Öffentliches Recht

VwGO

Fortsetzungsfeststellungsklage

Sich typischerweise kurzfristig erledigende Verwaltungsakte (Grundfall)

Sich typischerweise kurzfristig erledigende Verwaltungsakte (Grundfall)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Polizistin P fordert A in der S-Bahn ohne erkennbaren Grund auf, sich auszuweisen. A ist vollkommen überrumpelt und kommt der Aufforderung nach. Später beschließt sie, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme gerichtlich überprüfen zu lassen.

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Einordnung des Falls

Sich typischerweise kurzfristig erledigende Verwaltungsakte (Grundfall)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A will einen Verwaltungsakt aufheben lassen. Statthaft ist die Anfechtungsklage.

Nein!

Die Anfechtungsklage kommt nur in Betracht, solange der angegriffene Verwaltungsakt wirksam ist. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist dagegen statthaft, wenn sich der Kläger gegen einen Verwaltungsakt richtet, der sich nach Klageerhebung (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) oder vor Klageerhebung (§ 113 Abs. 1 S. 4 analog) erledigt hat. Die Aufforderung, sich auszuweisen (= Verwaltungsakt) hat sich in dem Moment erledigt, als A dieser Aufforderung nachgekommen ist. Statthaft ist die Fortsetzungsfeststellungklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog).
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2. As Klage ist bereits dann zulässig, wenn die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind.

Nein, das ist nicht der Fall!

Für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage müssen einerseits die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen (insbesondere die Klagebefugnis) vorliegen. Darüber hinaus gibt es die besondere Voraussetzung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit hat (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO a.E.). Es gibt Fallgruppen des berechtigten Interesses, die bei der Fallbearbeitung helfen können. A muss ein berechtigtes Interesse daran haben, die Rechtswidrigkeit der Versagung der Erlaubnis nachträglich feststellen zu lassen.

3. Ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung besteht in Fällen, in denen sich ein Verwaltungsakt typischerweise so schnell erledigt, dass er nicht effektiv gerichtlich überprüft werden kann.

Ja, in der Tat!

Ein berechtigtes Interesse besteht, wenn sich Verwaltungsakte dieser Art oder Verpflichtungsbegehren dieser Art typischerweise sehr kurzfristig erledigen. In diesen Fällen ist es typischerweise ausgeschlossen, gegen die hoheitliche Maßnahme wegen der kurzfristigen Erledigung mit Erfolg gerichtlich vorzugehen. Daher muss es möglich sein, die Rechtmäßigkeit des Handelns oder Nichthandelns der Behörde nachträglich zu überprüfen. Ansonsten gäbe es keinen Rechtsschutz gegen kurz andauernde Maßnahmen der Verwaltung, was mit Art. 19 Abs. 4 GG (Garantie des effektiven Rechtsschutz) unvereinbar wäre.

4. Die Identitätskontrolle erledigt sich typischerweise schnell. A hat ein berechtigtes Interesse an der Überprüfung.

Ja!

Auch, wenn von einem erledigten Verwaltungsakt keine Beschwer mehr ausgeht, ist eine Feststellung der Rechtswidrigkeit gerechtfertigt, wenn sich der zuvor wirksame Verwaltungsakt typischerweise schnell erledigt. Eine effektive gerichtliche Kontrolle der Verwaltung muss gewährleistet sein. Eine Identitätskontrolle (= Verwaltungsakt) ist eine Maßnahme, die sich typischerweise schnell dadurch erledigt, dass der Betroffene der Aufforderung nachkommt - so wie auch in As Fall. A hat ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kontrolle.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

REA🇺🇦

RealOmnimodo 🇺🇦

20.11.2021, 15:03:59

Ich dachte, dass ein kurzzeitiger Eingriff dieser Art nur dann ein FF-Interesse begründet, wenn er auch besonders schwerwiegend ist?!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2021, 11:33:39

Hallo

Omnimodo Facturus

, eine besondere Schwere des Eingriffes bedarf es für das Fortsetzungsfeststellungsinteresse tatsächlich nicht. Im Gegenteil hat das BVerwG (Urt. v. 16.5.2013 - 8 C 14/12 = NVwZ 2013, 1481 RdNr. 29) klargestellt, dass ein tiefgreifender Grundsrechtseingriff als eigene Kategorie für sich genommen kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründet. Vielmehr sei eine Ausdehnung des Feststellungsinteresses nur in Fällen geboten, in denen sonst der effektive Rechtsschutz (Art. 19 IV GG) gänzlich versagt würde. Dies sei der Fall bei "Eingriffsakten, die sonst wegen ihrer typischerweise kurzfristigen Erledigung regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten". Eine besondere Eingriffsintensität hat es hierfür dagegen nicht gefordert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LUCA

Luca

19.5.2024, 11:10:07

Nach neuster Rspr. des BVerwG genügt die bloß kurzfristige Erledigung nicht (BVerwG, Beschl. v. 29.01.2024 - BVerwG 8 AV 1.24, BeckRS 2024,1177; VGH BW, Beschl. v. 20.12.2023 - 1 S 4108/20, BeckRS 2023, 38956). Dies wird damit begründet, dass sonst regelmäßig jedenfalls ein Eingriff in Art. 2 I GG vorläge und das Kriterium des berechtigten Interesses „weitgehend leerlaufen würde“. Nur bei gewichtigem Grundrechtseingriff, sei das Feststellungsinteresse besonders schutzwürdig.

LUCA

Luca

19.5.2024, 11:12:23

Nach neuester Rspr. des BVerwG genügt die bloß kurzfristige Erledigung nicht (BVerwG, Beschl. v. 29.01.2024 - BVerwG 8 AV 1.24, BeckRS 2024,1177; VGH BW, Beschl. v. 20.12.2023 - 1 S 4108/20, BeckRS 2023, 38956). Dies wird damit begründet, dass sonst regelmäßig jedenfalls ein Eingriff in Art. 2 I GG vorläge und das Kriterium des berechtigten Interesses „weitgehend leerlaufen würde“. Nur bei gewichtigem Grundrechtseingriff, sei das Feststellungsinteresse besonders schutzwürdig.

Dolusdave

Dolusdave

10.12.2021, 11:37:06

Könnte man hier auch auf das Rehabilitationsinteresse abstellen, da von der Maßnahme eine diskriminierende Wirkung ausgeht?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.12.2021, 12:23:22

Hallo Dolusdave, darüber kann man nachdenken. Das Rehabiliationsinteresse ist allerdings nur dann verletzt, wenn die diskriminierende Wirkung auch nach der Erledigung fortwirkt. Darüber könnte man in Fällen nachdenken, in denen die Identitätsfeststellung vor einem größeren Publikum stattfindet bzw. in einer Art, durch die ein Publikum angezogen wird (vgl. Wolff, in: Sodan/Zielkow, VwGO, 5.A. 2018, § 113 RdNr. 275). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

frausummer

frausummer

4.8.2022, 14:00:12

Hätte man in der Identitätskontrolle auch einen

Realakt

erblicken können? Mir fehlt hier an einer Regelung/Befehl

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.8.2022, 11:03:09

Hallo frausummer, die Annahme eines

Realakt

es wäre in dieser Situation tatsächlich nicht möglich. Denn der Regelungsbefehl bei der Ausweiskontrolle besteht ja letztlich darin, dass der Betroffene aufgefordert wird, seinen Ausweis vorzuzeigen. Anders wäre dies nur, wenn die Polizei diese Aufforderung nicht ausspricht, sondern ohne zu fragen einfach den Ausweis wegnimmt. In diesem Fall läge tatsächlich ein "bloßer"

Realakt

vor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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