Strafrecht
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.
Betrug (§ 263 StGB)
Tanken an einer Selbstbedienungstankstelle – Keine Beobachtung durch Tankwart
Tanken an einer Selbstbedienungstankstelle – Keine Beobachtung durch Tankwart
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T tankt an der Selbstbedienungstankstelle des O. T hat nicht vor, seine Tankfüllung zu zahlen. Vielmehr möchte er nach dem Tankvorgang unbemerkt verschwinden. T rechnet aber damit, von O, der in der Tankstelle am Kassenautomaten sitzt, beobachtet zu werden. Jedoch ist O gerade abgelenkt und bemerkt den Tankvorgang des T überhaupt nicht. T fährt nach dem Tanken einfach davon.
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Einordnung des Falls
Tanken an einer Selbstbedienungstankstelle – Keine Beobachtung durch Tankwart
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem T getankt hat, ohne zahlen zu wollen, hat er konkludent seine Zahlungswilligkeit und -fähigkeit vorgetäuscht.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. T hat bei O einen Irrtum hervorgerufen.
Nein, das trifft nicht zu!
3. T könnte sich wegen versuchten Betruges gem. §§ 263 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Marlie
10.2.2021, 21:01:01
Warum erfüllt dieser Vorgang nicht den Tatbestand des Diebstahls? Bzw. Wo wäre hier das Einverständnis zu sehen? Würde ein Einverständnis nicht erst dann vorliegen, wenn man sich ordnungsgemäß verhält, also zahlt?
Speetzchen
10.2.2021, 21:21:12
Hey, der Diebstahl scheidet mangels Wegnahme aus. Im Fall von
Selbstbedienungstankstellen, ist der Tankstelleninhaber mit dem tanken, d.h. dem Gewahrsamwechsel am Benzin einverstanden. (
tatbestandsausschließendes Einverständnis). Zudem wird der innere Vorbehalt (nicht zahlen zu wollen) nach Außen nicht erkennbar, sodass T den Tankvorgang auch ordnungsgemäß durchgeführt hat. Lg :)
Real Thomas Fischer Fake 🐳
11.2.2021, 12:11:38
Vielleicht sollte man dazu sagen, dass Speetzchen an die hM anknüpft. Es gibt jedoch auch die (vertretbare) Ansicht, dass das tatbestandsausschließende Einverständnis beim Bruch des Gewahrsams nur dann vorliegt, wenn die Zapfsäule ordnungsgemäß bedient UND ordnungsgemäß gezahlt wurde. Abgelehnt wird diese Ansicht ganz einfach deshalb, weil damit (wie der hießige Fall zeigt) die Abgrenzung zwischen 242 und 263 verwischt werden würde :)
Marlie
11.2.2021, 22:16:15
Das macht Sinn! Vielen lieben Dank für die Erklärungen :D
Jonny27
7.4.2021, 17:48:28
Mich irritiert die Subsumtion zur Täuschung. Wenn laut der Definition das „Einwirken auf ein Vorstellungsbild“ erforderlich ist, aber der Tankwart (oder in einem vorherigen Fall das Bordpersonal eines ICE) die gewollte (
konkludente) Täuschung nicht bemerkt, wurde m.M.n. nicht eingewirkt. Was übersehe ich?
Lukas_Mengestu
8.4.2021, 08:52:21
Hallo Jonny, das ist in der Tat auf den ersten Blick etwas irritierend. Zur besseren Verständlichkeit kannst du Dir das ganze mit "Senden" und "Empfangen" merken. Mit Einwirken ist in erster Linie das Senden einer Erklärung gemeint. Vorliegend die
konkludente Erklärung, das getankte Benzin bezahlen zu wollen. Ob diese Erklärung ankommt, ist erst beim Irrtum zu prüfen. Hier stellt man auf den Empfänger der Erklärung ab. Da dieser vorliegend nichts bemerkt, kommt es nicht zu einem Irrtum, weswegen es bei einem versuchten Betrug bleibt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jonny27
8.4.2021, 09:02:08
Ah in Ordnung, das kann ich nachvollziehen. Danke für die Erklärung!
Lenny
13.6.2021, 10:26:18
Hallo Jonny27, es geht, soweit ich weiß, beides. Deine Meinung wird auch mit Bezugnahme auf das Erfordernis einer objektiven Eignung der Täuschung zur Irrtumserregung vertreten (zB Wessels/Hillenkamp/Schuhr 2019: BT II Rn. 490) Es ist danach aber meist nicht relevant, da man dann, wie hier angeführt, zwar nicht die das Vorliegen einer Täuschungshandlung, spätestens jedoch einen Irrtum verneinen würde.
Im🍑nderabilie
9.6.2022, 12:44:45
Ich verstehe nicht ganz, warum hier ganz grundsätzlich eine
konkludente Täuschungdurch Inanspruchnahme der entgeltlichen Leistung angenommen wird, und in einem Fall ein paar Lerneinheiten zuvor, in dem jemand – ebenfalls mit Täuschungs
vorsatz– in einen Zug einstieg ohne die Fahrt gezahlt zu haben, der aber auch nicht kontrolliert wurde, schon bereits die Täuschung abgelehnt wurde. Die Beförderung ist ja ebenso eine entgeltliche Leistung, wie das Tanken auch, und ein Irrtum scheidet ja sowohl beim Zugbetreiber, als auch beim Tankstellenbetreiber aus.. Wäre nett, wenn ihr das noch etwas näher erklären könntet!
Im🍑nderabilie
9.6.2022, 12:48:05
Ah, sehe gerade beim anderen Beitrag die Abgrenzung durch Senden und Empfangen. Allerdings ist der Tankstellenbetreiber hier ja ebenso wenig empfangsfähig für die Täuschung, wie ein abwesender Zugkontrolleur.. Wie kann man das denn vielleicht akkurater trennen? Der Passagier ohne Fahrschein muss ja ebenfalls damit rechnen, kontrolliert beziehungsweise entdeckt zu werden
Nora Mommsen
4.7.2022, 16:22:44
Hallo Imponderabilie, eine Täuschung scheitert vorliegend an der fehlenden Fehlvorstellung mangels Wahrnehmung des T durch den O. Es liegt lediglich eine Täuschungshandlung vor. Im Falle des "Schwarzfahrens" im Zug scheitert es bereits an der Täuschungshandlung. Die Differenzierung ist auf die Verkehrsanschauung zurückzuführen. Danach liegt beim Tanken an einer
Selbstbedienungstankstelleeine
konkludente Erklärung gegenüber dem Kassenpersonal über die Zahlungsbereitschaft vor. Beim Einsteigen in den Zug hat sich die Situation noch nicht hinreichend verdichtet, als dass eine solche Erklärung anzunehmen sein könne. Allein die sich aus den Beförderungsbedingungen ergebende Pflicht einen Fahrschein für die Fahrt zu besitzen, begründet keine kommunikative Beziehung zwischen dem Schwarzfahrer und dem Schaffner, sodass kein Irrtum vorliegen kann. Anders ist es, wenn der Schaffner nach jedem Halt alle zugestiegenen Fahrgäste bittet, den Fahrschein vorzulegen. Kommt es zu einem kommunikativen Kontakt zwischen Passagier und Schaffner kann eine täuschungsbedingte Fehlvorstellung angenommen werden. Bleibt der Passagier lediglich still, sodass der Schaffner ihn nicht bemerkt, kommt nur eine Täuschung durch Unterlassen in Betracht. Für die Tatbestandsmäßigkeit ist aber eine Garantenstellung erforderlich. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Kai
6.5.2023, 16:28:26
Im Sachverhalt sind keine Angaben über Ts Liquidität gemacht worden. Wie kann dann eine Täuschung über seine Zahlungsfähigkeit angenommen werden? Er kann ja auch nicht zahlen wollen, obwohl er dazu durchaus fähig ist. Über die tatsächlich vorhandene Zahlungsfähigkeit täuscht er dann nicht.
Kind als Schaden
28.11.2023, 14:14:47
Die Lösung erschließt sich mir ebenfalls nicht an dieser Stelle. Er täuscht hier nur über den Zahlungswillen, was ja auch genügt, um eine tatbestandsmäßige Täuschung zu bewirken.
Kai
10.6.2023, 23:36:29
Inwiefern unterscheidet sich dieser Fall vom Fall des Antrags auf einen Mahnbescheid, dem kein Anspruch zugrundeliegt? In beiden Fällen will der Täter auf einen anderen Menschen täuschend einwirken, in beiden Fällen ist das unmöglich. Hier, weil niemand ihm zusieht, im anderen Fall, weil der Antrag nicht inhaltlich geprüft wird. Hier wird jetzt jedoch eine Täuschung angenommen, im anderen Fall wird diese bereits verneint. Die Einwirkung auf das Vorstellungsbild (A: Behauptung, es liege ein Anspruch vor B:
Konkludente Behauptung, bezahlen zu können und wollen) liegt doch in beiden Fällen vor, kann nur mangels Rezipierung keinen Irrtum hervorrufen.
Antonia
9.8.2023, 10:21:36
Der Mitarbeiter der Tankstelle hat hier grundsätzlich ein berechtigtes Interesse über den Zahlungswillen zu wissen. Der Rechtspfleger hat „kein“ Interesse die Richtigkeit des Mahnbescheids zu kennen, da der Mahnbescheid als Legitimation für den Anspruch gilt & er dieses daher nicht prüfen würde. Unterschied ist also den MA an der Tankstelle interessiert das Erklärte, den Rechtspfleger wegen der Legitimationswirkung nicht.
Kai
13.6.2023, 17:57:29
Würde T hier durch das Wegfahren zusätzlich eine Unterschlagung verwirklichen? Die Manifestationshandlung durch das Wegfahren liegt vor. Er denkt allerdings ja, der Betrug sei ihm geglückt. Daher könnte man anführen, er könnte keine Unterschlagung an "seinem" Benzin vornehmen. Allerdings würde sich die Vermögensverfügung beim Betrug ja lediglich auf den Besitz, nicht das Eigentum beziehen. Würden dann a) Betrug und Unterschlagung nebeneinander stehen, da die
tathandlungen (tanken und wegfahren) unterschiedlich sind b) betrug und unterschlagung durch die gesamttankhandlung verklammert werden, sodass die subsidiaritätsklausel des 246 greift oder c) betrug und unterschlagung zwar nebeneinander stehen, aber die unterschlagung würde am
vorsatzscheitern, da der Laie T denkt, es sei bereits sein benzin?
JonasRehder
28.6.2023, 13:50:33
Dazu Jäger: spätestens durch das Wegfahren manifestiert sich der Zueignungswille nach außen, insofern grds. +. Aber: § 246 hat im Verhältnis zum bereits vorher verwirklichten Betrug keine eigene tatbestandliche Bedeutung, weil Unterschlagung nichts mehr entzieht, was nicht bereits zurvor durch Betrug verloren ist (Tatbestandslösung). Wenn man die Konkurrenzlösung zugrunde legt, würde man § 246 als mitbestrafte Nachtat erfassen. (Rn. 283) Hier ist § 263 ja gerade nicht verwirklicht, sondern lediglich im Versuch. Hier gibt es verschiedene Ansichten zur Subsidiaritätsprinzip: e.A.: Keine Anwendung der Subsidiaritätsklausel, um Vollendungsunrecht im Urteilstenor zum Ausdruck zu bringen. a.A.: Trotzdem Anwendung der Subsidiaritätsprinzip (hierfür spricht, dass auch § 242 II einen höheren Strafrahmen hat als § 246 StGB)
Lord Denning
6.7.2024, 12:31:47
Hat hier der Täter wirklich auch über seine Zahlungsfähigkeit als eine äußere Tatsache getäuscht? Nach dem Sachverhalt täuscht er doch nur, über seine innere
Zahlungswilligkeit.
Leo Lee
7.7.2024, 11:19:39
Hallo Lord Denning, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man zunächst meinen, dass man nur über die innere Tatsache der
Zahlungswilligkeittäuscht; dies ist auch ein nachvollziehbarerer Gedanke. Achte allerdings darauf, dass man mit Nutzung einer SB-Tankstelle immer auch
KONKLUDENTerklärt, dass man auch in der Lage ist zu zahlen, da der Empfänger (also der Betreiber) davon ausgehen darf, dass derjenige, der die Leistung in Anspruch nimmt, dies tut, weil er auch zur Zahlung fähig ist. Deshalb geht die Täuschung über die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit hier Hand in Hand. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Hefendehl § 263 Rn. 150 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo