Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2020
Thüringer Paritätsgesetz verfassungswidrig
Thüringer Paritätsgesetz verfassungswidrig
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
In Thüringen ist seit August 2019 vorgesehen, dass Landeslisten durch die politischen Parteien abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen sind (sog. Paritätsgesetz), sonst werden sie zurückgewiesen. Die A-Partei leitet eine abstrakte Normenkontrolle vor dem ThürVerfGH ein.
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Einordnung des Falls
Thüringer Paritätsgesetz verfassungswidrig
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 15 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der ThürVerfGH überprüft bei der abstrakten Normenkontrolle die Vereinbarkeit von Landesrecht mit dem gesamten Grundgesetz.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Freiheit der Wahl (Art. 46 Abs. 1 ThürVerf) sichert die Ausübung des Wahlrechts gegen Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussungen von außen ab.
Ja, in der Tat!
3. Das Paritätsgesetz beeinträchtigt die Freiheit der Wahl, da Wähler*innen keine Liste wählen können, auf der nur oder überwiegend Männer oder Frauen aufgeführt sind.
Ja!
4. Nach dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl (Art. 46 Abs. 1 ThürVerf) muss jede Stimme grundsätzlich den gleichen Zählwert und den gleichen Erfolgswert haben.
Genau, so ist das!
5. Alle Wahlbewerber*innen müssen ihr Recht, sich zur Wahl zu stellen, in gleicher Weise ausüben können (sog. passive Wahlrechtsgleichheit).
Ja, in der Tat!
6. Eine Beeinträchtigung der passiven Wahlrechtsgleichheit scheidet aus, denn durch das Paritätsgesetz sind die Chancen für beide Geschlechter, auf einen Listenplatz gewählt zu werden, jeweils gleich.
Nein!
7. Das Paritätsgesetz beeinträchtigt auch die von Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG garantierte Betätigungs- und Programmfreiheit von politischen Parteien.
Genau, so ist das!
8. Art. 21 Abs. 1 GG beinhaltet ein Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit.
Ja, in der Tat!
9. Das Paritätsgesetz beeinträchtigt Parteien in ihrem Recht auf Chancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 GG).
Ja!
10. Beeinträchtigungen der Wahlrechtsgrundsätze (Art. 46 Abs. 1 ThürVerf) sowie der Parteienrechte aus Art. 21 Abs. 1 GG sind stets unzulässig und können nicht gerechtfertigt werden.
Nein, das ist nicht der Fall!
11. Das Demokratieprinzip verlangt eine tatsächliche Widerspiegelung der in der Wählerschaft vertretenen Bevölkerungsgruppen im Parlament. Dies rechtfertigt die mit dem Paritätsgesetz verbundenen Eingriffe.
Nein, das trifft nicht zu!
12. Das Paritätsgesetz ist gerechtfertigt, weil dadurch der Charakter von Wahlen als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung gesichert wird.
Nein!
13. (Art. 2 Abs. 2 S. 2 ThürVerf) beinhaltet die staatliche Verpflichtung, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern und zu sichern.
Genau, so ist das!
14. Die staatliche Gleichstellungsverpflichtung (Art. 2 Abs. 2 S. 2 ThürVerf) rechtfertigt die Eingriffe, die mit dem Paritätsgesetz verbunden sind.
Nein, das trifft nicht zu!
15. Da das Paritätsgesetz der Thüringer Verfassung widerspricht, erklärt der VerfGH die entsprechenden Vorschriften des LWahlG für nichtig.
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Carl
19.12.2020, 17:41:28
Zwei Anmerkungen: 1. Frage zum Erfolgswert: Der Erfolgswert muss nicht zu 100% gegeben sein. Sonst dürfte es auch keine Sperrklauseln geben. Er gilt also nicht absolut. 2. in der Frage zur Spiegeltheorie wird in der Frage auf die Meinung und in der Antwort auf die soziologische Zusammensetzung Bezug genommen. Müsste mMn beide Male letzteres sein.
Eigentum verpflichtet 🏔️
3.1.2021, 22:34:49
Danke für den Hinweis Carl! Haben wir korrigiert.
Mr_Monsense
3.1.2021, 15:46:35
Die Frage nach dem Erfolgszählwert bei quotierten Listen kann nicht ganz so einfach beantwortet werden. Wenn die Listen, die nicht quotiert sind von LWahlL zurückgewiesen werden, können die Bürger*innen hierüber nicht abstimmen. Bei den zugelassenen Listen ist der Erfolgszählwert dann aber wieder gleich, weil nichts an der Zählung der Stimmen geändert wird. Die Listen sind ein politisches Angebot und mit dem Paritätsgesetz werden bestimmte Angebote nicht mehr zugelassen. Mit den Erfolgszählwert der Stimme der Bürger*innen hat das aber nichts zu tun.
Eigentum verpflichtet 🏔️
3.1.2021, 22:22:30
Hallo Mr Monsense, die Argumentation ließt sich gut. Der ThüVerfGH sieht das allerdings anders. (Siehe nächster Post)
Eigentum verpflichtet 🏔️
3.1.2021, 22:23:25
Würde eine Liste gebildet, die nicht in vollem Umfang den Anforderungen des Paritätsgesetzes entsprä- che, etwa weil eine Partei nicht genügend bzw. nicht genügend geeignete weibliche oder männliche Bewerber hatte, um die Liste paritätisch zu besetzen, wären die ge- setzeswidrigen Platzierungen zu streichen (§ 30 Satz 4, 2. Halbsatz ThürLWG). Er- hielte eine Partei aus diesem Grund weniger Mandate als sie erhalten hätte, wenn sie auch die nicht zurückgewiesenen Kandidatinnen und Kandidaten hätte zur Wahl stel- len dürfen, so führte auch dies zu einem anderen Erfolgswert.
Eigentum verpflichtet 🏔️
3.1.2021, 22:24:48
Der Erfolgswert der Stimmen, die für diese Partei mit den zurückgewiesenen Kandidatinnen und Kandidaten abgegeben worden wären, wäre geringer als der Erfolgswert der Stimmen, die eine Partei mit einer in vollem Umfang dem Paritätsgesetz entsprechenden Liste erhalten würde.
Koehli
5.1.2021, 10:14:30
Liebes Jurafuchsteam, ich finde, dass durch die Verwendung der Gender * der Lesefluss doch beträchtlich leidet. Ein schnelles Lesen der Erklärungen ist nicht mehr gut möglich. Es handelt sich ja hier nicht um eine Rede, politische Äußerungen o.ä., sondern um wissenschaftliche Ausführungen. Ich glaube von uns Juristen bezweifelt niemand, dass „Wähler“ egal welchen Geschlechts sein können. Wäre es deshalb nicht vielleicht der Einfachheit und Verständlichkeit halber möglich, auf das generische Maskulinum zurückzugreifen?
Mr_Monsense
5.1.2021, 10:26:21
Haben Sie schon mal die Wörter Spiegel-ei oder The-ater ausgesprochen? Ich bin sicher, dass Sie auch ein Bürger*innen oder Wähler*innen schaffen. Wenn wir uns nur bestimmte Orte aussuchen, an denen wir korrekt gendern, dann wird es mit der Akzeptanz in der ganzen Gesellschaft nie etwas. Deshalb sollten wir Vorbilder sein und es ganz unbedingt tun. (Disclaimer: Ich gehöre nicht zum Jurafuchs-Team.)
Koehli
10.1.2021, 08:48:02
Es geht doch nicht um die Aussprache! Beim Speed-Reading ist es aber so dass das * einen erheblichen Stolperstein (genauso wie beispielsweise unangemessen viele Bindestriche) darstellt. Warum schließen wir nicht einen Kompromiss und nehmen die Formulierung Bürgerinnen und Bürger?
gelöscht
16.2.2021, 21:00:41
Beim Lesen des Gendersternchen bekomme ich immer Schluckauf.
ri
24.7.2021, 02:32:50
Kannst du bitte auf unnötige Anglizismen (insbesondere in Kombination mit BINDESTRICH) verzichten? Das stört mich beim Geschwindigkeitslesen ganz beträchtlich.
Anton 666
31.1.2022, 11:00:46
Ich finde die *** auch sehr störend. Wenn es sein muss, verwendet doch die Männliche und Weibliche Form oder halt sowas wie Studierende.
DeliktusMaximus
24.10.2023, 21:18:30
Die Kommentare der *-Befürworter sind schon mehr als toxisch.
Bad Reputation
3.3.2024, 22:26:43
Gerade bei diesem Thema der Aufgabe, finde ich die geschlechtergerechte Formulierung der Texte sehr vorbildlich und lobenswert hervorzuheben.
Isabell
12.1.2021, 19:45:51
Ich bin mir gerade nicht sicher, ob es dieser oder der andere Landgerichtshof war, könntet ihr in euren Fundstellen das Sondervotum mit aufnehmen. Das ist sehr lesenswert.
Eigentum verpflichtet 🏔️
12.1.2021, 22:03:08
Hallo Isabell, du hast Recht, die beiden Sondervoten der 3 Richter*innen am ThüVerfGH sind lesenswert. Diese befinden sich am Ende des unten verlinkten Urteils auf S. 46ff und 52ff. Den Hinweis auf die Seitenzahl haben wir im Aufgabentext ergänzt. LG ;)
Faby
27.10.2021, 16:33:57
Im Ergebnis ist die Rede von Brandenburg und einer Verhandlung am „20. August“. Gibt es dazu schon etwas Neues? Ggf. sollte der Textteil aktualisiert werden :)
Tigerwitsch
27.10.2021, 18:59:53
Damit ist das brandenburgische Paritätsgesetz gemeint, das die politischen Parteien verpflichten sollte, bei der Aufstellung ihrer Landeslisten für die Wahlen zum Landtag Brandenburg abwechselnd Frauen und Männer zu berücksichtigen. Die mündliche Verhandlung vor dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg fand am 20.08.2020 statt. Das Gericht hat mit Urteil vom 23.10.2020 - AZ.: VfgBbg 9/19, VfgBbg 55/19 das Gesetz für nichtig erklärt. Siehe hierzu die Pressemitteilung: https://verfassungsgericht.brandenburg.de/verfgbbg/de/presse-statistik/pressemitteilungen/detail/~23-10-2020-paritaetsgesetz-verfassungswidrig Hier das Urteil: https://verfassungsgericht.brandenburg.de/verfgbbg/de/entscheidungen/entscheidungssuche/detail-entscheidung/~23-10-2020-vfgbbg-919_4041 M. E. hat Jurafuchs auch dieses Urteil besprochen 🤔 Aber Du hast recht, den Hinweistext könnte man etwas aktualisieren 😇
Tigerwitsch
27.10.2021, 19:01:38
Wenn Du in der Rubrik „Rechtsprechung im Öffentlichen Recht“ unter „Entscheidungen aus 2020“ schaust, findest Du das Urteil des Verfassungsgerichts Brandenburg 😊
Lukas_Mengestu
28.10.2021, 10:47:59
Danke @Faby für den Hinweis und @Tigerwitsch für die Erläuterung! Den Hinweistext haben wir nun ergänzt. Den entsprechenden Fall findet ihr zudem unter folgendem Link: https://jurafuchs.app.link/JtamL6ABIkb Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Faby
28.10.2021, 11:47:01
Vielen Dank und wie cool, dass Fälle verlinkt werden können ☺️
Lukas_Mengestu
28.10.2021, 13:54:35
@Faby: die Verlinkung kannst Du übrigens auch vornehmen (zB wenn Du mit Freund:innen einen bestimmten Fall teilen willst). Hierzu musst Du einfach die linke der drei oberen Blasen in einem Fall anklicken. Da werden direkt diverse Messenger aufgeführt oder es besteht die Möglichkeit den Link in die Zwischenablage zu kopieren.
Diaa
22.8.2023, 13:53:03
Inwiefern ist dieses Urteil für andere Bundesländer von Bedeutung? Ich meine in Bezug auf Examen.
Diaa
22.8.2023, 15:30:20
Ich verstehe auch gerade nicht was für nichtig erklärt wurde? Das Paritätsgesetz oder ein andere?
Diaa
22.8.2023, 15:37:02
Liebes Jura-Fuchs-Team, könntet ihr bitte das Gendern unterlassen? Es kann ja nicht sein, dass man zusätzlich zu dem Schwierigkeitsgrad des Jurastudiums noch mit weiteren Steinen im Weg wie das Gendern zu kämpfen haben muss. Oder führt bitte eine Umfrage durch und so könnt ihr sehen, wer dafür und wer dagegen ist und dann entscheiden, ob es weiter gegendert werden sollte oder nicht. Es war ja immer so, dass die Mehrheit zu entscheiden hat. Das Gendern macht das Lernen mit der Jura-Fuchs-App nur noch komplizierter.
Felice
23.8.2023, 10:10:51
Sehe ich auch so. Gerade als Jurist sollte man wissen, wie wichtig Sprache ist… Sachverhalte/ Erklärungen (und noch schlimmer: Gesetze) damit künstlich zu erschweren, entbehrt für mich zum einen jeder demokratischen Grundlage & zum anderen jedes Sinnes, da die allermeisten hier zur Auslegung eines Begriffes fähig sind und damit das generische Maskulinum als sexusindifferent verstehen können.
juliusuff
26.9.2023, 19:49:04
Wenn Gendern für dich eine Schwierigkeit darstellt, solltest du das Jurastudium vielleicht nochmal überdenken.
Diaa
26.9.2023, 19:52:49
@[juliusuff](188568) deine Meinung ist nicht gefragt. Mein Kommentar richtet sich an die Verantwortlichen dieser Plattform, also spar dir deinen unnötigen Kommentar für dich selbst.
Felice
27.9.2023, 10:21:11
Wer nicht dazu in der Lage ist argumentativ zu einer Diskussion beizutragen sollte das Jurastudium vielleicht nochmal überdenken :)
Sofia
17.10.2023, 16:23:57
Inwiefern stellt es einen erhöhten Schwierigkeitsgrad dar wenn du statt einem Wort zwei Wörter lesen musst? Inhalt bleibt komplett identisch
Pilea
22.11.2023, 09:38:40
Mal angenommen, das BVerfG entschiede in dieser Sache zukünftig anders - welche Auswirkungen hätte dies dann auf die Urteile der LVerfGe?
Nora Mommsen
24.11.2023, 14:42:53
Liebe Pilea, danke für deine Frage! Die Landesverfassungsgerichte und das Bundesverfassungsgericht stehen grundsätzlich selbstständig nebeneinander in ihren Rechtskreisen. Landesverfassungsgerichte können auch Rechtssätze nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zusätzlich auf die Vereinbarkeit mit der Landesverfassung prüfen und für unvereinbar mit der Landesverfassung erklären. Sie sind diesbezüglich nicht an das Bundesverfassungsgericht gebunden, dürfen aber (wichtig!) nicht über die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz entscheiden. Folglich überprüft das Bundesverfassungsgericht Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte nur im Ausnahmefall im Wege einer Verfassungsbeschwerde. Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen eines Landesverfassungsgerichts sind aber nicht grundsätzlich unzulässig. So sind diese z.B. möglich wegen Verletzung der sog.
Justizgrundrechtenach Art. 101 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 1 GG. Auch zur Wahrung der Rund- funkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) wurde eine Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts bereits durch das Bundesverfassungsgericht für zulässig erach- tet. Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung durch eine Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts besteht dann, wenn dieses durch die Verfahrensgestaltung oder die Auslegung des angewandten Rechts eine eigene Verletzung eines im Grundgesetz geregelten Grundrechts begangen hat. Ferner ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, wenn die Länder abschließend über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit der Landesverfassung entschieden haben. Vertiefend dazu kann ich die Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags empfehlen: WD 3 - 3000 - 161/21. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Pilea
26.11.2023, 14:27:20
Danke für die ausführliche und hilfreiche Antwort!