweise, die nach den Umständen des konkreten Falles, wie der Art, Dauer und Stärke der Einwirkung objektiv generell geeignet ist, das Opfer in Lebensgefahr zu bringen.Unbehandelt verläuft die Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich. Eine Heilungsmöglichkeit gibt es bis heute nicht. Der ungeschützte Geschlechtsverkehr ist generell zur Ansteckung und auch objektiv generell geeignet, das Leben des Partners allgemein in Gefahr zu bringen.Der Originalfall stammt aus dem Jahr 1988. Seitdem haben sich die Behandlungsmethoden erheblich fortentwickelt. Die Krankheit verläuft adäquat behandelt jetzt nicht mehr tödlich. Es ist also unter Umständen fraglich, ob T mit Vorsatz bezüglich einer abstrakten Lebensgefahr handelte. Worauf sich der Vorsatz konkret beziehen muss, erfährst du gleich. Bei dieser Gelegenheit solltest Du Dir auch einmal vor Augen führen, dass das Strafrecht in den 1980er Jahren gezielt instrumentalisiert wurde, um homosexuelle Männer zu diskriminieren.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

Jose

11.8.2021, 19:11:08

Wäre das heutzutage, ang

esi

chts der verbesserten Medikamente etc., anders zu beurteilen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.11.2021, 13:17:52

Hallo Jose, spannende Frage. Auch wenn die Behandlungsmethoden heutzutage natürlich deutlich weiter sind als in den 80er und 90er Jahren und infizierte Personen mittlerweile eine nahezu unverminderte Lebenserwartung haben, so kann HIV dennoch bislang nur behandelt und noch nicht geheilt werden. Da ohne entsprechende Behandlung lebenslänglich die Gefahr besteht, an AIDS zu erkranken und zu versterben, dürfte auch heute noch die Infizierung als lebensgefährliche Behandlung iSd § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu subsumieren sein. Zumal die Rechtsprechung die lediglich abstrakte Gefährlichkeit hier genügen lässt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

GEI

Geithombre

2.1.2024, 20:06:47

Würde das noch deutlich offensiver sehen als Lukas. Die Medizin kann heute Schuss- und Stichwunden auch viel besser behandeln als vor 100 Jahren, aber dort stellen wir ja auch keine derartige Kontrollüberlegung an, insb wenn wie Lukas völlig zu Recht sagt, die Rspr die

abstrakte Gefahr

ausreichen lässt.

Edward Hopper

Edward Hopper

12.10.2022, 22:14:25

Hie wäre doch sogar nach der m. M 224 verwirklicht? Da die Ansteckung erfolgreich war?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.10.2022, 15:13:29

Hallo Edward, hier muss man etwas aufpassen und zwischen der Körperverletzung und der lebensgefährdenden Behandlung unterscheiden. Verlangt man eine "konkrete Gefahr", so müsste ein "Beinaheunfall" vorliegen, mithin die Situation so kritisch sein, dass es nur vom Zufall abhängt, ob der Tod eintritt oder nicht. Dies ist - jedenfalls nach heutigem medizinischen Stand - bei einer HIV Infektion keineswegs der Fall. Vielmehr besteht hier bei entsprechender Behandlung gerade nicht die Gefahr daran zu versterben. Da zwischen einer HIV-Infektion und dem Ausbruch von Aids zudem eine geraume Zeit vergehen kann, wäre eine konkrete Gefährdung wohl eher abzulehnen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Juraganter

Juraganter

14.12.2024, 18:37:20

Ich wundere mich, warum nun das Aufrechterhalten des pathologischen Zustandes zur Definition gehört, obwohl es an anderer Stelle explizit verneint wurde. Die KI markierte es sogar falsch, wenn ich es mit erwähnte.


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