Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2021
Zustandsstörerhaftung bei Tiergefahren („Eichenprozessionsspinner“)
Zustandsstörerhaftung bei Tiergefahren („Eichenprozessionsspinner“)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V ist Verwalterin eines Waldes im Eigentum des Landes L in der Stadt S. Der Wald ist vom Eichenprozessionsspinner (E) befallen, dessen Raupen giftige Brennhaare besitzen, die für Menschen gesundheitsschädlich sind. S gibt V auf, E zu bekämpfen und seine Raupen und Nester zu entfernen.
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Einordnung des Falls
Zustandsstörerhaftung bei Tiergefahren („Eichenprozessionsspinner“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. V hält die Verfügung der S für materiell rechtswidrig und erhebt Klage zum Verwaltungsgericht (VG). Ist die Anfechtungsklage statthaft?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Klage ist begründet, soweit die Verfügung rechtswidrig war. Ist die polizei- und ordnungsbehördliche Generalklausel die Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung?
Genau, so ist das!
3. Die Ordnungsverfügung ist formell rechtmäßig. Materiell müsste der Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage vorliegen. Besteht durch E und seine Raupen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit?
Ja, in der Tat!
4. V müsste für diese Gefahr auch verantwortlich im ordnungsrechtlichen Sinn – also Störer – sein. Ist Störer generell immer nur, wer die Gefahr aktiv und willentlich verursacht?
Nein!
5. V verwaltet den Wald des L. Die Raupen des E und ihre Haarrückstände haften als feste Gebilde jahrelang an den betroffenen Bäumen. Sind die Raupen und ihre Rückstände herrenlos Tiere, sodass eine Zustandsverantwortlichkeit von V oder L ausscheidet?
Nein, das ist nicht der Fall!
6. V hat als Verwalterin des Waldstücks die Sachherrschaft über die betroffenen Bäume. L ist dagegen Eigentümerin. Beide könnten Zustandsstörer sein. Ist die Eigentümerin L vorrangig verantwortlich?
Nein, das trifft nicht zu!
7. Der Bescheid an V gibt die konkret zu behandelnde Fläche und die durchzuführende Maßnahme zur Entfernung der Raupen vor. Genügt die Ordnungsverfügung damit dem Bestimmtheitsgebot (§ 37 Abs. 1 VwVfG)?
Ja!
8. Die Verfügung muss auch verhältnismäßig sein. Sie dient mit dem Gesundheitsschutz einem legitimen Zweck. Ist das individuelle Absammeln und Absaugen der Raupen auf 60.000 Bäumen auch ein geeignetes Mittel?
Genau, so ist das!
9. Der Einsatz chemischer Mittel aus der Luft, das Aufstellen von Warnschildern oder Flächensperrungen wären mildere, gleich geeignete Mittel zum Absaugen und Absammeln, weshalb die Verfügung nicht erforderlich ist.
Nein, das trifft nicht zu!
10. Die Maßnahme müsste auch angemessen sein. Die Inanspruchnahme eines Eigentümers, von seinem Grundstück ausgehende Gefahren für die Allgemeinheit auf eigene Kosten zu beseitigen, ist als Verletzung der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) unangemessen.
Nein!
11. Für die Kosten der Maßnahme kommt letztendlich das Land L als Eigentümerin des Waldes auf. Ist die Verfügung angesichts der immensen Kosten der Maßnahme unzumutbar und damit unangemessen?
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Maliese 🦦🐾
15.11.2022, 20:33:43
Was genau ist AGL für den Regress? Goa wg privatrechtlicher Ausgestaltung des Vertrages?
Praetor
15.11.2022, 22:24:03
Ich würde vermuten, da solche Pflichten abstrakt in den Waldgesetzen o.ä. festgelegt sind, dass dies direkt aus dem Vertrag erfolgen könnte. Ansonsten legen die Vss für eine GoA aber auf jeden Fall vor, das Land handelt Ja jedenfalls privatrechtlich.
Nora Mommsen
18.11.2022, 11:41:17
Hallo Maliese, danke für deine Frage und danke Praetor für deine Antwort. Vorliegend haben wir zu wenig Informationen um das genau beurteilen zu können. Naheliegend wäre auch, dass der Vertrag zwischen V und L entsprechende Regelungen enthält. Ist dies nicht der Fall kann man über GOA nachdenken. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
MVSEVM
9.12.2022, 11:39:32
Ab der Frage nach der Angemessenheit der Verfügung gerät mE die Differenzierung zwischen Eigentümerin (L) und Inhaberin der tatsächlichen Sachherrschaft (V) etwas durcheinander.
Thomfred01
20.1.2023, 14:54:06
Zwei Fragen, bei denen ich mir denke, dass die im Examen dran kommen könnten, sind (1.) wäre in einer Klausur nicht, und wenn ja wo, die Polizeipflichtigkeit von Hoheitsträgern irgendwie zu problematisieren und die Tätigkeit der V dem Land L zuzurechnen und (2.) inwiefern könnte man das Problem einbauen, dass sich der Staat nicht auf Grundrechte berufen kann? Wäre die Verhältnismäßigkeitsprüfung dann obsolet oder lässt sich die alleine mit dem Rechtsstaatsprinzip rechtfertigen in solchen Fällen? Grüße
Nora Mommsen
20.1.2023, 15:33:07
Hallo Thomfred01, danke für deine Fragen. Die Polizeipflichtigkeit von Hoheitsträgern kann im Rahmen der Adressaten(auswahl) angesprochen werden. Diese wird ja von einigen im Rahmen des Tatbestands, von anderen auf Rechtsfolgenseite geprüft. So oder so wäre die Polizeipflichtigkeit dort gut aufgehoben. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zugunsten eines Trägers öffentlicher Gewalt findet nicht statt. Das hast du ganz richtig dargestellt. Dennoch gibt es immer wieder Ansätze, dass sich auch Träger öffentlicher Gewalt auf Unzumutbarkeit wegen hoher Kosten berufen können. Andere argumentieren es gäbe kein Argument der "leeren Kassen". Dies ist also anzusprechen, nicht aber als klassische Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen einer Grundrechtsprüfung. Denn eine solche Verletzung kann es ja gar nicht geben. Wir überarbeiten die letzten Frage der Aufgabe nochmal so, dass dies noch klarer wird. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Yasaka1896
18.11.2023, 08:52:42
Klausur lief als ÖR I im August 2023 im GPA-Bereich
Edward Hopper
20.11.2023, 21:46:44
Was ist GPA?
Lukas_Mengestu
22.11.2023, 13:38:27
@[Yasaka1896](205259)Danke für die Meldung, das haben wir getaggt! @[Edward Hopper](174080)Hi Edward, GPA bzw. GPJA steht für Gemeinsames Juristisches Prüfungsamt der Länder Berlin und Brandenburg. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Tat
12.3.2024, 14:20:43
Lief auch in NRW im August 2023 im 2. Examen
Edward Hopper
20.11.2023, 21:53:16
Bin ich der einzige der es seltsam findet, dass eine Stadt dem Land eine Ordnungsverfügung erteilt, und nur weil es durch einen Mittelsmann (Verwalter) geht, läuft es auf eine AK hinaus? Und wenn die Bäume im Eig. des Landes sind, ist doch Art. 14 keine Rolle da Staat sich darauf nicht berufen kann?
chu
30.1.2024, 12:59:10
Eine der Fragen lautet: "Die Klage ist begründet, soweit die Verfügung rechtswidrig war. Ist die polizei- und ordnungsbehördliche Generalklausel die
Ermächtigungsgrundlagefür die Verfügung?" Um sie richtig zu lösen, muss man mit "Stimmt" antworten. Das ist doch aber nicht bzw. nicht ganz richtig!? Eine Anfechtungsklage ist begründet, soweit die Verfügung rechtswidrig und der Kläger dadruch in seinen Rechten verletzt worden ist. Ich bin deshalb davon ausgegangen, dass es sich um eine "Fangfrage" handelt und habe mit "Stimmt nicht" geantwortet, was als falsch gewertet wurde. Oder täusche ich mich?!