Öffentliches Recht
VwGO
Fortsetzungsfeststellungsklage
Sich typischerweise kurzfristig erledigende Verwaltungsakte (Grundfall)
Sich typischerweise kurzfristig erledigende Verwaltungsakte (Grundfall)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Polizistin P fordert A in der S-Bahn ohne erkennbaren Grund auf, sich auszuweisen. A ist vollkommen überrumpelt und kommt der Aufforderung nach. Später beschließt sie, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme gerichtlich überprüfen zu lassen.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Sich typischerweise kurzfristig erledigende Verwaltungsakte (Grundfall)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A will einen Verwaltungsakt aufheben lassen. Statthaft ist die Anfechtungsklage.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. As Klage ist bereits dann zulässig, wenn die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung besteht in Fällen, in denen sich ein Verwaltungsakt typischerweise so schnell erledigt, dass er nicht effektiv gerichtlich überprüft werden kann.
Ja, in der Tat!
4. Die Identitätskontrolle erledigt sich typischerweise schnell. A hat ein berechtigtes Interesse an der Überprüfung.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
RealOmnimodo 🇺🇦
20.11.2021, 15:03:59
Ich dachte, dass ein kurzzeitiger Eingriff dieser Art nur dann ein FF-Interesse begründet, wenn er auch besonders schwerwiegend ist?!
Lukas_Mengestu
22.11.2021, 11:33:39
Hallo Omnimodo Facturus, eine besondere Schwere des Eingriffes bedarf es für das Fortsetzungsfeststellungsinteresse tatsächlich nicht. Im Gegenteil hat das BVerwG (Urt. v. 16.5.2013 - 8 C 14/12 = NVwZ 2013, 1481 RdNr. 29) klargestellt, dass ein tiefgreifender Grundsrechtseingriff als eigene Kategorie für sich genommen kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründet. Vielmehr sei eine Ausdehnung des Feststellungsinteresses nur in Fällen geboten, in denen sonst der effektive Rechtsschutz (Art. 19 IV GG) gänzlich versagt würde. Dies sei der Fall bei "Eingriffsakten, die sonst wegen ihrer typischerweise kurzfristigen Erledigung regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten". Eine besondere Eingriffsintensität hat es hierfür dagegen nicht gefordert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Luca
19.5.2024, 11:10:07
Nach neuster Rspr. des BVerwG genügt die bloß kurzfristige Erledigung nicht (BVerwG, Beschl. v. 29.01.2024 - BVerwG 8 AV 1.24, BeckRS 2024,1177; VGH BW, Beschl. v. 20.12.2023 - 1 S 4108/20, BeckRS 2023, 38956). Dies wird damit begründet, dass sonst regelmäßig jedenfalls ein Eingriff in Art. 2 I GG vorläge und das Kriterium des berechtigten Interesses „weitgehend leerlaufen würde“. Nur bei gewichtigem Grundrechtseingriff, sei das Feststellungsinteresse besonders schutzwürdig.
Luca
19.5.2024, 11:12:23
Nach neuester Rspr. des BVerwG genügt die bloß kurzfristige Erledigung nicht (BVerwG, Beschl. v. 29.01.2024 - BVerwG 8 AV 1.24, BeckRS 2024,1177; VGH BW, Beschl. v. 20.12.2023 - 1 S 4108/20, BeckRS 2023, 38956). Dies wird damit begründet, dass sonst regelmäßig jedenfalls ein Eingriff in Art. 2 I GG vorläge und das Kriterium des berechtigten Interesses „weitgehend leerlaufen würde“. Nur bei gewichtigem Grundrechtseingriff, sei das Feststellungsinteresse besonders schutzwürdig.
Dolusdave
10.12.2021, 11:37:06
Könnte man hier auch auf das Rehabilitationsinteresse abstellen, da von der Maßnahme eine diskriminierende Wirkung ausgeht?
Lukas_Mengestu
10.12.2021, 12:23:22
Hallo Dolusdave, darüber kann man nachdenken. Das Rehabiliationsinteresse ist allerdings nur dann verletzt, wenn die diskriminierende Wirkung auch nach der Erledigung fortwirkt. Darüber könnte man in Fällen nachdenken, in denen die Identitätsfeststellung vor einem größeren Publikum stattfindet bzw. in einer Art, durch die ein Publikum angezogen wird (vgl. Wolff, in: Sodan/Zielkow, VwGO, 5.A. 2018, § 113 RdNr. 275). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
frausummer
4.8.2022, 14:00:12
Hätte man in der Identitätskontrolle auch einen
Realakterblicken können? Mir fehlt hier an einer Regelung/Befehl
Lukas_Mengestu
5.8.2022, 11:03:09
Hallo frausummer, die Annahme eines
Realaktes wäre in dieser Situation tatsächlich nicht möglich. Denn der Regelungsbefehl bei der Ausweiskontrolle besteht ja letztlich darin, dass der Betroffene aufgefordert wird, seinen Ausweis vorzuzeigen. Anders wäre dies nur, wenn die Polizei diese Aufforderung nicht ausspricht, sondern ohne zu fragen einfach den Ausweis wegnimmt. In diesem Fall läge tatsächlich ein "bloßer"
Realaktvor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Michael
4.10.2024, 16:48:31
Wie andere Kommentare unter diesem Thread bereits erwähnt haben, ist das hier angegebene m.E. nicht richtig. Das Feststellungsinteresse wird in solchen Fällen nicht begründet, nur weil es sich um einen VA handelt, welcher sich regelmäßig kurzfristig erledigt. Dies kann nur in Verbindung mit einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff angenommen werden. - BVerwG Beschl. v. 29.1.2024 – 8 AV 1.24 (OVG Münster) - NVwZ 2024, 1027