Tanken an einer Selbstbedienungstankstelle – Keine Beobachtung durch Tankwart


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Klassisches Klausurproblem

T tankt an der Selbstbedienungstankstelle des O. T hat nicht vor, seine Tankfüllung zu zahlen. Vielmehr möchte er nach dem Tankvorgang unbemerkt verschwinden. T rechnet aber damit, von O, der in der Tankstelle am Kassenautomaten sitzt, beobachtet zu werden. Jedoch ist O gerade abgelenkt und bemerkt den Tankvorgang des T überhaupt nicht. T fährt nach dem Tanken einfach davon.

Einordnung des Falls

Tanken an einer Selbstbedienungstankstelle – Keine Beobachtung durch Tankwart

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem T getankt hat, ohne zahlen zu wollen, hat er konkludent seine Zahlungswilligkeit und -fähigkeit vorgetäuscht.

Genau, so ist das!

Täuschungshandlung ist die ausdrückliche oder konkludente intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel bewusster Irreführung. Eine ausdrückliche Täuschung kommt nicht in Betracht. Eine konkludente Täuschung liegt in einem irreführenden Verhalten, das nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Erklärung zu verstehen ist, der ein gewisser Erklärungswert beizumessen ist. Allgemein gilt, dass derjenige, der eine entgeltliche Leistung in Anspruch nimmt, konkludent erklärt, zahlungsfähig und zahlungswillig zu sein.Mithin hat T, der sein Fahrzeug an der Selbstbedienungstankstelle tankt, konkludent erklärt, zur Zahlung des getankten Treibstoffes willig und fähig zu sein. T hatte jedoch nie vor den Treibstoff zu zahlen. Folglich hat T seine Zahlungswilligkeit und -fähigkeit vorgetäuscht.

2. T hat bei O einen Irrtum hervorgerufen.

Nein, das trifft nicht zu!

Durch die Täuschung müsste bei O ein Irrtum hervorgerufen worden sein. Irrtum bezeichnet das Auseinanderfallen von subjektiver Vorstellung und objektiver Wahrheit. Irren kann jedoch nur derjenige, der die Täuschung überhaupt wahrnimmt.O hat die konkludente Täuschung des T über dessen Zahlungsbereitschaft nicht wahrgenommen, da er den Tankvorgang des T überhaupt nicht bemerkt hat. Mangels Irrtumserregung bei O scheidet ein vollendeter Betrug iSd § 263 Abs. 1 StGB aus.

3. T könnte sich wegen versuchten Betruges gem. §§ 263 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

Ja!

Scheidet ein vollendeter Betrug mangels Irrtum aus, ist an eine versuchte Tatbegehung zu denken. Der Versuch des Betruges ist gem. §§ 263 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar. Dazu müsste der Täter den notwendigen Tatentschluss haben. Sein Vorsatz müsste insbesondere auch den kausal auf der Täuschung beruhenden Irrtum des O erfassen.T rechnet damit, dass O ihn beim Tanken beobachtet. Folglich erstreckt sich die subjektive Vorstellung des T auch auf den Irrtum des O und geht über das objektiv Geschehene hinaus. Damit besitzt T den notwendigen Tatentschluss hinsichtlich des Irrtums des O. Wenn der Tatentschluss daneben auf die Vermögensverfügung, den Vermögensschaden, den Kausalzusammenhang sowie die Bereicherungsabsicht und deren Rechtswidrigkeit gerichtet ist, könnte sich O wegen versuchten Betruges gem. §§ 263 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

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MAR

Marlie

10.2.2021, 21:01:01

Warum erfüllt dieser Vorgang nicht den Tatbestand des Diebstahls? Bzw. Wo wäre hier das Einverständnis zu sehen? Würde ein Einverständnis nicht erst dann vorliegen, wenn man sich ordnungsgemäß verhält, also zahlt?

Speetzchen

Speetzchen

10.2.2021, 21:21:12

Hey, der Diebstahl scheidet mangels Wegnahme aus. Im Fall von

Selbstbedienungstankstelle

n, ist der Tankstelleninhaber mit dem tanken, d.h. dem Gewahrsamwechsel am Benzin einverstanden. (

tatbestandsausschließendes Einverständnis

). Zudem wird der innere Vorbehalt (nicht zahlen zu wollen) nach Außen nicht erkennbar, sodass T den Tankvorgang auch ordnungsgemäß durchgeführt hat. Lg :)

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

11.2.2021, 12:11:38

Vielleicht sollte man dazu sagen, dass Speetzchen an die hM anknüpft. Es gibt jedoch auch die (vertretbare) Ansicht, dass das tatbestandsausschließende Einverständnis beim Bruch des Gewahrsams nur dann vorliegt, wenn die Zapfsäule ordnungsgemäß bedient UND ordnungsgemäß gezahlt wurde. Abgelehnt wird diese Ansicht ganz einfach deshalb, weil damit (wie der hießige Fall zeigt) die Abgrenzung zwischen 242 und 263 verwischt werden würde :)

MAR

Marlie

11.2.2021, 22:16:15

Das macht Sinn! Vielen lieben Dank für die Erklärungen :D

Jonny27

Jonny27

7.4.2021, 17:48:28

Mich irritiert die Subsumtion zur Täuschung. Wenn laut der Definition das „Einwirken auf ein Vorstellungsbild“ erforderlich ist, aber der Tankwart (oder in einem vorherigen Fall das Bordpersonal eines ICE) die gewollte (konkludente) Täuschung nicht bemerkt, wurde m.M.n. nicht eingewirkt. Was übersehe ich?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.4.2021, 08:52:21

Hallo Jonny, das ist in der Tat auf den ersten Blick etwas irritierend. Zur besseren Verständlichkeit kannst du Dir das ganze mit "Senden" und "Empfangen" merken. Mit Einwirken ist in erster Linie das Senden einer Erklärung gemeint. Vorliegend die konkludente Erklärung, das getankte Benzin bezahlen zu wollen. Ob diese Erklärung ankommt, ist erst beim Irrtum zu prüfen. Hier stellt man auf den Empfänger der Erklärung ab. Da dieser vorliegend nichts bemerkt, kommt es nicht zu einem Irrtum, weswegen es bei einem versuchten Betrug bleibt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Jonny27

Jonny27

8.4.2021, 09:02:08

Ah in Ordnung, das kann ich nachvollziehen. Danke für die Erklärung!

LEN

Lenny

13.6.2021, 10:26:18

Hallo Jonny27, es geht, soweit ich weiß, beides. Deine Meinung wird auch mit Bezugnahme auf das Erfordernis einer objektiven Eignung der Täuschung zur Irrtumserregung vertreten (zB Wessels/Hillenkamp/Schuhr 2019: BT II Rn. 490) Es ist danach aber meist nicht relevant, da man dann, wie hier angeführt, zwar nicht die das Vorliegen einer Täuschungshandlung, spätestens jedoch einen Irrtum verneinen würde.

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

9.6.2022, 12:44:45

Ich verstehe nicht ganz, warum hier ganz grundsätzlich eine konkludente Täuschung durch Inanspruchnahme der entgeltlichen Leistung angenommen wird, und in einem Fall ein paar Lerneinheiten zuvor, in dem jemand – ebenfalls mit Täuschungsvorsatz – in einen Zug einstieg ohne die Fahrt gezahlt zu haben, der aber auch nicht kontrolliert wurde, schon bereits die Täuschung abgelehnt wurde. Die Beförderung ist ja ebenso eine entgeltliche Leistung, wie das Tanken auch, und ein Irrtum scheidet ja sowohl beim Zugbetreiber, als auch beim Tankstellenbetreiber aus.. Wäre nett, wenn ihr das noch etwas näher erklären könntet!

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

9.6.2022, 12:48:05

Ah, sehe gerade beim anderen Beitrag die Abgrenzung durch Senden und Empfangen. Allerdings ist der Tankstellenbetreiber hier ja ebenso wenig empfangsfähig für die Täuschung, wie ein abwesender Zugkontrolleur.. Wie kann man das denn vielleicht akkurater trennen? Der Passagier ohne Fahrschein muss ja ebenfalls damit rechnen, kontrolliert beziehungsweise entdeckt zu werden

Nora Mommsen

Nora Mommsen

4.7.2022, 16:22:44

Hallo Imponderabilie, eine Täuschung scheitert vorliegend an der fehlenden Fehlvorstellung mangels Wahrnehmung des T durch den O. Es liegt lediglich eine Täuschungshandlung vor. Im Falle des "Schwarzfahrens" im Zug scheitert es bereits an der Täuschungshandlung. Die Differenzierung ist auf die Verkehrsanschauung zurückzuführen. Danach liegt beim Tanken an einer

Selbstbedienungstankstelle

eine konkludente Erklärung gegenüber dem Kassenpersonal über die Zahlungsbereitschaft vor. Beim Einsteigen in den Zug hat sich die Situation noch nicht hinreichend verdichtet, als dass eine solche Erklärung anzunehmen sein könne. Allein die sich aus den Beförderungsbedingungen ergebende Pflicht einen Fahrschein für die Fahrt zu besitzen, begründet keine kommunikative Beziehung zwischen dem Schwarzfahrer und dem Schaffner, sodass kein Irrtum vorliegen kann. Anders ist es, wenn der Schaffner nach jedem Halt alle zugestiegenen Fahrgäste bittet, den Fahrschein vorzulegen. Kommt es zu einem kommunikativen Kontakt zwischen Passagier und Schaffner kann eine täuschungsbedingte Fehlvorstellung angenommen werden. Bleibt der Passagier lediglich still, sodass der Schaffner ihn nicht bemerkt, kommt nur eine Täuschung durch Unterlassen in Betracht. Für die Tatbestandsmäßigkeit ist aber eine Garantenstellung erforderlich. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Kai

Kai

6.5.2023, 16:28:26

Im Sachverhalt sind keine Angaben über Ts Liquidität gemacht worden. Wie kann dann eine Täuschung über seine Zahlungsfähigkeit angenommen werden? Er kann ja auch nicht zahlen wollen, obwohl er dazu durchaus fähig ist. Über die tatsächlich vorhandene Zahlungsfähigkeit täuscht er dann nicht.

Kind als Schaden

Kind als Schaden

28.11.2023, 14:14:47

Die Lösung erschließt sich mir ebenfalls nicht an dieser Stelle. Er täuscht hier nur über den Zahlungswillen, was ja auch genügt, um eine tatbestandsmäßige Täuschung zu bewirken.

Kai

Kai

10.6.2023, 23:36:29

Inwiefern unterscheidet sich dieser Fall vom Fall des Antrags auf einen Mahnbescheid, dem kein Anspruch zugrundeliegt? In beiden Fällen will der Täter auf einen anderen Menschen täuschend einwirken, in beiden Fällen ist das unmöglich. Hier, weil niemand ihm zusieht, im anderen Fall, weil der Antrag nicht inhaltlich geprüft wird. Hier wird jetzt jedoch eine Täuschung angenommen, im anderen Fall wird diese bereits verneint. Die Einwirkung auf das Vorstellungsbild (A: Behauptung, es liege ein Anspruch vor B: Konkludente Behauptung, bezahlen zu können und wollen) liegt doch in beiden Fällen vor, kann nur mangels Rezipierung keinen Irrtum hervorrufen.

Antonia

Antonia

9.8.2023, 10:21:36

Der Mitarbeiter der Tankstelle hat hier grundsätzlich ein berechtigtes Interesse über den Zahlungswillen zu wissen. Der Rechtspfleger hat „kein“ Interesse die Richtigkeit des Mahnbescheids zu kennen, da der Mahnbescheid als Legitimation für den Anspruch gilt & er dieses daher nicht prüfen würde. Unterschied ist also den MA an der Tankstelle interessiert das Erklärte, den Rechtspfleger wegen der Legitimationswirkung nicht.

Kai

Kai

13.6.2023, 17:57:29

Würde T hier durch das Wegfahren zusätzlich eine Unterschlagung verwirklichen? Die Manifestationshandlung durch das Wegfahren liegt vor. Er denkt allerdings ja, der Betrug sei ihm geglückt. Daher könnte man anführen, er könnte keine Unterschlagung an "seinem" Benzin vornehmen. Allerdings würde sich die Vermögensverfügung beim Betrug ja lediglich auf den Besitz, nicht das Eigentum beziehen. Würden dann a) Betrug und Unterschlagung nebeneinander stehen, da die tathandlungen (tanken und wegfahren) unterschiedlich sind b) betrug und unterschlagung durch die gesamttankhandlung verklammert werden, sodass die subsidiaritätsklausel des 246 greift oder c) betrug und unterschlagung zwar nebeneinander stehen, aber die unterschlagung würde am vorsatz scheitern, da der Laie T denkt, es sei bereits sein benzin?

JO

JonasRehder

28.6.2023, 13:50:33

Dazu Jäger: spätestens durch das Wegfahren manifestiert sich der Zueignungswille nach außen, insofern grds. +. Aber: § 246 hat im Verhältnis zum bereits vorher verwirklichten Betrug keine eigene tatbestandliche Bedeutung, weil Unterschlagung nichts mehr entzieht, was nicht bereits zurvor durch Betrug verloren ist (Tatbestandslösung). Wenn man die Konkurrenzlösung zugrunde legt, würde man § 246 als mitbestrafte Nachtat erfassen. (Rn. 283) Hier ist § 263 ja gerade nicht verwirklicht, sondern lediglich im Versuch. Hier gibt es verschiedene Ansichten zur Subsidiaritätsprinzip: e.A.: Keine Anwendung der Subsidiaritätsklausel, um Vollendungsunrecht im Urteilstenor zum Ausdruck zu bringen. a.A.: Trotzdem Anwendung der Subsidiaritätsprinzip (hierfür spricht, dass auch § 242 II einen höheren Strafrahmen hat als § 246 StGB)

Lord Denning

Lord Denning

6.7.2024, 12:31:47

Hat hier der Täter wirklich auch über seine Zahlungsfähigkeit als eine äußere Tatsache getäuscht? Nach dem Sachverhalt täuscht er doch nur, über seine innere

Zahlungswilligkeit

.

LELEE

Leo Lee

7.7.2024, 11:19:39

Hallo Lord Denning, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man zunächst meinen, dass man nur über die innere Tatsache der

Zahlungswilligkeit

täuscht; dies ist auch ein nachvollziehbarerer Gedanke. Achte allerdings darauf, dass man mit Nutzung einer SB-Tankstelle immer auch KONKLUDENT erklärt, dass man auch in der Lage ist zu zahlen, da der Empfänger (also der Betreiber) davon ausgehen darf, dass derjenige, der die Leistung in Anspruch nimmt, dies tut, weil er auch zur Zahlung fähig ist. Deshalb geht die Täuschung über die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit hier Hand in Hand. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage,

Hefendehl

§ 263 Rn. 150 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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